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Fallons P.o.V.

Bei der kleinsten Bewegung merkte ich, wie sich mein Kopf drehte. Ich stöhnte in mein Kissen und hielt mir meinen Magen. Mir war schlecht. So schlecht, dass ich glaubte, ich würde mich auf meinem Bett ohne zu zögern übergeben müssen. Tief atmete ich durch und drehte mich auf meine Rücken. Ich wusste auch ohne in den Spiegel zu schauen, dass ich grauenvoll aussehen musste, doch das war gerade mein geringstes Problem. Langsam gewöhnten sich meine Augen an die Helligkeit in meinem Zimmer, obwohl meine Vorhänge noch zu gezogen waren.
Als ich mich aufsetzte, schoß ein unerträglicher pochender Schmerz gegen meine Schläfen. Erneut konnte ich einen qualvollen Laut nicht unterdrücken. Es fühlte sich an, als würde ein Bohrhammer direkt durch meinen Schädel durcharbeiten.
Ich öffnete wieder meine Augen und sah mich in meinem Zimmer um. Es sah ganz schön chaotisch aus: Auf meinem Bett langen einige ungefaltete Klamotten sowie die Schuhe von gestern abend, mein Schreibtisch schien ganz durchwühlt zu sein.
Ich hielt mir schmerzvoll meine Stirn und überlegte, was gestern passiert war. Ich erinnerte mich and die öde Veranstaltung, an das Gespräch mit Mr DeLaurant und - mein Magen schien zu rebellieren, ich hielt mir die Hand vor den Mund, doch es war nur eine kurze Reaktion auf das, was mich in diese Lage gebracht hatte. Cayden und sein Können, alles, was zwischen uns entstanden ist, innerhalb eines kurzen Momentes den Bach runterfließen zu lassen.
Ich war mir bis jetzt noch nicht einmal sicher, wie ich das auffassen sollte, denn kurz nachdem ich Cayden mit dieser anderen Frau gesehen hatte, hatte ich meine Probleme in einer Flasche des wohl grauenhaftesten Whiskys ertränkt und meine Gefühle somit verdrängt. Und jetzt, wo ich wieder absolut nüchtern war, sollte mein Kopf vor überwältigenden Emotionen durchdrehen, aber ich fühlte nichts. Gar nichts. Keine einzigen Empfindungen, nur erdrückende Leere genau da, wo Cayden mir das Herz aus der Brust gerissen hatte.
Automatisch legte ich mir meine Hand auf mein Dekolltee, doch ich konnte rein gar nichts spüren. Es war so, als hätte ich meine Gefühle in eine Kiste gesperrt und den Schlüssel weggeworfen. Und vielleicht war das auch gut so. Immerhin schien der Gedanke, mich mit meinen falschen Empfindungen gegenüber Cayden auseinandersetzten zu müssen, gerade unerträglich. Ich schaffte es ja noch nicht einmal, mich an den letzten Abend bewusst zu erinnern. Ich saß wie betäubt in meinem Bett und starrte in die Leere, unfähig in meinem Leben weiterzumachen.
Es klopfte leise an meiner Zimmertür und riss mich somit aus meinem Gedankengang. Die Tür wurde einen Spalt geöffnet und mein Onkel Jack schaute hindurch.
"Guten Morgen", murmelte er vor sichtig und ich zwang mich zu einem kleinen Lächeln, aus dem jedoch nur eine undefinierbare Grimasse wurde. Er trat hinein und setzte sich auf meine Bettkante. Still beobachtete er mich für einige Momente, während ich meine Bettdecke anstarrte. Ich konnte ihm noch nicht einmal in die Augen sehen. Die Situation gestern geriet definitiv außer Kontrolle, was mir total peinlich war.
"Wie geht es dir?", fragte er nach einiger Zeit der Ruhe. Ich schluckte meinen Kloß hinunter und wagte einen Blick in sein Gesicht.
"Beschissen", schnaubte ich, was ihn zum schmunzeln brachte.
"Erinnerst du dich noch daran, was gestern passiert ist?"
Ich legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen. "Verschone mich, bitte."
Erneut lachte er leise auf, dann folgte eine Pause, die mich meine Lider wieder öffnen ließ. Mit einem Blick forderte ich ihn scheu auf, zu beginnen solang ich meine Meinung nicht änderte.
"Alice hat dich auf den Stufen zu unserem Anwesen gefunden, völlig betrunken und völlig unterkühlt. Sie hatte erzählt, dass du vermutlich hingefallen bist, die Glasflasche zerbrochen ist und dir deshalb einige kleine Wunden an Händen und Knien zugefügt hast."
Oh Gott, es war noch schlimmer, als ich es in meinen Erinnerungen wahrgenommen hatte. Ich biss mir vor Scham so stark auf die Unterlippe, bis ich Blut schmeckte.
"Du hattest mittlerweile aufgehört zu weinen, doch dein verschmiertes Makeup verriet dich sofort. Sie hatte mich hinzu geholt und mich dich in dein Zimmer hinauf tragen lassen. Dass du getrunken hattest, konnte ich an deiner Alkoholfahne erkennen. Ich habe dich in dein Bett gelegt, doch kurz drauf bis du aufgesprungen und ins Bad gerannt, wo du dich sicherlich eine ganze Stunde übergeben hast. Währendessen hast du wieder angefangen zu weinen und irgendwelche Sätze zu murmeln, ..." Ich setzte mich ruckartig auf. Ich hatte Sätze gemurmelt. Etwa über Cayden und mich? Wenn ja, wäre das mein Untergang. "... allerdings habe ich nie wirklich verstanden, was du gesagt hast."
Erleichtert atmete ich unauffällig aus und sank zurück in mein Bett. "Irgendwann saßt du nur noch auf dem kalten Boden des Badezimmers und hast vor dich hin gestarrt, bis ich dich wieder ins Bett getragen hatte und du sofort eingeschlafen bist."
Ich ließ meinen Kopf in meine Hände sinken. Ich hatte noch nie, niemals, die Kontrolle verloren, obwohl es schon so manche Gelegenheiten gab, und jetzt, wo mich ein Kerl verletzt hatte, schien ich mich komplett fallen zu lassen. Dabei hatte er es noch nicht einmal verdient. Cayden war genauso egoistisch wie seine gesamte Familie. Es war ihm egal, welche Folgen sein Handeln für andere hatte. Er tat einfach das, wonach ihm gerade Lust war, ohne an die Konsequenzen nachzudenken. Mir stiegen Tränen in die Augen. Ich wollte nicht weinen, nicht vor meinem Onkel, und ganz sicher nicht wegen Cayden. Er war keine meiner Tränen wert, und obwohl ich mir das immer wieder einredete, konnte ich nicht anders, als vor Schmerz zu weinen. Er hatte mir so, so verdammt weh getan und es schien ihm scheiß egal zu sein. Den Blick, den er mir zu warf, würde ich vermutlich nie wieder aus meinem Kopf bekommen. Er war ohne jegliche Reue, er hatte noch nicht einmal Mitgefühl gezeigt. Es war, als hätte er einen Schalter umgelegt und eine andere Persönlichkeit entwickelt. Ich hatte ihn nicht wieder erkennen können. Der Cayden, den ich kennen gelernt hatte, schien nicht mehr zu existieren. Es schien so, als hätte es ihn auch nie gegeben, als hätte ich mir seine humorvolle und liebenswürdige Art die letzten Monate nur eingebildet haben, als hätte ich mich in etwas hineingestürzt, dass nur ich sehen konnte. Ich hatte ihm mein ganzes Vertrauen geschenkt und er hatte es innerhalb von ein paar Sekunden gebrochen. Wie konnte ich nur so verdammt dumm sein und denken, dass er anders war als die anderes? Oder, dass er sich wegen mir, einer Cunnigham, ändern würde? Er hatte nur mit mir gespielt, so wie es alle DeLaurants eben mit einem Cunnigham machen. Er war sich selber wichtiger, als alle anderen.
Ich versuchte ein Schluchzen zu unterdrücken, doch es gelang mir nicht. Kurz darauf spürte ich wie die Matratze neben mir nach gab und mich mein Onkel still in den Arm nahm. Ich drückte mein Gesicht an seine Brust und tränkte mit meinen Tränen sein glatt gebügeltes Hemd.
"Willst du mir nicht erzählen, was los ist?", fragte er in die Stille hinein und strich mir sanft über den Kopf.
Ich würde ihm so gerne darüber aufklären, warum ich gerade weinte, wieso ich mich gestern betrunken hatte.
Ich würde ihm gerne erzählen, was mir für Gedanken durch den Kopf gingen, welche Vorwürfe ich mir gerade machte.
Ich hätte ihm so gerne einfach alles erzählt. Nicht nur, weil er gerade für mich da war, oder er vermutlich meine nahste Bezugsperson war, sondern weil ich einfach jemanden brauchte, mit dem ich darüber reden konnte. Seit Monaten trug ich dieses anfänglich kleine und jetzt immer größer werdende Geheimnis mit mir herum, ohne jegliche Möglichkeit irgendjemandem davon zu erzählen. Doch seither hat sich vieles geändert, vieles, dass ich alleine tragen musste. Und jetzt, wo Cayden weg war, fühlte es sich an, als wäre ich vollkommen alleine, gerade weil ich mit niemandem mein Geheimnis teilen konnte. Ich war so verdammt einsam, und das obwohl ich noch meinen Onkel Jack, Alice oder meinen eigenen Vater hatte.
"Ich kann nicht", flüsterte ich mit Tränen erstickter Stimme. Ich konnte nicht, weil es niemand verstehen würde, weil jede Person, die meine Gefühle nicht nachempfinden konnte, es verurteilen würde, und das ohne mit der Wimper zu zucken.
Was hatte ich mir dabei gedacht? Dieses Verhältnis war zum Scheitern verurteilt, bereits als mich Cayden angesprochen und mir das Angebot gemacht hatte, den Mörder meiner Familienmitglieder zu finden. Ich hätte schlauer sein müssen, ich hätte die Warnsignale nicht ignorieren dürfen. Einem DeLaurant konnte und kann man nicht vertrauen, niemals, das hatte mich bereits unsere Jahrzehnte lange Feindschaft gelehrt - und doch hatte ich mich einfach darauf eingelassen. Wie ein naives Kind hatte ich mich fallen lassen und jetzt, nachdem Cayden vermutlich das bekommen hatte, worauf er von Anfang hinter her war, landete ich auf dem Boden der Tatsachen. Er hatte mich ausgenutzt, ausspioniert und weiß Gott noch was. Er hatte mich benutzt. Wie ein Spielzeug, das nun nicht mehr interessant genug für ihn warf, hatte er mich weggeworfen.
"Kann ich irgendetwas für dich tun?", fragte Onkel Jack stattdessen nach ein paar Augenblicken der Ruhe. Ich biss mir auf die Unterlippe, um mein Atem zu kontrollieren. Mein Herz pochte wie wild gegen meine Brust, jeder Schlag zeigte mir den stechenden Schmerz, den Cayden - nein, ich - mir selber zugefügt hatte.
Ich schloss die Augen und wischte mir die Tränen von den Wangen, doch es war zwecklos, da bereits Neue über meine glühende Haut rollten. "Nein", wisperte ich heiser und krallte mich in sein Hemd.
Keiner konnte mir helfen.

Forbidden loveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt