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Fallons P.o.V.

Die Haarnadeln rutschten mir zum vierten Mal aus der Hand, doch ich gab nicht auf. Erneut setzte ich mich vor das Türschloss und steckte die dünnen Spitzen in die Öffnungen ein, um die Stifte des Schlosses in einer geeigneten Position unterschiedlich hinunterzudrücken.
„Komm schon", murmelte ich geistesabwesend zu mir selbst.
Um jeden Preis der Welt musste ich hier rauskommen, nicht nur, weil ich nicht die Nächste auf Onkel Jacks Liste sein wollte, sondern auch, weil ich unbedingt Cayden finden musste. Ich hatte keine Ahnung, was mit ihm passiert ist, aber ich wollte meinem Verstand keine Chance geben, mir auch nur die schlimmsten Szenarien auszumalen, obwohl das schwerer war als gedacht. Ich wünschte, ich könnte mir einreden, dass es ihm gut ginge, aber dafür hatte ich einfach kein Vertrauen mehr in meinen Onkel - oder in die gesamte Menschheit.
Ich war für einen kurzen Moment so in Gedanken über Cayden und seinen Zustand versunken, dass die Haarnadeln aus dem Schloss sprangen und meinen Fortschritt somit vollkommen zu Grunde machte. Genervt über mich selber ließ ich den Kopf gegen die Metalltür sinken. Ich atmete erschöpft auf und schloss die Augen.
Ich hätte es wissen müssen. Ich hätte es erahnen können. Mein eigener Onkel hatte einen Teil meiner Familie umgebracht. Er hatte meine Beziehung zu Cayden vollkommen zerstört. Er war für so viele schlimme Ereignisse in meinem Leben verantwortlich, und ich hatte nichts davon wahrgenommen. Gar nichts.
Wäre ich auch nur ein bisschen gründlicher gewesen, wäre das alles nicht passiert. Vielleicht wäre Cory dann noch am Leben, vielleicht hätte das mit Cayden nicht so ein schlimmes Ende genommen, vielleicht wäre ich jetzt nicht in so einer aussichtslosen Situation, vielleicht, vielleicht ...
Meine Augen füllten sich mit Tränen. So vieles, was hätte anders laufen können, so vieles, was ich hätte verhindern können.
Immer wieder lief mir derselbe Gedanke im Kopf her. Es ist meine Schuld. Meine Schuld, dass Cory nicht mehr richtig erwachsen werden konnte. Meine Schuld, dass Cayden Gott weiß was angetan wurde. Meine Schuld, dass die Beziehung zu meinem Vater einen vermutlichen unüberwindbaren Tiefpunkt erreicht hatte.
Ich wünschte, ich könnte sagen, dass das alles einen Sinn hatte, dass das alles nicht umsonst war, aber es gab nichts, was ich Positives aus dieser Situation ziehen konnte. Zwei Morde innerhalb kürzester Zeit in meiner Familie, eine Affäre mit Cayden, die grausam in die Brüche ging, selbst den erhofften Respekt meines Vaters konnte ich nicht erlangen, vielmehr hatte ich ihn zutiefst enttäuscht. Und das zu Recht. Ich hätte schlauer sein müssen, ich hätte die Sache einfach auf sich beruhen lassen sollen und mich nicht stattdessen zur selbst ernannten Rächerin ernennen sollen. Ich war alles andere als eine potenzielle Anführerin der nächsten Generation. Ich hatte nicht das Zeug dazu, eine Familie oder auch nur ein Unternehmen zu leiten, wenn ich es noch nicht einmal geschafft hatte, meinen eigenen Onkel zu enttarnen. Vielleicht war das der Grund, wieso mein Vater mich nicht respektierte, weil er genau wusste, dass ich niemals in solch verantwortungsvollen Fußstapfen treten könnte.
Ich öffnete wieder meine Augen und starrte auf das glänzende Metall, in welchem ich mein Spiegelbild sah. Die Haut blass, der Blick träge, die Haltung eingeknickt – genau so sah mich vermutlich jeder, einschließlich meines Vaters. Eine schwache, zerbrechliche Frau, die noch nicht einmal auf sich selber aufpassen konnte.
Zuerst ließ ich den Kopf wieder hängen, doch nach ein paar Momenten der Stille blickte ich mich wieder in der Spieglung an.
Es musste nicht so enden, nicht wenn es auch nur eine winzige Chance gab, hier rauszukommen und all das zu ändern, was ich hatte angerichtet.
Plötzlich hörte ich im Gang schwere Schritte. Sofort reagierte ich und wich zurück, doch anstatt, dass sich die Tür öffnet, die in mein Zimmer führte, wurde die Nebentür geöffnet.
Ich stand vom Boden auf und beobachtete wie dieselben Männer, die meinen Onkel zuvor begleitet hatten, jemanden ins Zimmer trugen. Ich konnte die andere Person nicht erkennen, erst als die beiden Männer aus dem kleinen Raum traten, offenbarte mir die Person ihr Gesicht. Oder das, was davon noch übrig war.
„Cayden", hauchte ich und trat so nah an die das Fensterglas, dass sich in regelmäßigen Abständen mein Atem auf der Scheibe sichtbar machte.
Caydens Hände waren festgebunden und an der Decke aufgehangen, dadurch streckte sich sein Körper fast den ganzen Raum hoch, bis nur noch seine Fußspitzen den Boden berührten.
Meine Handfläche presste sich gegen die Scheibe. So etwas hatte ich noch nie, niemals, in meinem gesamten Leben gesehen. Ich konnte es kaum in Worte fassen. Die Kleidung war zum größten Teil zerfleddert, die Haut an so gut wie allen sichtbaren Stellen aufgerissen oder blau geschlagen, die Lippe aufgeplatzt, sein linkes Auge geschwollen. Er sah grauenvoll aus. Mehr als das. Er sah vollkommen tot aus.
„Oh mein Gott", überkam es noch meine Lippen, während sich einzelne Tränen ihren Weg über meine Wangen bahnten.
Ich wusste noch nicht einmal, was ich denken sollte. Innerlich war ich überglücklich, dass er wenigstens lebte, obwohl das, was ich gerade anstarrte, beinahe an ein Wunder grenzte. Das alles war nur passiert, weil ich nicht erkannt hatte, dass der Mörder im Nebenzimmer schlief, weil ich die Möglichkeit abgeschüttelt hatte, daran zu denken, dass der Täter zu meiner Familie gehören könnte. Gott, hätte ich doch nur mein Handy beim Training gehabt, dann wäre Cayden nicht in dieser Lage.
Es ist alles meine Schuld. Diese Worte liefen wie eine Dauerschleife in meinem Kopf, aber ich konnte mir keine Vorwürfe machen, nicht jetzt. Das Einzige, das mich gerade interessierte, war Cayden.
„Cayden", mit den Händen schlug ich gegen das Glas, doch er rührte sich noch nicht einmal einen Zentimeter. In mir machte sich ein ungutes Gefühl breit. „Cayden. Cayden!"
Ich versuchte irgendwie seine Aufmerksamkeit zu erregen, aber er reagierte nicht.
Ich musste zu ihm. Ich musste ihm helfen. Dabei war mir vollkommen egal, ob ich damit die gesamte Aufmerksamkeit auf mich zog, ich wollte nur bei ihm sein – und zwar ohne eine Scheibe dazwischen.
Mit meinem Ellbogen versuchte ich das Glas zu zerbrechen, aber nach dem dritten Mal ließ ich meine Arme sinken. Keine Ahnung, aus welchem Material diese Scheibe war, doch es war definitiv kein Gewöhnliches.
Mir war klar, dass mein Onkel das vermutlich extra gemacht hatte. Er wollte, dass ich Cayden und seinen elenden Zustand die ganze Zeit vor meinen Augen haben sollte. Es war die reinste Form der Qual, dabei zuzusehen wie er litt und nichts dagegen tun zu können.
Nein. Ich würde es schaffen. Ich sah mich im Zimmer um, doch das Einzige, was sich in dem Raum befand, war der Stuhl, an dem ich zuvor angekettet war. Ich nahm ihn in die Hände und schleuderte ihm mit aller Kraft gegen die Scheibe. Mit einem lauten Knall fiel er zu Boden, das Glas blieb heil.
Keuchend atmete ich ein und wieder aus. Gerade als ich annahm, dass das Material viel zu robust sei, blieben meine Augen an einem Sprung hängen. Ich wusste nicht, wie, aber ich hatte es geschafft, der Oberfläche einen Schwachpunkt zu vermitteln. Und diesen nutzte ich aus, um den Stuhl erneut und dieses Mal gezielt auf den Riss zu werfen.
Die Scheibe zerbrach in tausenden von Teilen, der Lärm war ohrenbetäubend, aber das hielt mich nicht davon auf, vorsichtig in das andere Zimmer zu klettern. Einige spitze Scherben bohrten sich dadurch in meine Haut, aber das war mir gerade egal. Genauso wie der Rest der Welt.
Als ich vor Cayden stand, realisierte ich, wie schlimm seine Verletzungen wirklich waren. Mir stockte der Atem. Sein Oberteil war fast vollständig mit angetrocknetem oder frischem Blut getränkt, die Wunden wirkten tief, die Schwellungen ziemlich ausgeprägt.
Vorsichtig hob ich die Hand, aber ich traute mich nicht, ihn zu berühren. Zu groß war die Sorge, ihn dabei noch mehr zu verletzten.
In meinem Hals hatte sich ein dicker Kloß gebildet, den ich versuchte loszuwerden.
„Cayden?" Meine Stimme war dünn und kaum wahrzunehmen, deshalb wunderte es mich nicht, dass er auch auf diesen Versuch nicht reagierte.
Zitternd schmiegte ich meine Hand an seine Wange. Seine Haut war kalt, aber nicht leblos. Innerlich atmete ich zumindest für einen Moment auf.
„Cayden?", hauchte ich sanft, dabei umschloss ich sein Gesicht mit beiden Händen.
Es folgte eine weitere Stille, die mein Herz zum Pochen brachte, und dann plötzlich öffnete er nur für einige Millimeter seine Augenlider.
Die Erleichterung, die durch meine Adern floss, konnte ich nicht in Worte beschreiben. Er lebte, das war das Einzige, das ich wissen wollte. Ich entließ die angestaute Luft aus meinen Lungen.
Vorsichtig öffnete er die Augen, dabei sah ich ihm an, wie viel Kraft ihn diese kleine Bewegung kostete. Aber ich ließ ihm Zeit, auch wenn wir jeden Moment auffliegen könnten.
„Fallon?" Seine Stimme klang kraftlos und geschwächt, doch es bedeutete mir mehr als alles andere.
Auf meinem Gesicht bildete sich ein Lächeln, mir rannten Tränen über die Wangen. Mit meinen Daumen malte ich Kreise auf seine Haut.
„Ja, ich bin's", flüsterte ich zart und trat noch näher an ihn heran. „Ich bin hier."
Cayden schloss erneut die Augen, doch sein Mund verzog sich ganz leicht zu einem Lächeln. Und obwohl diese kleine Geste mein Herz berührte, konnte ich nicht anders, als mich furchtbar zu fühlen. Wenn ich ihn ansah, konnte ich nur seine Wunden sehen.
„Es tut mir so, so unfassbar leid", wimmerte ich mit Tränen erstickter Stimme auf, was Cayden hellhörig machte. Seine trägen Augen suchten meinen Blick, aber ich schaffte es einfach nicht, ihn zu erwidern. „Das alles ist nur passiert wegen mir."
Caydens schlaffer Körper richtete sich etwas auf, zumindest versuchte er es. Da seine Hände immer noch festgebunden waren, lehnte er seine Stirn gegen meine.
Ich konnte ein Schluchzen nicht unterdrücken, denn es beschrieb genau das, was ich momentan empfand. Ich fühlte mich elendig, denn das alles war meine Schuld. Cayden wäre niemals in dieser Lage, wenn ich hätte anders gehandelt. Er stünde nicht am Rande seiner Kräfte, er wäre vollkommen unversehrt geblieben.
„Aber ich mach' das wieder gut, okay?", wisperte ich und sah ihn wieder an. Zusätzlich nickte ich mit einem verhaltenen Lächeln mit dem Kopf. „Ich werde dich hier rausbringen, in Ordnung?"
Caydens Augen waren geschlossen, seine Stirn war in tiefen Falten gelegt, so als würde er sich darum bemühen, noch etwas sagen zu wollen.
„Fallon", begann er und sammelte erneut etwas Kraft. „Dein Onkel ..." Zu mehr Worten kam er nicht, aber ich wusste auch so, was er sagen wollte. Er wollte mich davor warnen, wer der Mörder war, doch er konnte ja nicht wissen, dass mein Onkel bereits alles gestanden hatte.
Ich nickte ihm zu. „Ich weiß", schniefte ich, aber darüber konnte ich jetzt keinen weiteren Gedanken verschwenden, das Einzige, was jetzt wichtig war, war ihn lebend hier wegzubringen.
Tief holte ich Luft und legte den Kopf in den Nacken, mein Blick blieb an den Fesseln stehen. Ich musste versuchen, sie irgendwie zu lösen. Kurz sah ich mich im Raum um, doch genauso wie in dem Zimmer, in dem ich eingesperrt war, gab es lediglich einen Stuhl, der jedoch nicht hilfreich war.
Das Glas knirschte unter meinen Füßen, als ich mich weiter umsah. Und da kam mir die Idee. Ich beugte mich über den Boden und suchte eine Scherbe, die scharf genug sein konnte, das Seil zu durchtrennen. Ich nahm eine in die Hand und begann vorsichtig die Fesseln zu lösen, dabei schnitt mir die Kante tief in die eigene Handfläche, aber ich hielt es aus.
„Komm schon", flüsterte ich wohl eher zu mir als zu Cayden. Mein Herz pochte wild gegen meine Rippen. Ich hatte immer im Hinterkopf, dass wir jede Sekunde auffliegen könnten.
Als ich glaubte, der Schmerz in meiner Hand würde mich von meinem Vorhaben aufhalten können, schnitt ich das Seil durch. Caydens schwerer Körper wurde automatisch nach unten gezogen, er hatte kaum Kraft sich alleine auf den Beinen zu halten, doch ich kam ihm zuvor und fing ihn so gut es ging ab. Er stöhnte qualvoll auf, was mich zusammenzucken ließ.
„Ist alles okay?", fragte ich besorgt, obwohl es in Anbetracht seines Zustandes etwas ironisch wirkte.
Cayden verzog schmerzend seine Mimik. „Ich glaube, eine meiner linken Rippen ist gebrochen", murmelte er stoßweise.
Ich presste die Lippen aufeinander und versuchte ihm nicht noch mehr wehzutun, weshalb ich seinen Arm um meinen Nacken legte und ihn hauptsächlich von seiner rechten Seite stützte.
„Geht das so?" Meine Stimme war voller Sorge um ihn.
Cayden schlug die Augen auf und versuchte auf seinen Beinen zu stehen. Ich sah ihm an, wie viel Kraft es ihn kostete, aber er äußerte sich in keiner Weise zu seinen unbeschreiblich elenden Schmerzen.
„Ja", hauchte er und konzentrierte sich darauf, einen Schritt nach dem anderen zu setzten.
Vor der Tür ließ ich ihn los und widmete mich dem Schloss. Tief atmete ich ein. Dieses Mal musste ich es schaffen, die Tür aufzubekommen. Nicht für mich, sondern für Cayden, ich hatte es ihm versprochen, und ich würde dieses Versprechen nicht brechen.
Ich zog die Haarnadeln aus meiner Jackentasche hervor und begann und versuchte das Schloss zu knacken. Währenddessen beobachtete mich Cayden unbewusst, doch das verdoppelte nur die Last auf meinen Schultern.
Als die Haarnadeln aus dem Schloss rutschten, entließ ich angespannt die Luft aus meinen Lungen. Es musste einfach klappen.
„Du schaffst das, Fallon", entgegnete Cayden neben mir. Ich warf kurz einen Blick hinter meine Schulter. Sein Blick war aufmunternd, was mich dazu brachte, es noch einmal zu probieren.
Ich setzte die dünnen Spitzen an das Schloss an und schob nach und nach die Stifte, die uns von der Freiheit trennten, nach unten. Und dann klickte es, die Tür sprang auf.
„Ich wusste es", murmelte er mit einem leichten Lächeln auf den Lippen, das ich hätte Stunden lang betrachten können.
Ich richtete mich wieder auf, stützte Cayden von der Seite und zog die schwere Tür auf. Eigentlich hatte ich erwartet auf eine Gruppe von Männern zu treffen, die uns abfangen würden, aber da war niemand. Keine einzige Menschenseele.
Wir beide sahen uns um. Die grellen Lampen leuchteten in regelmäßigen Abständen in einem knalligen Rotton auf. Ein stiller Alarm. Keine Ahnung, ob wir dafür verantwortlich waren, aber ich war nicht scharf darauf, es herauszufinden.
Mit langsamen Schritten bewegten wir uns in Richtung Ende des Gangs. Immer wieder hörten wir dumpfe Schritte oder einzelne Wortfetzen, die jedoch sofort verschwanden. Ich glaubte, dass ich noch nie so viel Angst und gleichzeitig Adrenalin verspürt hatte. Das Risiko, in jedem Augenblick aufzufliegen, war permanent anwesend.
Am Ende angekommen gabelte sich der Weg zum einen nach links und zum anderen nach rechts auf. Ich blickte abwechselnd in beide Gänge, doch ich hatte keine Ahnung, welcher Weg uns in die Freiheit führen könnte.
„Da, der Notausgang", fiel Cayden auf und wies zusätzlich mit einer leichten Kopfbewegung in Richtung des grün leuchtenden Schildes an der Decke hin. Für diese Erkenntnis hätte ich ihn küssen können.
Wir bogen nach rechts ein und liefen uns ganz langsam zu einer Metalltür. Hinter uns nahm ich plötzlich Stimmen wahr, die sich in unsere Richtung bewegten. Ich konnte noch niemanden entdecken, doch das trieb uns dazu unser Tempo noch etwas zu erhöhen.
Schnell griff ich nach der Klinke und drückte die Tür auf, die uns ein Stück näher zu unserer Freiheit brachte. Wir befanden uns in einer Art Lagerhalle, in welcher Palettenweise weißes Pulver in größeren Tüten abgepackt worden war. Auf ihnen war lediglich ein Begriff abgedruckt worden: Lysergsäurediethylamid. LSD.
Und mit einem Mal verstand ich, was mein Onkel mit seinem eigenen Geschäft gemeint hatte. Er war derjenige, der das LSD verschaffte. Er war derjenige, der andere Dealer dazu beauftragte, es in Umlauf zu bringen. Er war derjenige, von dem alles ausging, der alles steuerte. Er leitete dieses Drogenunternehmen.
Ich richtete meine Aufmerksamkeit auf Cayden, den ich vorsichtig die Stufen nach unten begleitete. Bei jedem weiteren Schritt gab er einen quälenden Laut von sich, und obwohl er versuchte, diesen zu verstecken, wusste ich es trotzdem besser. Ich blieb hinter der ersten Palettensammlung stehen, Cayden warf mir einen fragenden Blick zu.
„Du wirst hier warten", entgegnete ich überzeugt. Vorsichtig ließ ich ihn los, dabei achtete ich darauf, dass die Paletten ihn stützten.
Cayden packte mich an den Schultern. „Nein", überkam es seine Lippen, er schüttelte heftig mit dem Kopf.
„Cayden, du kannst kaum noch einen Meter laufen geschweige denn von hier flüchten", erklärte ich ihm und umfasste seine Handgelenke sanft. „Ruh' ich dich kurz aus, währenddessen werde ich einen Ausgang suchen."
Caydens Blick sagte mir, dass er das nicht zulassen würde.
„Das ist keine Bitte", fügte ich hinzu. Mit meinen Augen versuchte ich ihm weiß zu machen, dass er auf mich zählen könnte, dass ich zurückkommen und ihn befreien würde. Ich hatte ihm mein Wort gegeben.
Vorsichtig umfasste ich sein kantiges Gesicht. „Es wird alles gut", flüsterte ich und lehnte für einen kurzen Moment meine Stirn gegen seine. Er entließ die angestaute Luft aus seinen Lungen, sein heißer Atem streifte meinen Mund. Unsere Lippen schwebten nur einige Zentimeter voneinander entfernt. Zu gerne hätte ich mich jetzt in seinen Armen verloren, zu gerne würde ich ihn ohne Bedenken küssen, aber ich konnte nicht. Nicht, solange ich ihn nicht in Sicherheit wusste.
Ich zog mich von ihm zurück. Mit einem kurzen Blick über meine Schulter versicherte ich mir, dass es ihm gutging, dann rannte ich los. Abwechselnd bog ich in irgendwelche Gänge ein, dabei kam es mir so vor, als würde ich mich kaum ein Stück weiterbewegen. Irgendwann erreichte ich die andere Seite der Lagerhalle. An der Tür, die für den Notausgang gedacht war, waren zwei schwer bewaffnete Männer positioniert. Eigentlich hätte es mich nicht wundern müssen, denn immerhin lagerten in dieser Halle mehrere Tonnen des reinsten LSDs,. Es wäre also sehr naive zu denken, dass unbefugte Leute einfach ein- und austreten durften. Doch das war nichts, was man nicht lösen könnte. Es brauchte lediglich eine gute Ablenkung, die die zwei Männer so lange beschäftigen würden, bis Cayden sicher draußen war. Zuerst musste ich ihn jedoch an das andere Ende der Halle bringen.
Plötzlich ertönte ein ohrenbetäubender Knall. Mein Herz rutschte mir automatisch in die Hose. Ein Schuss.

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