Fallons P.o.V.
Ich spähte kurz durch den Türspalt. Keine einzige Menschenseele befand sich auf dem Gang. Kein Wunder. Um die Uhrzeit sollte keiner noch wach sein.
Ich schloss die Tür und lief durch mein Zimmer auf den Balkon. Die kalte Nachtluft trieb einen Windstoß durch meine Haare. Ich erzitterte innerlich. Nach dem gestrigen Abend mussten Cayden und ich uns einfach wieder sehen. Ich war zwar nicht persönlich während des Gesprächs mit Harvey dabei, doch ich verstand jedes Wort auch gut genug hinter der Tür. Unglaublich, dass Harvey DeLaurant sein eigenes illigales Ding durchzog. Die Kriminalität lag unumgänglich in der Familie. Sein Geständis brachte uns damit aber nicht weiter, immerhin konnten wir ihn als Täter streichen, aber das brachte uns wieder ganz an den Anfang. Dabei sprachen so gut wie alle Indizien für ihn, er war der perfekte Verdächtige. Es war frustrierend. Immerhin hatten Cayden und ich eine Menge harte Arbeit in unseren Plan gesteckt - der jetzt völlig umsonst war.
Ich stieg das Geländer zu Caydens Balkon hoch. Ich wollte bereits die Tür öffnen, da erkannte ich, dass er nicht alleine war. Zuerst hielt ich die andere Person für ein Dublikat, doch nach einigen Momenten erkannte ich, dass es sein Vater war. Äußerlich hatten sie eine Menge gemeinsam. Sie waren beide groß, schlank und durchtrainiert. Dunkles Haar und dieselben Augen, die allerdings nur Cayden gut standen. Mr DeLaurant hatte immer einen dieser gefährlichen Blicke aufgesetzt, so als würde er jeden durch Augenkontakt brechen können. Eine irritierende Eigenschaft, wie ich finde, aber vielleicht kam das alles durch das Familiengeschäft. Bis auf ihr Aussehen aber hatten beide nicht im geringsten eine Ähnlichkeit. So, wie ich Mr DeLaurant kannte, war er kalt, gefühllos und unberechenbar. Nicht nur Cayden hatte mir von ihm berichtet, auch ich durfte bereits öfters als mir lieb war Bekannschaft mit seiner einschüchternden Art machen.
Ich lehnte mich gegen die Mauer und atmete tief ein und aus, dann lehnte ich mich über die Kante. Cayden stand mit dem Rücken zu mir. Sein steife Haltung verriet mir, dass es kein angenehmes Gespräch war, dass sie miteinander führten.
Mr DeLaurant war zur Abwechslung nicht ganz so förmlich gekleidet. Er trug ein lockeres Hemd, bei dem die ersten Knöpfe geöffnet waren. So sah er mindestens fünf Jahre jünger aus. Ein Anblick, den ich vermutlich so nie wieder sehen würde. Sein wütendes, grimmiges Gesicht und die aufgebrachte Gestik ließen mich darauf hindeuten, dass sie wohl beide miteinander stritten. Naja, Mr DeLaurant schrie seinen Sohn an, der seinen Kopf nur starr nach vorne errichtet hatte. Ich empfand plötzlich ein dumpfes Gefühl im Magen. Cayden tat mir leid. Er hatte mir bereits von seiner Familiensituation erzählt, doch es mitzuerleben war nochmal etwas anderes. Innerlich wünschte ich mir, dass ich ihn hätte vor seinem Vater beschützen können, aber das würde niemals passieren. Neben der Tatsache, dass Mr DeLaurant ein einflussreicher und gefährlicher Mann war, konnte ich nicht riskieren von ihm gesehen zu werden. Weiß Gott, was mit mir dann passieren würde.
Ich spähte erneut über die Kante und plötzlich sah ich, wie Mr DeLaurant unerwartet die Hand gegen Cayden erhob und ihn mit der flachen Hand ins Gesicht schlug. Ich war so überrascht, dass ich beinahe ins Zimmer gestürmt wäre. Entsetzt riss ich die Augen auf.
Cayden hielt sich seine gerötete Wange. Er hatte den Blick von seinem Vater gesenkt. Ich wusste, dass Mr DeLaurant und Cayden sich nicht sonderlich nahe standen, aber dass der eigene Vater Gewalt gegen seinen eigenen Sohn anwendete, war mir neu.
Meine Fingernägel gruben sich tief in meine Handflächen. Ein Teil von mir wollte einfach ins Zimmer stürmen und Mr DeLaurant genauso schaden, wie er es mit Cayden getan hatte, aber meine Vernunft ließ meine Beine keinen einzigen Schritt machen.
Ich wandte den Kopf ab und drückte meinen Körper flach gegen die Wand. Der Blick, den Cayden hatte, hatte sich regelrecht in mein Gedächnis eingebrannt. Und ich würde ihn definitiv nicht so einfach vergessen können.
Leicht beugte ich mich wieder über die Kante. Mr DeLaurant war mittlerweile verschwunden, doch Cayden stand immer noch an genau derselben Stelle. Der Kopf war wieder starr nach vorne gerichtet. Es schien fast so, als würde er dieser Situation nicht entkommen können, obwohl sein Vater längst weg war.
Ich trat vorsichtig in sein Zimmer. "Cayden?", flüsterte ich und schlang meine Arme um meinen Körper. Ich wollte ihm auf keinen Fall bedrängen, aber ich musste wissen und sehen, dass es ihm gut ging, obwohl ich mir dabei nicht so sicher war.
Cayden rührte sich nicht, er senkte lediglich den Kopf. "Wie viel hast du gesehen?", fragte er mit rauer Stimme. Eine Tonlage, die bei mir unerwartete Gänsehaut auslöste. Doch ich schob dieses Gefühl schnell beiseite.
"Genug, um zu sehen, wie dein Vater wirklich zu dir ist", wisperte ich und kam ihm so nahe, dass ich ihn leicht berühren konnte.
Cayden öffnete den Mund, doch es kam kein Ton heraus. "Bitte, vergiss das einfach", murmelte er und drehte sich weg von mir.
"Cayden, warte", meinte ich sofort und hielt ihm am Arm fest. Er hielt inne und hob leicht den Kopf. In seinen Augen sah ich, wie sehr er sich für die Siuation schämte, die ich hatte ansehen müssen, aber das brauchte er nicht. Auch wenn ich ihm das nie sagen könnte, er war mir irgendwie wichtig geworden. Ich würde ihn damit nicht einfach alleine lassen.
"Bitte, lass mich dir wenigstens helfen", fügte ich hinzu, als ich seine leicht geschwollene Unterlippe sah, die nah am Mundwinkel blutete. Cayden wusste nicht, wie er reagieren sollte, weshalb ich vorsichtig seine Hand in meine gleiten ließ und ihn zu seinem Bett zog, wo er sich unsicher niederließ. Derweil suchte ich in seinem Bad nach dem Verbandskasten, den Cayden vor einer Woche auch für mich gebrauch hatte. Ich lief zurück ins Zimmer und setzte mich ihm gegenüber. Seine Knie drückten sich gegen mein Bein, aber ich ignorierte es schnell. Es war die ganze Zeit so still, dass sich mein eigener Atem so laut anhörte. Ich griff nach dem Desinfektionspray und besrühte ein Wattestäbchen damit. Vorsichtig hob ich den Blick. Seine Augen hatten wieder diese Wirkung auf mich, wie auch schon gestern. Er tat rein gar nichts, doch er schaffte es irgendwie, mich zu fesseln. Ich schluckte und senkte den Blick unweigerlich auf seine vollen Lippen. Mein Herz setzte plötzlich einen Schlag aus, obwohl ich nicht wusste, wieso.
Langsam hob ich meine Hand. Meine Finger berührten sanft seine weiche Haut. Cayden ließ mich keine Sekunde aus den Augen, was mich nur noch nervöser machte. Ich setzte meine Finger unter sein Kinn an und schob mit meinem Daumen seine Unterlippe ein Stück nach unten. Mir war plötzlich richtig heiß, was mir total unangenehm vor ihm war. Innerlich ermahnte ich mich selber.
"Das könnte jetzt etwas brennen", flüsterte ich und schenkte ihm kurz einen Blick. Das Grün seiner Augen schien plötzlich lebendig geworden zu sein. Es glitzerte so, wie es noch nie gefunkelt hatte. Ich hätte sie stundenlang beobachten können, doch meine Vernunft siegte wieder einmal.
Leicht drückte ich das feuchte Wattestäbchn gegen deine kleine Wunde. Er verzog leicht sein Gesicht. Prüfend sah ich zu ihm hoch. "Ist das schon oft vorgekommen?", fragte ich in die Stille hinein.
Cayden wandte den Blick ab, was Antwort genug war. Ich wusste zwar, dass ihr Verhältnis nicht das beste war, aber das sie sich so fern standen, hatte ich nicht geahnt.
"Das tut mir-"
"Nicht", meinte er. Seine Stimme war so rau, dass ich Gänsehaut bekam. Ich biss mir kräftig auf die Unterlippe und hielt inne.
"Aber warum?", fragte ich schließlich und sah ihm in die Augen.
Er schüttelte leicht den Kopf. "Ich weiß es nicht. Vielleicht will er meinen Willen unterdrücken. Mein Brüder haben sich ohne Gegenwehr ihm untergeordnet und ich eben nicht. Das stellt für ihn ein Problem dar."
Tief atmete ich aus. Ich wollte ihm so viel sagen, aber ich konnte nicht. Er war innerlich so anders, als ich ihn eingeschätzt hatte. Er war kein Arschloch, er war ein Mann, der sein eigenes Ding durchziehen wollte, und das fernab von seiner Familie. So wie ich es auch wollte.
"Und was hat er dir heute vorgeworfen?"
Cayden schnaubte und wandte den Blick ab. "Harvey hat mich nach gestern an Nicolás verpfiffen. Der hat wiederum meinen Vater damit konfrontiert. Du musst verstehen, dass Nicolás der wichtigste Partner ist, deshalb können wir uns es nicht leisten, ihn zu verlieren."
"Ich hätte etwas gegen ihn tun sollen", murmelte ich und Cayden sah mich wieder an.
"Damit er dir ebenfalls etwas antun? Nein, das hätte ich mir nie verziehen."
"Aber das darf so nicht weitergehen, Cayden. Dein Vater, er ist ein grauenvoller Mann. Kein Kind der Welt hat es verdient, so misshandelt zu werden." Meine Stimme war bittend, aber ich wusste genauso gut wie er, dass man gegen die eigene Familie in unserer Welt nicht viel ausrichten konnte. Am Ende war sie das einzige, was einem blieb.
"Mein Vater ist immer noch mein Vater", murmelte er und zuckte lediglich mit seinen Schultern, was mich innerlich traf. Ich konnte doch nicht einfach weiter dabei zu sehen, wie Cayden so behandelt wurde. Wer weiß, wie oft so etwas schon vorkam und Cayden es immer vor mir verstecken konnte?
"Versprich mir, dass du damit nächstes mal zu mir kommst", wisperte ich und suchte seinen Blick. Meine Hand schloss sich fester um seine Wange. "Cayden."
Endlich gab er mir die Aufmerksamkeit, die ich von ihm wollte. Alles schien wie in Zeitlupe zu vergehen. Wir sahen uns einfach nur gegenseitig an, aber Worte könnten nicht das ausdrücken, was diesen Moment hätte beschreiben können. Sein Blick war so tiefgründig und intensiv, dass ich ihn bis in meine Fingerspitzen fühlen konnte. Sein warmer Atem streiften gefährlich mein Lippen, die nur wenige Zentimeter vor seinen schwebten. Mir schossen unendlich viele Gedanken durch den Kopf, die ich aber allesamt beiseite schob, weil ich mich ganz alleine nur auf Cayden konzentrieren wollte.
Er lehnte sich einige Zentimeter nach vorne, aber ich konnte nicht anders, als meine Hand auf seine Brust zu schieben und ihn von seinem nächsten Schritt abzuhalten.
"Cayden, nicht", hauchte ich, doch ich konnte selbst meinen Blick nicht von seinen attraktiven Lippen nehmen. "Du weißt, ...", langsam schüttelte ich meinen Kopf, "..., wir dürfen nicht."
So sehr ich es auch in diesem Moment wollte, konnte ich den Gedanken nicht abschütteln, dass wir damit gegen die obsterte Regel verstoßen würden. Niemals hatte eine Cunnigham eine intime Beziehung mit einem DeLaurant eingegangen. Trotz des Friedens zwischen unseren Familien, wurden die Vorschriften niemals aufgehoben.
"Ich weiß", flüsterte er, was mich innerlich unruhig machte. Alles sprach gegen das, was wir tun wollten, aber ich konnte meine Gedanken darüber einfach nicht verbannen.
"Einen Kuss", wisperte ich schließlich und sah von seinen Lippen hoch in seine Augen. "Um uns zu beweisen, dass da nichts zwischen uns ist."
Cayden nickte leicht. Sein Mund war meinem mittlerweile gefährlich nahe gekommen. "Einen Kuss", wiederholte er und dann senkte er endlich seinen Mund auf meinen.
Mit einem mal setzte mein Verstand aus und mein Herz ein. Meine Haut schien vor Lust zu glühen, mir wurde schwindelig. Adrenalin durchfuhr meine Adern bis in die kleinste Kapillare. Gänsehaut überströmte meinen gesamten Körper. Ich konnte jede einzelne Zelle spüren, die die Endorphine aufsaugten. Er zeigte mir einen Teil von ihm, den ich noch nie gesehen oder gefühlt hatte. Diese Leidenschaft, die in den Kuss floss, diese Intensität. Sie war völlig neu für mich und so berauschend, dass ich automatisch nach mehr verlagen wollte. Ich fühlte mich plötzlich so schwerelos, dass ich befürchtete zu fliegen. Es war atemberaubend und beängstigend zu gleich. Ich konnte bis in die Zehen spüren, wie sehr mein Körper sich an seinen Lippen ergötzte. Wie könnte ich je damit aufhören, ihn zu küssen? Wie konnte ich nicht mehr an seinen wundervollen Mund denken? Wie könnte ich nach dieser Hingabe einfach so weitermachen wie zuvor?
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Forbidden love
RomanceIhre Liebe ist verboten. So sind die unausgesprochenen Regeln. Das Leben und der Umgang zwischen den DeLaurants und den Cunninghams ist zwar friedlich, doch eigentlich sind sie bis ins Tiefste seit Jahrzehnten verfeindet. Cayden und Fallon, die Kind...