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Fallons P.o.V.

Ich breitete die Blätter alle samt auf meinem Bett aus, um mir einen Überblick verschaffen zu können. Doch das schien fast unmöglich, denn es waren um die fünfzig Papiere.
Jemand klopfte an meiner Glasbalkontür und ich schreckte zusammen. Ich warf einen Blick zuerst auf die Uhr und dann über meine Schulter.
Schließlich stand ich auf und öffnete die Tür. "Du bist zu spät", murmelte ich und Cayden zuckte mit den Schultern.
"Ich wurde eben aufgehalten", erklärte er knapp und sah sich um. Es war seltsam einen DeLaurant in meinem Zimmer zu sehen, immerhin hatte ich mir geschworen, so etwas niemals passieren zu lassen. "Unsere Väter scheinen wohl jetzt nicht nur im Geschäft zusammen zu arbeiten."
Ich drehte meinen Kopf in seine Richtung. "Ja, scheint so."
Cayden wies mit einer Kopfbewegung auf die Papiere, die ich in der Hand hielt.
"Das ist die Akte. Ich habe Kopien von jeder einzelnen Seite gemacht", erklärte ich.
Er staunte nicht schlecht. "Wie bist du an sie heran gekommen?"
Ich konnte mir ein siegerisches Grinsen nicht verkneifen. "Beziehungen und ein Talents für's unbemerkte Stehlen."
Cayden wandte den Blick von mir. "Diese Dokumente durchzuschauen dürfte eine halbe Ewigkeit daueren." Er klang genervt, was mich sauer machte. Es war nicht mein Plan, herauszufinden, wer meinen Großcousin umgebracht hatte. Seine Naivität, zu glauben, dass man einen Mord in einer ganzen Nacht lösen würde, machte es nicht gerade besser. So etwas passierte vielleicht in guten Krimifilmen, aber nicht im echten Leben.
Ich setzte mich auf mein Bett und seufzte. "Du schaust die eine Hälfte durch und ich die andere. Damit sollte es nur noch eine viertel Ewigkeit dauern", wies ich ihn an.
Ich könnte schwören, dass er bei meiner Bemerkung gelächelt hatte, doch vermutlich sprach da nur die Müdigkeit aus mir. Es war vielleicht nicht sonderlich schlau, sich um Mitternacht zu treffen. Diese Arbeit würde sicherlich einige Stunden dauern, doch anders konnten wir keinen Kontakt zubeinander aufnehmen. Am Tag war es viel schwerer nicht mit dem Feind gesehen zu werden, während die Nacht einem dabei nur in die Karten spielen konnte. Außerdem wollte ich es auch nicht riskieren, mit Cayden DeLaurant gesehen zu werden. Es würden schnell Gerüchte entstehen. Gerüchte wie, dass wir uns angefreundet hatten, was totaler Blödsinn war. Ich würde mit keinem einzigen DeLaurants eine engere Beziehung eingehen, außer sie war geschäftlich - wie sie es in diesem Fall auch war. Es war ein reines Geschäft zwischen Cayden und mir. Wenn dieser Fall gelöst worden war, konnten wir wieder getrennte Wege gehen und uns diese Höflichkeiten ersparen. Ich konnte es kaum erwarten, wenn dieser Tag anbrechen würde.
"Sein ganzes Leben wurde ja dokumentiert", stellte Cayden erstaunt fest und ich lief zu ihm rüber. Er übergab mir ein Blatt, welches seinen Lebenslauf detailliert wiedergab. Je älter er wurde, desto mehr Informationen waren über ihn niedergeschrieben worden. Bei manchen Details fragte ich mich, wie jemand zu diesen Informationen kommen konnte, da sie teilweise mehr als privat waren - sein Liebesleben eingeschlossen.
"Ob unsere Familien auch solche Akten über uns haben?", fragte er in die Stille hinein und ich überlegte. Möglich wäre es aufjedenfall. Ich würde es meinem Vater zumindest zutrauen.
"Meine wäre bestimmt doppel so dick", meinte ich und sah dabei auf die vielen Blätter, die alleine zu meinem Cousin gehörten.
"Genauso wie meine", steuerte Cayden mir unbewusst bei.
Ich überlegte, was er damit gemeint haben könnte, doch die Frage war wohl eher, was er noch nicht alles getan hatte. So weit ich mitbekam war er in den letzten Jahren zum richtigen Rebell geworden. Neben Partys, Alkohol am Steuer und anderen kleineren Übeln waren sicherlich unerlaubte Schießereien und körperliche Gewalt an normalen Zivilisten, die weder Teil seiner noch unserer Familien waren, die Kirsche auf der Torte. Es schien fast so als würde er es darauf anlegen, ungeschlagen zu sein. Ich konnte ihm sicherlich nicht das Wasser reichen, dafür hatte ich einfach zu viel Respekt und auch Vernunft. Ich würde niemals etwas tun, dass meinen Vater noch enttäuschter werden ließ, als er eh schon von mir war. Doch auch ich konnte vor einem Kampf manchmal nicht einfach davon rennen.
"Was steht am Ende der Aufzeichnungen? Seine letzten Tage auf der Erde müssten immerhin auch noch dokumentiert worden sein." Caydend durchwühlte den Stapel und las sich die Details durch. "Es wird nichts über ein Treffen mit einem Unbekannten gesagt", meinte er, doch er hielt inne. "Warte. Hier steht, dass es ein Telefonat zwischen einem DeLaurant und ihm zwei Tage vor seinem Tod gab."
Ich schaute auf. "Steht dort, mit wem er gesprochen hatte?", fragte ich nach, doch Cayden schüttelte den Kopf.
"Hier wird aufgelistet, dass er in seinen letzten Tagen immer wieder dieselbe Nummer gewählt hatte." "Was sollte ein Cunnigham so dringendes mit einem DeLauant zu besprechen haben?"
Cayden legte den Kopf auf meiner Schreibtischstuhllehne ab und dachte nach, so wie ich. "Vielleicht hatten sie eine einfache geschäftliche Beziehung  zu einander. Davon gibt es einige", schlug er vor, doch ich war nicht wirklich überzeugt. Besonders, weil ich mir nicht vorstellen konnte, dass ein Cunnigham mir einem DeLaurant freiwillig zusammen arbeiten würde.
"Es können hunderte von Gründen sein. Das bringt uns nicht weiter."
"Ist dir jemand aufgefallen, der die letzten Tage oft am Telefon war?" Cayden entließ Luft aus seinen Lungen. "Ich habe nicht darauf geachtet, um ehrlich zu sein."
Wie konnte ich auch denken, dass sich ein DeLauant um andere statt um sich selber kümmern würde? Ich lief zu meinem Bett und sah weitere Blätter durch, bis mir ein sehr interessantes Dokument in die Hände fiel. "Cayden."
Er drehte den Stuhl in meine Richtung. "Das ist der Autopsiebericht." Ich hielt das Blatt in die Höhe. Er stand auf und lief zu meinem Bett.
"Was steht drin?" Ich las über einige Zeilen.
"Viele medizinische Fachbegriffe", erklärte ich langsam. Sie sagten mir rein gar nichts.
"Hier." Cayden setzte sich auf die Bettkante und nahm das Papier in die Hände. Unwahrscheinlich, dass er mehr herausfinden könnte als ich, aber ein Versuch war es wert. "Knochenfrakturen an den Rippen", entgegnete er und sah mich an. Ich blinzelte. Cayden kannte sich also mit medizinischen Fachbegriffen aus. Sehr interessant und endlich einmal nützlich. Er bemerkte, wie ich ihn überrascht anstarrte, woraufhin er lediglich mit den Achseln zuckte. "Ich schaue eben gerne Krimis."
Ich schüttelte meine Gedanken bezüglich seines medizinischen Fachwissens ab und wandte mich lieber den wichtigeren Dingen, wie dem Mord, zu. "Was steht noch drin?", fragte ich eifrig.
Er überflog mit den Augen die Zeilen. "Ihm wurde die Nase gebrochen. Oh wow", ich sah ihn ungeduldig an.
"Was? Was steht da noch?", fragte ich nach, als er ruhig blieb.
"Seine Luftröhre wurde ihm zerquetscht."
Ich blinzelte und schnappte nach Luft. Edwart sah an seiner Beerdigung zwar nicht gut aus, aber dass es wirklich so schlecht um ihn stand, hätte ich nicht erwartet.
"Er wurde erstickt?", fragte ich nach, doch Cayden schüttelte den Kopf.
"Es war schlussendlich ein Stich ins Herz."
Nach einiger Zeit der Stille wandte Cayden wieder den Blick zu mir. "Wer sollte ihm so etwas grauenvolles antun?"
Ich rieb mir die Schläfen. Es könnte jeder der DeLauants gewesen sein. "Eine Frau könnte das nicht getan haben."
Er nickte und schnaubte. "Das schrenkt die Sache nicht gerade ein." Es stimmte. Die DeLauants brachten fast nur Jungen zur Welt. Wirklich komisch, wenn ihr mich fragt, aber man kann an der Biologie nichts ändern.
"Gibt es ein Täterprofil?", fragte er stattdessen. Etwas, worüber ich noch nicht nachgedacht hatte. Ich blickte umher und fand schließlich das passende Dokument.
"Er muss um die 1.90 Meter sein, denn die Würgespuren zeigten, dass derjenige Edwart problemlos überragte", dachte ich nach.
"Außerdem muss er kräftig genug sein, um solche Verletzungen erreichen zu können", murmelte Cayden neben mir und ich nickte.
"Jemand der regelmäßig trainiert. Er musste Edwarts Schwächen während der Trainingsstunden studiert haben." "Derjenige musste die Tatwaffe und seine Klamotten vernichten. Etwas, was man nicht innerhalb einer Nacht tun könnte, zumindest nicht alles."
Ich hielt inne. "Wer war am Morgen danach nicht sofort anwesend bei euch? Wer hatte gefehlt?"
Caydens Augen hüpften von einem Punkt zum anderen, bis sie nach einigen Minuten an einer Stelle verharrten. Sein Blick verdunkelte sich. "Harvey", raunte er und wandte sich zu mir. "Harvey war nicht da."

Forbidden loveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt