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Fallons P.o.V

Als die Tür sich öffnete, gab ich keinen Mucks von mir, denn ich wollte, dass die Person aus meinem Zimmer verschwindet. Jemand setzte sich langsam auf mein Bett, sodass die Matratze unter mich nach gab. "Miss?", flüsterte eine weibliche Stimme und lugte zu mir rüber. Ich schloss die Augen und tat so, als würde ich schlafen, doch Alice kannte mich wahrscheinlich so gut, wie ihre Westentasche.
"Miss, Sie schlafen schon seit einigen Stunden, wollen sie nicht aufstehen?", fragte sie mich sanft und ich öffnete meine schweren Augenlider.
"Nein", hauchte ich als Antwort, was Alice zum Lächeln brachte.
Ich wusste nicht, wie spät es war, ich wusste auch nicht, welcher Tag heute war - denn das Einzige, dass ich tat, war entweder bis zu meiner Erschöpfung zu weinen oder vor Erschöpfung zu schlafen. Es war ein Teufelskreis, dem ich ohne Hilfe von außen vermutlich nicht entkommen konnte.
"Ich habe Ihnen eine Suppe mitgebracht."
Sie hielt mir die duftende Schüssel unter die Nase, was meinen Magen zum knurren brachte. Ich wusste auch nicht mehr, wann ich das letzte mal etwas richtiges gegessen hatte.
Seufzend setzte ich mich auf und nahm die heiße Schüssel an, die mir Alice vorsichtig überreichte. In der Brühe spiegelte sich mein Aussehen wieder - und ich sah furchtbar aus. Meine Haut blass, die Augen trüb und von meinen Haaren will ich gar nicht erst anfangen. Ich war ein einziges Wrack.
"Wie geht es Ihnen?", fragte sie mich mit einem aufmunternden Blick, den ich jedoch abblockte.
"Ich ... können wir nicht darüber reden?", fragte ich und Alice nickte sofort.
"Welcher .. ähm ... Tag ist heute?", wollte ich stattdessen wissen.
"Der siebte Oktober", murmelte sie und ich riss die Augen auf.
"Die Beerdigung ist vier ganze Tage her?!"
Ich holte tief Luft und fasste mir an die Stirn. Ich hatte mehr als 96 Stunden in meinem Bett verbracht und nicht anderes getan, als zu weinen und nachzudenken. Über Cory und ihren Tod. Und über das, was nach der Beerdigung passiert war, mit Cayden. Ich hatte ihn so sehr gebraucht und doch tat ich nichts anderes, als ihn wegzustoßen. So, wie ich es mit jedem tat, der mir etwas bedeutete. Ich fühlte mich seither schrecklich, denn ich war mir sicher, dass ich ihn verletzt hatte, allerdings war ich blind vor Wut um etwas zu bemerken. Ich war nicht einmal sauer auf ihn oder meine Familie oder die Feindschaft, ich war sauer auf mich selber. Auch wenn es vermutlich nicht anders hätte laufen würden, ich hätte für meine Cousine da sein müssen, ich hätte sie beschützen können, weil ich es auch von meiner Familie erwarten würde. Ich hätte Cayden danken sollen, dass er an meiner Seite stand und mich trösten wollte, stattdessen machte ich ihm Vorwürfe und beendete indirekt das, was noch nicht einmal richtig zwischen uns angefangen hatte. Ich machte alles kaputt, nur weil ich in dem Moment nicht richtig nachdachte und es für das richtige hielt.
"Soll ich Ihnen noch eine Suppe bringen?", fragte mich Alice und riss mich damit aus meinem Gedankengang.
Lächelnd schüttelte ich den Kopf und stellte die Schale auf meinem Nachttischschränkchen ab. "Danke, Alice."
Kurz warf sie mir einen prüfenden Blick zu, dann stand sie auf und richtete ihre Bedienstetenkleidung.
"Warte", entgegnete ich und senkte kurz den Blick, als sie mich überrascht anschaute. "Kannst du .. noch etwas bleiben?"
Obwohl ich am Anfang nicht wollte, dass jemand nach mir sah, genoss ich die kleine soziale Interaktion.
Alice strahlte mit einem Lächeln, das sie jedoch sofort unterband und sich erneut auf meinem Bett niederließ.
"Bitte, erzähl mir etwas, dass nicht mit meiner Familie zu tun hat", murmelte ich und stütze mein Kinn auf meiner Handfläche ab.
"Nun ja", begann sie zu überlegen und plötzlich wurde sie rot. "Also ich ... ähm ..."
Alice stammelte. Etwas, dass ich nur selten von ihr kannte. "Sie wissen doch noch von Thomas?"
Kurz runzelte ich die Stirn und dachte nach.
"Unser Sicherheitschef?"
Sie nickte und zog ihr Bein zu sich, als wäre sie ein kleines Kind.
"Es hat sich herausgestellt, dass wir viele Gemeinsamkeiten haben."
Ich blinzelte lächelnd und hob neugierig meinen Kopf. "Ihr hattet ein Date?", fragte ich nach und sie nickte verlegen.
"Nachdem ich für Sie den ein oder anderen Gefallen gefordert hatte, hatte ich mich bei ihm mit einem kleinen Essen revangiert", erklärte sie mir stolz, was mich zum lächeln brachte. Es war komisch zu hören, wie einfach das Leben doch sein konnte. Ein ganz normales Date zu haben, jemanden zu bekochen und zusammen den Abend zu verbringen - für mich schien so eine Normalität völlig absurd.
Ich beobachtete Alice dabei, wie sie mir strahlend von ihrem gemeinsamen Essen mit Thomas erzählte. So sehr ich mich auch für sie freute, dass sie jemanden finden konnte, den sie nur zu gerne bekochte, gleichzeitig war es wie ein Schlag in die Magengrube, wenn ich daran dachte, dass Cayden und ich so etwas niemals erleben könnte. Neben der Tatsache, dass sich unsere Familien hassten, war ich nicht mehr so sicher, ob es noch ein uns gab. Ich hatte an dem Tag der Beerdigung wirklich schreckliche Dinge gesagt, bei denen sich mein Magen ein zweitesmal umdrehte. Ich fühlte mich seither schrecklich, denn ich war mir sicher, dass ich ihn verletzt hatte, allerdings war ich blind vor Wut um etwas zu bemerken. Ich war emotional einfach ein Wrack an diesem Tag, da war es nur eine Frage der Zeit das ich etwas dummes anstellen oder sagen würde. Ich hatte jedoch nicht damit gerechnet, dass es ausgerechnet Cayden treffen und ich meinen ganzen Frust an ihm auslassen würde. Bei den Gedanken an diese schrecklichen Erinnerungen wurde mir ganz übel. Die vielen Vorwürfe, für die er selber nichts konnte, waren unbegründet - und doch nicht. Seither zerbrach ich mir den Kopf über Cayden und mich, denn obwohl ich mir tief im Inneren nichts sehnlicher wünschte, als mit ihm ohne jeglichen Einschränkungen zusammen sein zu können, ließ mich der Gedanke nicht los, dass es vielleicht das Schicksal selber ist, das uns immer wieder vor Augen führt, dass es mit uns eigentlich nicht klappen kann. Sei es unsere Familien oder auch nur wir selber. Es gibt kein Moment, der mich unsere schwierigen Umstände vergessen lässt, die Ungewissheit begleitet uns demnach pausenlos.
Ich blinzelte ein paar mal und lenkte meine Aufmerksamkeit wieder auf Alice. Ich war so sehr in meine eigenen Gedanken vertieft, dass ich ihren Erzählungen nicht mehr folgen konnte. Doch es waren nicht die vielen Erlebnisse, die mich auflächeln ließen, sondern Alice' Strahlen. Sie wirkte glücklicher denn je, was mich leicht neidisch machte, doch ich gönnte es ihr vom ganzen Herzen. Alice gehörte zu der Sorte von Menschen, die die Bedürnisse anderer an erster Stelle stellte, anstatt sich zuerst um ihre Eigenen zu kümmern. Mit Thomas an ihrer Seite, den ich zugegebenermaßen kaum kannte, der sie jedoch von einem zum anderen Ohr grinsen ließ, konnte sie sich endlich einmal mehr auf sich selber fokusieren.
Plötzlich brannte mir eine Frage auf der Zunge, die nur sie mir ehrlich beantworten konnte.
"Alice?", unterbrach ich sie leise, was sie zum pausieren animierte.
Mit einem halb besorgten, halb neugiereigen Blick forderte sie mich auf weiterzureden, doch plötzlich war ich mir nicht mehr so sicher, ob die Frage zu privat war.
"Woran ... woran hast du erkannt, dass du ihn ..." Schätzst? Magst?
"Dass ich ihn liebe?", beendete sie mit einem leichten Lächeln auf ihren Lippen.
Mir rutschte das Herz in die Hose. Ich war mir nicht einmal sicher, ob ich jemals jemanden aufrichtig geliebt hatte. Hinzu kommt noch, dass wir hier von Cayden DeLaurant sprachen - ein Mann, dem das Wort Liebe vermutlich genauso fremd war wie mir. Doch ich wollte es tief im Inneren wissen. Wie fühlte sich überhaupt aufrichtige, echte Liebe an? Und noch viel wichtiger: Wie stand es um die Gefühle für Cayden?Es stand außer Frage, dass ich etwas für ihn empfand, doch waren meine Empfindungen auch so groß, dass ich sie schon Liebe nennen konnte?
Alice atmete tief aus, so als würde sie nach passenden Worten suchen, allerdings war das sicherlich keine leichte Antwort, die man auf meine Frage geben konnte.
"Ich weiß nicht, ob dass auf jeden zutrifft, doch es sind die kleinen Dinge, die alles ausmachen." Sie hob ihren Blick. "Es ist als wäre man angekommen, als wäre man zu Hause", erklärte sie mit einem Lächeln auf ihren Lippen. "Man kann sich einfach alles erzählen, gleichzeitig teilt man auch die Stille miteinander. Er bringt dich pausenlos zum lachen, und doch kann man gemeinsam auch ernstere Gespräche führen. Man versteht sich auch ohne Worte, denn wenn er dich anschaut, dann hast du das Gefühl, als könne er dir direkt in die Seele blicken. Zwischen euch herrscht diese gewisse Spannung, bei der die Finger kirbbeln und die Beine schwach werden, wenn man sich zufällig berührt. Es gibt da diese ganz besondere Intimität, die neben der ... erotischen Seite auch ihre Tiefgründige besitzt."
Sie machte eine lange Pause, in ihrem Blick sah ich, wie sie über Thomas und sich nachdachte. Dabei färbten sich ihre Wangen rot, was sie ganz jugendlich machte. Und auch, wenn ich wusste, dass Alice gerade über ihre Beziehung sprach, konnte ich nicht anders als an meine nachzudenken.

Forbidden loveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt