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Fallon P.o.V.

Cayden ließ sich neben mir nieder und zog einen Flachmann aus seiner Jacke hervor. Ich sah ihn mit hochgezogener Augenbraue an.
"Was?", murmelte er und setzte den kleinen Behälter an seinen Lippen an. "Es war ein harter Tag."
Ich schmunzelte, doch verübeln konnte ich es ihm nicht.
"Darauf, dass ich herausgefunden habe, dass mein Cousin, der für mich wie ein Bruder ist, meine Familie hintergeht", stieß er grinsend aus und ich lachte neben ihm auf. Nachdem er einen Schluck trank, reichte er mir die Flasche.
"Darauf, dass dein Vater mir gedroht hat, mir etwas anzutun." Ich kippte einen Schwall von dem brennenden Zeug in meinen Rachen und verzog augenblicklich das Gesicht. Mein Mund schien wie betäubt zu sein, aber ich mochte das Gefühl.
Cayden warf mir einen fragenden Blick zu, als er den Flachmann entgegen nahm.
"Als dein Vater mich um einen Tanz gebeten hat, sprach er seine Zweifel gegenüber dem Zusammenwirken unserer Familien aus. Er will nun ab sofort keine weiteren Unannehmlichkeiten, weshalb er mir gedroht hat", erklärte ich kopfschüttelnd.
Cayden rieb sich über das Gesicht. "Klingt ganz nach meinem Vater." Er räusperte sich und hielt den Behälter in die Luft. "Darauf, dass wir in die Privatsphäre von Harvey eingedrungen sind", meinte er und nahm einen Schluck. Er übergab ihn mir wieder, sodass ich einen neuen Toast bringen konnte.
"Darauf, dass wir das einzige Beweismittel verloren haben, dass uns in diesem Fall weiterbringen würde", entgegnete ich mit einem tiefen Seufzer am Schluss. Cayden nickte neben mir. Die braune Flüssigkeit rinnte meinen Hals runter. Ich stieß einen angeekelten Ton aus.
Cayden grinste neben mir auf. "Darauf, dass ich dir zwischen die Beine greifen durfte."
Für diesen Satz kassierte er von mir einen heftigen Schlag gegen den Arm, sodass er unweigerlich zur Seite fiel. Ich schüttelte lächelnd den Kopf. Unglaublich ... Dabei war ich mir ziemlich sicher, dass er noch ein oder zwei Sprüche über diesen Moment verlieren würde.
"Ich werde dich sicherlich kein zweites mal draum bitten, das ist sicher." Cayden zog einen Schmollmund, was mich zum Lachen brachte.
Für einige Momente war es plötzlich ganz ruhig, aber es störte uns nicht. Wir ließen, jeder für sich, unsere Gedanken einfach freien Lauf. Es war absurd, dass ich mich neben Cayden befand ohne eine Abneigung zu empfinden. Keine Ahnung, ob man das zwischen uns schon Freundschaft nennen konnte - vielleicht waren wir eher gute Bekannte.
"Fallon?", fragte er in die Stille hinein und ich sah ihn von der Seite an. Es war das erste mal, dass ich ihn bewusst meinen Namen sagen hörte. "Hm?"
Cayden warf mir einen scheuen Blick zu, was mich nervös machte. Cayden DeLaurant war nie, niemals, schüchtern. Er war alles, aber nicht scheu. "Kann ich dich etwas fragen?"
Ich lächelte. "Das wirst du so oder so tun." Cayden warf mir ein kurzes Grinsen zu, dann wurde er wieder etwas ernster.
"Als ich dich berührt habe, ..." Ich wusste aus Intuition heraus, was er fragen wollte. Ich wandte den Blick nach vorne auf die Straße. "..., bist du zusammengezuckt ... Du lässt dich nicht gerne anfassen, oder?"
Es war ein Fehler zu denken, dass er so etwas nicht bemerkt hatte. Ich stieß die Luft aus meinen Lungen aus. Ich hatte niemandem davon jemals erzählt, nicht einmal Alice. Der einzige, der es wusste, war mein Vater, doch mit ihm würde ich sicherlich nicht über solche Dinge sprechen. Es war also noch unvorstellbarer, dass ich Cayden darüber einweihen würde. Aber in dem Moment vertraute ich ihm irgendwie, obwohl ich nicht wusste, wieso. Vielleicht, weil er ganz anders war, als ich ihn davor eingeschätzt hatte. "Als ich sechzehn war, hatte mein Vater statt einer Geburtstagsfeier für mich, lieber ein Geschäftsessen geplant", begann ich zu erzählen. Ich vermied es, Cayden dabei anzusehen. Ich befürchtete, dass er Mitleid mit mir haben könnte, aber ich brauche definitiv kein Mitleid. "Wie immer endete das Geschäftsessen mit einer nächtlichen Poker- und Trinkrunde. Das war nichts neues für mich, aber an diesem Abend verirre sich einer der Gäste zu mir ins Zimmer. Er war so betrunken, dass er noch nicht einmal bemerkt hatte, dass er sich in meinem Zimmer aufhielt." Ich hielt inne und kaute kurz auf meiner Unterlippe herum. Das war nichts, was man alle Tage von sich gab. "Ich war am schlafen, doch ich wurde wach durch das Öffnen der Tür. Sie war so alt, dass sie bei jeder Bewegung laut quietschte." Cayden beobachtete mich von der Seite, doch ich konnte ihm kaum Beachtung schenknen, weil ich diese eine Nacht Revue passieren ließ. "Ich erinnere mich nicht mehr daran, wie es passiert war. Dafür war ich einfach zu erschrocken. Der Mann legte sich zu mir ins Bett, doch er bemerkte mich nicht, weil ich bis ans andere Ende gerutscht war." Meine Fingernägel bohrten sich tief in meine Handflächen. Jeder kleinste Gedanke an diese Erinnerung würde ich am liebsten löschen. "Ich versuchte aufzustehen, aber er packte mich plötzlich am Handgelenk und zog mich gewaltsam zu sich. Ich bekam fast keine Luft, so schwer lag sein Gewicht auf mir. Mein Vater, er -" Ich versuchte mich mit geschlossenen Augen nochmals dran zu erinnern. "Er bemerkte, dass einer seiner Partner fehlte und fand ihn schließlich bei mir. Er packte ihn und -" Ich verzog leicht das Gesicht. "- und zog ihm aus dem Bett. Er nahm ein Messer und ... Ich hörte nur noch ein qualvollen Laut aus dem Mund des Mannes, der vor ein paar Sekunden noch neben mir lag." Ich biss mir auf die Unterlippe. Cayden beobachtete mich weiterhin, ich erwiederte endlich seinen Blick. "Ich weiß, es ist zwei Jahre her, aber ich ..."
"Du musst dich nicht vor mir rechtfertigen, Fallon." Seine Stimme war so sanft, dass ich ihn anlächelte. "Dein Vater, er hat nicht mehr mit dir darüber gesprochen?", fragte er nach, doch ich schüttelte nur den Kopf. "Ich denke, sobald er diesen Mann ... tot ... gesehen hatte, war für ihn die Sache erledigt." Mein Lächeln wurde schwächer, als ich mit meinen Schultern zuckte. Cayden sagte nichts mehr, aber ich war ihm dankbar dafür. Ich wollte jede weitere Erinnerung wieder verdrängen.
"Mein Vater ist so wie deiner", murmelte er in die Stille hinein. Ich warf ihm einen Blick zu. Caydens Augen huschten von einem Punkt zum anderen. Er dachte über etwas nach, ich sah es ihm sofort an. "Er vergöttert meinen größeren Bruder, er ist der perfekte Nachfolger für ihn. Und die Zwillinge, er kann ihnen alles vergeben", erzählte er und wandte seinen Kopf zu mir. "Da bleibt nicht viel übrig für mich." Er zuckte mit den Schultern.
"Das tut mir leid", murmelte ich, aber er lächelte mich gleich an. "Das muss es nicht. Ich bin froh, dass es so gekommen ist. Ich habe gelernt, auf eigenen Beinen zu stehen."
Meine Mundwinkel hoben sich bei dieser Bemerkung. Es war schön zu hören, wie er irgendwie dasselbe wie ich durchmachen musste. Ich kannte niemand anderes, der so war wie ich.
"Mein Vater hatte sich schon immer einen Sohn gewünscht. Als ich auf die Welt kam, hatte er mich nie so angesehen, wie meine Cousins. Ich schätze, dass hat mich dazu verleitet, immer die Beste in allem sein zu müssen."
"Um deinem Vater zu gefallen?"
Ich rieb mir über die Handflächen. "Ich glaube schon." Meine Augen blieben an Caydens Gesicht hängen. "Deswegen nehme ich das Training auch so ernst. Deswegen kann ich nicht einfach Nein zu einem Kampf sagen."
Cayden überlegte kurz. "Auch nicht, wenn du gegen mich antreten würdest?", grinste er und ich lachte. "Selbst dann nicht. Deshalb überleg' dir zweimal, ob du mich wirklich herausfordern willst. Anderenfalls könnte es dir so wie Harvey ergehen."
Cayden rollte mit den Augen. "Ich würde definitiv meine Deckung besser halten."
Ich verkniff mir ein weiteres Lachen. "Tut mir leid wegen Harvey", fügte er nach einer Weile hinzu und ich sah auf.
"Du musst dich nicht für ihn vor mir rechtfertigen", meinte ich sofort. Auch wenn Harvey ein Teil von seiner Familie ist, sollte er nicht für ihn einstehen. Er traf seine eigenen dämlichen Entscheidungen.
"Ich meine ja nur, er hatte schlimme Worte gesagt. Das war respektlos dir und deiner Familie gegenüber", meinte er und ich nickte dankend. "Es tat gut, dass ihm jemand mal eine verpasst hatte."
Ich grinste neben ihm. "Es hatte sich auch gut angefühlt." Cayden lachte neben mir auf. Erst jetzt erkannte ich, wie wenig ich ihn jemals lachen gehört hatte. Aber es stand ihm gut. Er wirkte so viel zufriedener, was mich inne halten ließ. Er lachte wegen mir? Mir schoss plötzlich die Röte ins Gesicht, was mir vorher noch nie passiert war.
Ich räusperte mich und stand schließlich von der Dachkante auf. "Ich denke, ich sollte jetzt ..."
Zuerst sah mich Cayden verdutzt an, doch dann fasste er sich wieder und stand ebenfalls auf.
"Gute Nacht, Fallon", entgegnete er mit rauer Stimme. Ich konnte an nichts anderes mehr als dieses Lächeln in seinem Gesicht sehen. Es hatte sich regelrecht in mein Gedächnis eingebrannt, was mich innerlich irre machte. Ich musste hier ganz schnell weg.
"Gute Nacht, Cayden", flüsterte ich unsicher und drehte mich in die entgegengesetzte Richtung um. Spätestens als ich mich in meinem Zimmer befand, rannte ich zu einem Spiegel und sah mich an. Meine Wangen zeichneten einen warmen Fabton ab. Ich verzog das Gesicht. Cayden hatte mich verlegen gemacht? Cayden DeLaurant? Das größte Arschloch, das ich kannte? Ich bemerkte, wie meine Haut wieder an normaler Farbe gewann, was mich schließlich aufatmen ließ.

Forbidden loveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt