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Caydens P.o.V.

In meinem Wagen war es so kalt wie noch nie. Eigentlich sollte es mich um diese Jahreszeit nicht besonders überraschen, immerhin verabschiedete sich der Sommer gerade, während der Herbst immer näher kam. Eigentlich hätte ich ganz einfach die Heizung aufdrehen können, allerdings hatte ich zu viel Angst davor, dass mich auch nur das kleinste Geräusch enttarnen könnte. Mittlerweile wartete ich ganze vierzig Minuten darauf, dass mich Harvey von seinem eigenen Kartell anrufen würde, doch er ließ sich ganz schön viel Zeit. Nicht, dass ich ihn hetzten wollen würde, doch so langsam spürte ich meine Finger und Füße nicht mehr. Es hatte mich immer noch überrascht, dass er meine Bitte erhört hatte, da ihn eigentlich nichts mehr interessiert als er selber. Schließlich kam bei der ganzen Sache nichts außer gewaltigen Ärger für ihm raus. Als ich ihm meinen Plan erläutert hatte, schien er plötzlich gar nicht mehr so hilfsbereit wie am Anfang. Für ihn stand wirklich eine Menge auf dem Spiel, nicht nur sein Geschäft könnte dadurch ruiniert werden, sondern womöglich schwebte er in ernsthafter Gefahr. Ich würde alles versuchen, dass der Plan nicht ausarten würde, aber wirklich versprechen konnte ich nichts. Eigentlich hatte ich mir alles zehnmal überlegt und bin dabei jeden Schritt mindestens fünf mal durchgegangen, sodass ich selbst die unvorhersehbarsten Ereignisse hätte sehen kommen können, aber in der Realität sah alles immer ein bisschen anders aus.
Mein Handy summte auf, es läutete bloß zweimal bis ich abnahm. "Harvey?", raunte ich in den Hörer. Zuerst nahm ich nur ein kratziges Geräusch war, dann hörte ich meinen Cousin auf der anderen Seite atmen.
"Ich glaube, ich habe es geschafft", flüsterte er. Ich schloss die Augen und atmete erleichtert aus.
"Was hat Sanchéz gesagt", fragte ich nochmal genauer nach, weil ich mich nicht zu schnell freuen wollte.
Harvey entließ ein Schnauben. "Du kannst dir vorstellen, dass er nicht besonders froh darüber war, als ich ihm gesagt hatte, dass ich zwei ganze Ladungen LSD verloren hatte", murmelte er etwas erschöpft. "Es gab eine riesige Auseinandersetzung, zuerst wollte er mich ohne ein weiteres Wort entlassen, doch nachdem ich ihm praktisch um die Füße gefallen bin und ihn angefleht hatte, mir eine zweite Chance zu geben, hatte er gottseidank nachgegeben."
"Geht es dir gut? Hat er dir etwas getan?" In meiner Stimme schwang leichte Besorgnis mit, doch als Harvey einen glucksenden Ton von sich gab, verschwand meine Sorge.
"Mir geht's bestens, Cousin", grinste er. Ich hörte, wie er sich auf seinem Sessel niederließ, dabei stellte ich mir genau vor, wie er die Füße auf seinem Schreibtisch abstellte und den Kopf entspannt zurück lehnte. "Kurzzeitig war die Situation zwar mächtig am Brodeln, aber ich denke, ich konnte Sanchéz und seine Jungs mit meinem Charm beruhigen. Mittlerweile sollte er unseren gesuchten Mann also kontaktiert haben."
Ich verdrehte die Augen und schüttelte den Kopf. Harvey konnte selbst in dieser angespannten Lage seine Scherze nicht im Zaum halten. Eigentlich typisch für ihn, doch es gab nichts unpassenderes momentan. Allerdings konnte mir das gerade nicht gleichgültiger sein, denn immerhin war der schwierigste Teil des Plans gelöst. Anfangs hatte ich an den Fähigkeiten meines Cousins mächtig gezweifelt, doch vielleicht war es gerade sein Charisma, das ihm sein Leben rettete.
"Du hast mir noch nicht erzählt, wieso du glaubst, dass der Mörder mein Boss sein muss", dachte Harvey laut nach und ich presste die Lippen aufeinander. Ich hatte ihm bereits einiges anvertraut, als ich ihn teilweise in meinen Plan eingeweiht hatte, doch es gab Dinge, die ich noch vor ihm geheim hielt. Wenn ich ihm sagen würde, dass mir Informationen zustehen, die ich nur durch Fallons Hilfe erlangt hatte, würde er wissen, dass wir schon länger miteinander Kontakt hatten als angenommen.
"Du hast diesen Platz angeboten bekommen, nachdem Edwart kurz vorher umgebracht worden ist, was bedeutet, dass er mit ziemlich großer Wahrscheinlichkeit zuvor deine Stelle hatte", begann ich, doch Harvey unterbrach mich gleich.
"Du meinst, er war auch im Drogengeschäft dabei?", wiederholte und ich nickte langsam.
"Davon gehe ich aus", murmelte ich.
"Aber wieso sollte Sanchéz mit einem Cunnigham zusammenarbeiten? Er ist jahrlanger Geschäftspartner unserer Familie, er ist sich also der Feindschaft zwischen unseren Familien bewusst."
"Harvey", seufzte ich. "Sanchéz ist zwar ein jahrelanger Partner von uns, und dennoch ein eigener Geschäftsmann. Denkst du etwa, ihn würde es interessieren, wer mit wem verfeindet ist, wenn es um Geld geht?" Harvey blieb still, so als würde er meine Worte sacken lassen. "Als Edwart starb, brauchte das Unternehmen einen schnellst möglichen Ersatz. Ein naiver, selbstüberschätzter, junger Mann wie du wäre dafür perfekt."
"Hey!", keifte er zurück, was mich abermals zum seufzen brachte.
"Ich will nur damit sagen, dass sie in kurzer Zeit jemand ahnungslosen gebraucht haben, um das Geschäft am laufen zu halten", versuchte ich die Wogen zu glätten. "Und sein wir mal ehrlich, du warst schon immer derjenige, der sein eigenes Emperium unabhängig von unserem Familiengeschäft aufbauen wollte."
Harvey entließ die Luft aus seinen Lungen. "Schon gut", murmelte er. "Ich hätte wissen müssen, dass ich nur ein kleiner Fisch in einem riesigen Becken bin. Erzähl mir lieber mehr von Edwarts und Corys gemeinsamen Täter."
Ich räusperte mich. "Mir ist ebenfalls aufgefallen, dass Cory nicht irgendwo umgebracht worden ist, sondern in einem der Büro der Cunnighams, was bedeutet, dass es jemand aus der engeren Familie sein müsste."
"Aber wieso sollte ein hohes Tier aus dem Drogengeschäft jemand - nichts für ungut - unwichtiges umbringen?", fragte er nach.
Ich ließ seine spitze Bemerkung kommentarlos, und atmete stattdessen tief aus. "Dahinter bin ich auch noch nicht gekommen", gab ich zu. "Vielleicht war sie irgendwie Teil des Unternehmens."
"Cory Cunnigham?", lachte Harvey. "Die konnte keiner Fliege etwas tun."
Ich zuckte mit den Schultern. "Viele Menschen tragen mehrere Gesichter mit sich herum, vielleicht war eines davon einn Kriminelles in Corys Fall."
Plötzlich hörte ich, wie die Tür in Harveys Zimmer aufging. Automatisch presste ich die Lippen aufeinander, um kein Sterbenswörtchen zu sagen. Mein Herzschlag verdoppelte sich. Jetzt kam es darauf an, wachsam zu sein, denn das hier waar wahrscheinlich die einzige Möglichkeit den Täter zu überführen.
"DeLaurant", ertönte eine männliche Stimme durch den Hörer. "Mitkommen."
Die Stimme hörte sich gedämpft an, da ich vermutete, dass Harvey das Handy in seine Hosentasche gesteckt hatte.
"Wohin gehen wir? Ich dachte, ich würde mit dem Boss sprechen", meinte Harvey zügig, doch als Antwort kam nur ein Schnauben.
"Er hat mit Sicherheit besseres zu tun, um sich mit jemand unwichtigem wie dir zu befassen", entgegnete Sanchéz, was mich hellhörig machte. Der Plan drohte gerade zu scheitern, denn es war vorgesehen, dass Harvey sich in die Scheiße reiten und schließend ein persönliches Gespräch mit dem Boss, also dem Mörder, haben würde. Doch wenn der Täter nicht auftauchen würde, könnte ich ihn nicht überführen.
Ich hörte schnelle dumpfe Schritte von Harvey. "Moment", hielt er Sanchéz auf. "Ich möchte aber mit ihm sprechen." Harvey wusste genau, dass wir uns in einer Zwickmühle befanden.
"Was du willst, ist nicht wichtig, Junge", lachte Sanchéz in einer Weise, die mich erschaudern ließ. Dass er Harvey noch zusätzlich verniedlichte, verschärfte die Situation nur noch mehr.
"Du vergisst wohl, mit wem du hier sprichst", knurrte mein Cousin wütend. "Hier bin ich dir vielleicht unterlegen, aber ein Wort über dich und diesen Nebenverdienst und deine Partnerschaft mit meiner Familie ist Geschichte." Harvey konnte wirklich gut provozieren, nicht immer war das von Vorteil, doch diesesmal schätzte ich diese Eigenschaft an ihm sehr.
Ich konnte nur erahnen, wie Sanchéz sich gerade verhielt, da es mucksmäuschen still am anderen Ende der Leitung war. Entweder hatte Harvey einen richtigen Nerv getroffen, oder der Schuss ging nach hinten los, doch das konnte ich mir kaum vorstellen. Meine Familie war der längeste, verlässlichste und damit auch wichtigste Geschäftspartner für Sanchéz, er wäre also ein Idiot, wenn er nicht auf Harveys Drohung eingehen würde.
"Ich sagte mitkommen, DeLaurant", keifte Sanchéz, dabei war nicht abzusehen, was er vor hatte. Selbst durch das Telefon konnte ich Harveys angespannte Schlucken hören, aber ich war mindestens doppelt so nervös.
Ich hörte, wie die beiden durch irgendwelche Gänge irrten und dabei kein einziges Wort miteinander wechselten. Die Situation war mittlerweile so spannungsgeladen, dass ich kaum noch ruhig sitzen konnte. Plötzlich strahlten mich weiße Scheinwerfer an, sodass ich mich nach vorne bückte, um unerkannt zu bleiben. Ein dunkelblauer Wagen fuhr langsam vor den Eingang des Hauses. Ich schluckte meine Nervosität hinunter, obwohl ich noch immer ziemlich angespannt war. Mit Sicherheit hielt sich in dem Auto derjenige auf, weswegen ich das alles geplant hatte, allerdings war es so dunkel, dass ich nichts durch die Fenster sehen konnte.
Die Tür zum Vordereingang ging auf, dabei erkannte ich sofort meinen Cousin und Sanchéz. Obwohl ich etwas weiter weg stand, konnte ich die Nervosität hinter Harveys cooler Fassade entdecken. Beide liefen auf den Gehsteg genau vor die linke Seite des Wagens.
"Handy her", entgegnete Sanchéz mit so einer Härte, die selbst mich einige Meter entfernt noch erreichte.
Harveys Gesicht wurde ganz bleich, genauso wie meines vermutlich. "Hörst du schlecht? Gib' dein verdammtes Handy her!", knurrte Sanchéz erneut.
Sofort beendete ich unser Telefonat, damit er nicht sehen konnte, dass Harvey und ich ständig miteinander in Kontakt waren. Ab jetzt hörte ich rein gar nichts mehr, sondern sah nur noch aus der Ferne zu.
Harveys Hand glitt in seine Hosentasche, dabei zögerte er jeden Moment hinaus, um mir Zeit zu geben, unser Gespräch zu beenden. Sanchéz riss Harvey das Handy aus der Hand und schmiss es voller Wucht auf den steinernden Boden. Harvey schubste Sanchéz weg und fuhr ihn dabei an, doch er holte ganz gelassen eine geladene Waffe hervor. Automatisch verstummte Harvey und folgte den Anweisungen, die ihm gegeben wurde. Ich sah wie das hintere Fenster hinunter fuhr, doch keine Person ausstieg. Harveys Augen weiteten sich, als er die Person sah, die im Inneren des Waggens saß, doch ich blieb noch immer völlig ahnungslos.
Plötzlich streckte jemand seine Hand durch das Fenster, so als würde er Harvey einen Handschlag geben wollen. Der maskuline Arm war in einem dunkelblauen Anzug gekleidet, der Saum eines weißen Hemdes blitze hervor. Ich erkannte einen silbernen Ring am Zeigefinger, vermutlich ein Familienring, doch ich konnte keine Initilaien entschlüsseln, dafür saß ich einfach zu weit weg. Immer wieder wanderten meine Augen über den Arm, doch ich konnte nichts auffälliges an ihm erkennen, es gab nichts, was den Täter hätte identifizieren können.
Mir flogen tausende von Gedanken durch den Kopf, die alle versuchten, auch nur irgendwie einen prägnaten Hinweis zu finden, und plötzlich sah ich etwas, dass ich schon einmal gesehen hatte. Untzwar eine markante, goldene Uhr.
Mein Herz machte einen Satz, mein Mund wahr staubtrocken. Mit einem mal waren all meine Gedanken fort und mein Kopf leer.
Das war unmöglich. Das musste unmöglich sein.
Langsam begann ich realisieren, dass ich reagieren musste. Ich griff hektisch nach meinem Handy auf dem Beifahrersitz, dabei schob ich es ausversehen von der Kante auf den Boden hinunter. Ich lehnte mich zur Seite und fischte mit meiner Hand nach dem Telefon. Als ich es mit meinen Fingern berühren konnte, tippte ich die Schnellwahl ein. Mein Herz pochte wie verrückt.
Das Tüten auf der anderen Seite kam mir vor wie eine Ewigkeit, dann schaltete sich der Anrufbeantworter ein.
"Verdammt", fluchte ich und tippte erneut die Nummer ein. Meine Hände zitterten dabei vor Aufregung. Erneut piepte es unerträglich lange. "Komm schon", flüsterte ich. "Geh' ran, Fallon." Aber auch dieses mal nahm niemand ab.
"Hey, hier ist Fallon. Ihr wisst, wie's läuft", hörte ich ihre weibliche Stimme sagen, dann piepste es einmal.
"Fallon, hier ist Cayden", begann ich atemlos. Ich wollte ihr so vieles sagen, doch ich musste mich auf das Wichtigste beschränken. "Bevor du jetzt wegdrückst, muss ich dir sagen, wer der Täter ist. Ich habe ihn gerade mit meinen eigenen Augen gesehen ... Fallon, du solltest schleunigst von Zuhause weg, bevor -"
Mit einem mal krachte etwas gegen meine Scheibe an der Tür. Der Krach war so ohrenbetäubend, dass ich vor Schreck das Handy fallen ließ. Tausende von Scherben prasselten auf mich nieder, vor denen ich mich so gut es ging jedoch schützte.
Gewaltsam wurde die Tür aufgerissen, jemand griff nach meinem Arm und zerrte mich auf die harte Straße. Mein Kopf knallte mit voller Wucht auf den Asphalt. Jemand packte meine Arme von hinten und hielt sie in einem gelernten Griff fest. Vor Schmerzen jaulte ich auf, doch ich versuchte mich zu beruhigen.
Langsam öffnete ich wieder meine Augen, dabei wanderte mein Blick von den schwarz polierten Lederschuhen den dunkelblauen Anzug nach oben in das Gesicht, das mich mit einer unmenschlicheen Härte ansah. Die Augen waren so kalt und empathielos, dass ich augenblicklich erzitterte.
"Sie", überkam es meine Lippen, dann verspürte ich einen dumpfen Schlag auf den Hinterkopf und alles um mich herum wurde in eine tiefe Dunkelheit gerissen.

Forbidden loveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt