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Fallons P.o.V.

Unbewusst kaute ich auf meiner Lippe herum. Das tat ich immer, wenn ich nachdachte, und eigentlich wollte ich mir das dringend abgewöhnen, allerdings war ich mit meinen Gedanken nicht im Entferntesten bei den Dingen, die so normal schienen. Caydens Leben hing immer noch am seidenen Faden, und das nachdem bereits zwölf Stunden vergangen waren seitdem ich entführt, wir beide ausgebrochen waren und er angeschossen wurde. Nachdem mich mein Vater nach Hause gebracht hatte, bestand er darauf, dass ich mich ausruhen sollte, nicht nur wegen dem, was Cayden passiert war, sondern auch wegen dem Geständnis meines Onkels.
Aber an Ruhe war nicht einmal im Ansatz zu denken, denn wie könnte ich mir auch nur für einen Moment eine Auszeit gönnen, wenn ich nicht wusste, wie es Cayden ging? Immer wenn ich die Augen schloss, spielte sich der Moment ab, indem er von der Kugel getroffen wurde, die mein Onkel abgefeuert hatte. Ich würde also so oder so nicht zur Ruhe kommen, ganz egal, ob ich wollte oder nicht.
Ich stand vom Sofa auf und lief wie ein Tiger ein paar Schritte vorwärts, dann wieder zurück. Die Augen meines Vaters lagen auf jede meiner noch so kleinen Bewegungen. Vielleicht täuschte ich mich, aber ich wurde das Gefühl nicht los, dass er sich ernsthafte Sorgen um mich machte. Nachdem er kurz nach Gregor DeLaurant aufgekreuzt war, brauchte ich einfach eine mentale Stütze, die mich wegen dem, was Cayden passiert war, auffing. Unter anderen Umständen hätte ich mich vermutlich nicht in die Arme meines Vaters gestürzt, allerdings war ich so am Ende, dass mir selbst das lieb war. Auch wenn unser Verhältnis nach dem offenbarenden Gespräch noch angespannter wurde als am Anfang war, zeigte er eine fürsorgliche Seite, die ich nur von der Zeit kannte, als meine Mutter noch am Leben war. Und das, obwohl ich dachte, dass seine elterlichen Instinkte vollkommen verschwunden waren. Er hatte mich oft gefragt, ob es mir gut ging, aber über die Sache mit meinem Onkel hatte er dennoch kein einziges Wort verloren. Nicht, dass ich ihm das gerade in irgendeiner Weise vorwerfen könnte, denn mir war momentan vollkommen egal, was mit Onkel Jack passiert war, nachdem er Cayden angeschossen hatte. Das Einzige, was ich noch mitbekommen hatte, bevor ich in Tränen fast ertrunken wäre, war, wie er von den Männern der DeLaurants abgeführt wurde. Was danach mit ihm geschehen war, blieb mir ein Rätsel.
Ich hatte meinen Vater kein einziges Mal gefragt, wie er mit der Tatsache umging, dass sein eigener Bruder für die zwei Morde innerhalb unserer Familie verantwortlich war, oder wie er dazu stand, dass Onkel Jack sich heimlich ein eigenes Drogen-Imperium aufgebaut hatte. Mit Sicherheit hatte er damit genauso schwer zu kämpfen, wie ich mit dem Fakt, dass Cayden um sein Leben kämpfte. Natürlich wäre es eine Lüge, wenn ich sagen würde, dass es mich nicht interessierte, was für Konsequenzen das Verhalten meines Onkels hatte, denn immerhin war er achtzehn Jahre ein großer Teil meines Lebens, ich hatte eine ziemlich tiefe Bindung zu ihm aufgebaut. Aber wenn ich mich zwischen Cayden und meinem Onkel entscheiden musste, dann würde ich Cayden wählen, und das nicht nur, weil mein Onkel Edwart und Cory umgebracht hatte, sondern weil er mir Monate, wenn nicht sogar Jahre etwas vorgemacht hatte. Ich konnte mir in Bezug auf ihn und sein Verhalten in keinem Punkt mehr sicher sein, denn wenn er mich auch in Bezug auf die Morde belogen hatte, wieso dann nicht auch hinsichtlich meines ganzen Lebens?
Meine Gedanken schweiften zu sehr ab. Ich musste mich wieder auf das Wichtige in meinem Leben konzentrieren, und zwar Cayden. Kurz bevor er das Bewusstsein verloren hatte, konnten wir uns endlich die Wahrheit über alles erzählen, über unsere Entscheidungen, über unsere Handlungen, über unsere Gefühle. Doch das war nicht einmal ansatzweise das, was ich ihm noch alles sagen wollte. Es war nur ein Bruchteil von dem, was mir seit Wochen im Kopf herumschwirrte, und alleine deswegen durfte ich ihn nicht verlieren. Cayden und ich hatten es nie einfach, und das schon von Beginn an, unsere Geschichte war noch jung, und doch so ereignisreich. Ich kannte niemanden, der so viele Hürden meistern musste, wie wir, und deswegen verdienten wir ein glorreiches Ende. Ein Ende, das uns erlaubte, eine gemeinsame Zukunft zu haben, weil wir es verdient hatten.
Es klopfte ganz leise an der schweren Tür, Alice lugte durch einen kleinen Spalt in das Zimmer. Ich hielt inne und sah zu meinem früheren Kindermädchen. Ich hatte ihr ausdrücklich gesagt, dass mich niemand stören durfte, lediglich wenn es Neuigkeiten über Cayden gab.
„Was ist los?", fragte ich sofort.
Alice trat in den Raum. „Verzeihen Sie die Störung, doch Sie meinten, ich solle Sie informieren, wenn es etwas Neues bezüglich-", begann sie, doch ich hatte keinen Nerv für Smalltalk.
„Alice, was ist passiert?", unterbrach ich sie.
„Mr DeLaurant", entgegnete sie zittrig, was mich ganz unruhig machte. „Er wartet im Eingangsbereich."
Ich hielt die Luft an. Es gab also tatsächlich etwas Neues über Caydens Zustand. Endlich.
Hinter mir erhob sich mein Vater, dabei richtete er elegant sein Hemd, das jedoch bereits Falten schlug.
Alice räusperte sich eilig. „Er hat ausdrücklich nach Miss Cunnigham verlangt, niemand anderen."
Mein Kopf schwenkte über meine Schulter, wobei der Blick meines Vaters den von mir kreuzte. Ich hatte keine Ahnung, was diese Forderung zu bedeuten hatte, immerhin war es unüblich, dass mein Vater aus Neuigkeiten rausgehalten wurde, besonders da er das Oberhaupt unserer Familie ist. In meinem Magen machte sichein ungutes Gefühl breit.
„Natürlich", brummte er etwas unverständlich, doch rührte sich kein Stück. Mit einem leichten Kopfnicken signalisiert er mir, dass ich gehen durfte, und das tat ich, ohne mit der Wimper zu zucken.
Ich lief an Alice vorbei in den elendig langen Flur. Zuerst hielt ich mein normales Schritttempo, doch mit jederweiteren Sekunde, die ich in Unwissenheit fast ertrank, begann ich irgendwannzu rennen. Ich glaubte, dass mein Herz noch nie so schnell pochte, wie in diesem Moment. Mein Kopf war von der einen auf die andere Sekunde vollkommen leer. Es gab nur noch Cayden, und die Frage, wie sein Zustand war.
Als ich im Eingangsbereich eine hohe, männliche Statur entdeckte, rutschte mir das Herz kurz in die Hose. Ich hatte vergessen, wie ähnlich Cayden und sein Vater sich sahen, weshalb ich für einen kurzen Augenblick gedacht hatte, dass Cayden vor mir stehen würde.
Gregor DeLaurant betrachtete eins der abstrakten Gemälde, die an einer der Wände hingen, doch wandte sich mir zu, als er mein unsicheres Atmen wahrnahm. Seine Mimik wirkte verhalten und die Augen müde, vermutlich war er die ganze Nacht und den ganzen Tag wach.
„Wie geht es Cayden?", rutschte mir sofort die Frage raus, die mich nicht zur Ruhe brachte.
Gregor DeLaurant rieb sich die Handgelenke, so als wäre er derjenige gewesen, der die letzten Stunden gefoltert worden war.
„Durch seine Wunden und besonders den Schuss hat er sehr, sehr viel Blut verloren", begann er etwas träge, was mich hellhörig machte. Ich wusste, dass es um Cayden nicht besonders gutstand, aber zu hören bekommen, wie schlecht, war jedes Mal auf's Neue wie ein Schlag in die Magengrube.
Ungeduldig wartete ich darauf, dass er fortfuhr, und mit jedem Moment, indem er kein Aber erwiderte, kippte meine Laune ein kleines bisschen mehr. Ich hatte mir keine Gedanken darüber gemacht, ob Cayden es vielleicht nicht schaffte, weil ich mir selbst eingeredet hatte, dass er mit Sicherheit durchkommen würde. Diesen ganzen Szenarien, wie mein Leben ohne ihn weitergehen würde, wollte ich keine Chance geben, sich zu radikalisieren. Er würde es schaffen, er musste einfach überleben.
„Aber er hat es geschafft", entgegnete er nach langer Pause, was mich aufatmen ließ.
Ich stützte mich an der Wand ab und atmete erst einmal tief ein und wieder aus. Cayden und die Sorge um ihn war das, was mir in den letzten Stunden Kraft geben konnte. Und jetzt, wo ich wusste, dass er überlebt hatte, fiel die Last wie Steine von meinen Schultern und mich überrollte eine unfassbare Müdigkeit.
„Ihm geht es gut", flüsterte ich wohl eher zu mir selbst, als zu meinem Gegenüber.
Er hatte mich die ganze Zeit fest im Auge, was mir jedoch vollkommen egal war. Vermutlich versuchte er zu verstehen, wieso Cayden gerade an mir Gefallen gefunden hatte, immerhin hatte ich ein ziemlich schlechtes Bild in der gesamten DeLaurant-Familie, aber ich konnte ihm diese Frage selbst nicht beantworten.
„Danke, dass Sie mir Bescheid gegeben haben", murmelte ich und erwiderte kurz seinen Blick. Es war immerhin möglich, dass diese Feindschaftssache zwischen unseren Familien selbst in so einer bedeutenden Situation wichtiger war als alles andere. Besonders, da mein Vater als auch Gregor DeLaurant alles versucht hatten, um das Verhältnis zwischen Cayden und mir zu sabotieren.
Er nickte schwach und drehte sich bereits der Eingangstür zu, als er für ein paar Sekunden inne hielt. Kurz senkte er den Kopf, dann schwenkte sein Blick wieder in meine Richtung.
Überrascht sah ich ihn an, denn es gab nichts, was wir uns noch zu sagen hätten – dachte ich zumindest.
„Du solltest vermutlich wissen, dass ich dafür verantwortlich bin, dass Cayden dich von sich gestoßen hat", gab er ohne einemimische Änderung zu.
Perplex starrte ich ihn an. Ich hatte mit allem gerechnet, aber sicherlich nicht mit einem Geständnis von Gregor DeLaurant. Es gab keinen einzigen Moment, an den ich mich erinnern konnte, jemals etwas freiwillig zuzugeben.
„Als ich die Bilder und Videos von einer anonymen Quelle bekommen und mir angesehen hatte, war mein erster Impuls, dieses Verhältnis zwischen meinem Sohn und dir sofort zu beenden, ohne Rücksicht auf Verluste", erklärte er ruhig. Stumm lauschte ich seinen Worten.
„Das Wichtigste war, ist-", korrigierte er sich schnell, „die Familie zu schützen, und diese Informationen hätte meine Familie schwer getroffen. Ich habe meinem Sohn bewusst gedroht, deiner Familie etwas anzutun, wenn er meinen Anforderungen nicht Folge leisten würde." Kurz senkte er den Kopf. „Cayden hat nichts falsch gemacht. Alles, was er wollte, war dich zu beschützen."
Ich wusste nicht, was ich hätte sagen sollen. Bevor Cayden von den Sanitätern mitgenommen wurde, hatte er mir gestanden, dass er das alles für mich getan hatte, doch ich hatte keine Ahnung, dass sein Vater ihn zu dieser Entscheidung gedrängt hatte.
Gregor DeLaurant verzog leicht das Gesicht, während sein Blick auf seinem schweren Familienring lag, mit welchem seine Hände spielten. „Ich möchte nichts von eurem Verhältnis wissen", murmelte er, dabei legte sich seine Stirn in tiefe Falten.
Ich hatte keine Ahnung, wieso, doch aus irgendeinem Grund traf mich diese Aussage. Ich hatte keineswegs erwartet, dass er alle Informationen über Cayden und mich haben wollte, da die ein oder anderen Dinge sehr privat und damit für keinen Außenstehenden gedacht waren. Allerdings hatte ich angenommen, vielmehr gehofft, dass sich die Einstellung zu dem Verhältnis unserer Familien zumindest etwas geändert hatte.
„Bis auf eine einzige Sache", fuhr er nach langer Pause fort und hob die Augen in meine Richtung. „Liebst du ihn? Meinen Sohn?" Perplex starrte ich ihn an, weil ich mit einer so direkten Frage nicht gerechnet hatte. „Liebst du Cayden?"
Es war nicht das erste Mal, dass ich mir selbst diese Frage gestellt hatte, besonders nach dem Gespräch mit Alice, in welchem sie mir erzählt hatte, wie sich ihrer Meinung nach echte Liebe anfühlte. Es war schwer zu sagen, zu welchem schlussendlichen Ergebnis ich gekommen war, denn es sprachen tatsächlich viele Dinge dafür, dass das, was ich für Cayden empfand, weitaus über das Verliebtsein hinausging, allerdings hatte ich mich nie getraut, diese Worte in den Mund zu nehmen. Besonders nach unserer gemeinsamen Nacht, in welcher Cayden die drei kleinen Wörter unbewusst von sich gegeben hatte, empfand ich einen gewissen Druck, möglichst schnell herauszufinden, ob ich für ihn dieselben Gefühle hegte, wie er für mich. Durch den Kuss und die anschließende Distanzierung voneinander wurde mir die Last irgendwie abgenommen, doch es wäre gelogen, wenn ich nicht zugeben würde, dass ich nicht auch nach unserem gemeinsamen Ende oft darüber nachgedacht hätte.
Und jetzt, wo mich ausgerechnet Gregor DeLaurant um meine Gefühle fragte, prasselten tausende von Gedanken auf mich nieder.
War das zwischen Cayden und mir wirklich Liebe? Oder nur ein Konstrukt meiner Fantasie? Wie fühlte sich Liebe überhaupt an? Fühlte Cayden denn dasselbe wie ich? Und konnte ich einfachso zugeben, wie ich für Cayden empfand? Vor dem Mann, der unser Verhältnis hatte sabotieren wollen? Würde ich damit nicht direkt in eine Falle laufen?
Ich atmete tief aus und schüttelte jeden einzelnen Gedanken ab bis mein Kopfnur noch eine Leere herrschte, in der eine einzige Frage Platz fand. Liebte ichCayden? Eine einfache Frage, die eine ganz einfache Antwort erlaubte.
Ja", überkam es meine Lippen, und dieses Mal hatte ich keine Zweifel daran, ob ich nicht vielleicht doch unsicher war, denn wenn ich Cayden sah, ihn berührte und seine Stimme hörte, selbst wenn ich nur an ihn dachte, empfand ich nichts außer Liebe für ihn. Tief empfundene Liebe, die ich noch nie für jemanden aufbringen schaffte.
Anspannung lag in der Luft, die mit jeder Sekunde, in der es still war, noch weiter anstieg. Gregor DeLaurant wollte eine Antwort, und jetzt hatte er sie. Ich liebte Cayden, ich liebte ihn wirklich, und zwar mit jeder Faser meines Körpers.
Stumm nickte er. Es schien so, als wäre er nicht gänzlich überrascht und doch irgendwie nicht darauf vorbereitet. Ohne ein weiteres Wort zu sagen, drehte er sich um und lief durch die Eingangstür.
Am Anfang der Stufen blieb er noch einmal stehen und drehte sich zu mir um. „Kommst du?"
Irritiert blickte ich mich um. „W-wohin?", fragte ich nach.
„Zu Cayden", entgegnete er und ließ die Hände in seinen Jackentaschen verschwinden. „Bevor ich es mir noch anders überlege."

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