Fallons P.o.V.
Anstatt mich jetzt auf die Flucht zu konzentrieren, waren meine Gedanken nur noch bei Cayden. Ich musste ihn sofort finden, denn wenn ihm auch nur irgendetwas passiert war, dann könnte ich es mir nie verzeihen.
Ohne auch nur weiter darüber nachzudenken, rannte ich los. Es kam mir vor, als wäre der Weg endlos, aber irgendwann erreichte ich die Stelle, an welcher ich Cayden zurückgelassen hatte. Aber er war nicht da.
Das Blut gefror mir in meinen Adern. Mein Köper begann aus Angst um ihn zu zittern. Ich hätte ihn nicht allein lassen dürfen, ich hätte mich nicht von ihm trennen dürfen. Egal, wie viel Zeit wir gebraucht hätten, um von hier zu fliehen, es wäre sicherer gewesen, wenn wir zusammengeblieben wären.
Plötzlich hörte ich Stimmen, zwei um genau zu sein. Die eine würde ich unter tausenden wiedererkennen können, Caydens. Aber auch die andere war mir nicht fremd, denn es war diejenige, die mich bereits seit meiner Geburt begleitete, die meines Onkels.
Vorsichtig näherte ich mich den Stimmen, doch ich blieb hinter den Paletten versteckt. Ich sah, wie mein Onkel Cayden gewaltsam den Oberarm um die Kehle legte und ihn damit von hinten würgte. In seiner anderen Hand hielt er eine Schusswaffe.
„Du wirst mir jetzt auf der Stelle sagen, wo meine Nichte ist", raunte Onkel Jack Cayden laut genug ins Ohr, dass selbst ich die Drohung problemlos verstehen konnte.
Cayden versuchte sich aus seinem Griff zu wehren, was unter anderen Umständen vermutlich problemlos geklappt hätte, wenn er nicht so kraftlos wäre.
„Sie ist bereits weg", knurrte Cayden genauso bedrohlich und fletschte dabei die Zähne.
Mein Onkel entließ ein Schnauben, welches so gefährlich klang, dass ich Gänsehaut bekam. Sein anschließendes Grinsen wirkte hämisch. „Meine Nichte würde dich nicht einfach im Stich lassen", entgegnete er überzeugt, dann verzog sich seine Mimik. „Dafür liebt sie dich viel zu sehr."
Solche bedeutenden Worte über mich zu hören, war komisch. Ich hatte mir zwar oft Gedanken darüber gemacht, ob das, was zwischen Cayden und mir war, über das Verliebtsein hinausging, aber ich hatte mich nie getraut, die Worte ernsthaft in den Mund zu nehmen. Es war mehr als seltsam, dass mein Onkel stattdessen zu dieser Erkenntnis kam, und das, obwohl er offensichtlich ein Psychopath war, der zum Lieben nicht im Stande war.
„Sie hat mich zurückgelassen, das habe ich Ihnen oft genug gesagt", widersprach Cayden sofort.
Auch wenn ich wusste, dass er das nur sagte, um mich zu schützen, konnte ich seiner Intention nicht Folge leisten. Ich hatte es versprochen, ich würde ihn hier lebend rausbringen.
Mein Onkel richtete die Waffe gegen Caydens Schläfe. „Dann hat sie damit dein Todesurteil unterschrieben", murmelte er mit angespannter Haltung.
Er würde abdrücken. Ich wusste es einfach. Mein Onkel hatte bereits zwei Menschenleben auf dem Gewissen, vielleicht auch sogar mehr, da würde ein weiteres Opfer auch nichts mehr ausmachen.
„Nein!" Meine Stimme hallte durch den riesigen Lagerraum.
Mit erhobenen Händen trat ich hinter den Paletten hervor, dabei achtete ich bei jedem Schritt darauf, nicht zu schnell zu reagieren. Zu groß war die Angst, dass mein Onkel sich bedroht fühlen und einfach abdrücken könnte.
„Fallon", begrüßte Onkel Jack mich mit einem zufriedenen Grinsen.
Caydens Gesicht wurde ganz bleich, als er mich sah. Er hatte versucht, mich zu warnen, mich zu schützen und zu retten. Aber ich würde ihn niemals im Stich lassen, auch wenn das hieß, dass ich meine Schuld mit meinem Leben begleichen musste.
„Bitte", flüsterte ich aufrichtig. „Lass' ihn gehen, er hat nichts getan, okay? Das ist eine Sache, die deine Familie betrifft." Ich versuchte auch nur irgendeinen Nerv bei ihm zu treffen, aber langsam glaubte ich tatsächlich, dass er keinerlei Gefühle aufbringen konnte. Nicht, wenn er für sein Geschäft Menschen umbringen konnte.
Sein Mund verzog sich zu einem spöttischen Grinsen. „Er hat nichts getan", wiederholte er leise. Von einer auf die andere Sekunde änderte sich sein Ausdruck, er wirkte vielmehr wütend. „Er steckt da genauso drin, wie alle anderen, seit er sich dazu entschieden hatte, den Mörder zu suchen, der zwei Mitglieder seiner Feindesfamilie umgebracht hatte."
Ich schluckte meinen Kloß hinunter und hielt inne. „Das alles war mein Plan", begann ich, doch Cayden unterbrach mich gleich.
„Fallon, nicht." Ja, ich log gerade, aber das war die einzige Möglichkeit, um Cayden hier rauszuschaffen. Wer wusste schon, wie weit mein Onkel gehen würde?
„Ich bin diejenige, die ihn da mit reingezogen hat", setzte ich erneut an. Mittlerweile trennten uns nur noch gut drei Meter voneinander. „Ich bin diejenige, die ihn in alles eingeweiht hatte."
Mein Onkel schüttelte leicht mit dem Kopf. „Dann hast du ihn auch dazu angestiftet, mich heimlich zu beobachten und zu enttarnen?" Die Frage war nicht wirklich ernst gemeint, denn wir alle wussten, dass nach unserer Trennung der Plan erstmal auf Eis gelegt worden war. Wir hatten definitiv keinen Nerv übrig, um den Täter zu finden, und schon gar nicht gemeinsam. Es war also Caydens alleinige Entscheidung, meinen Onkel zu überführen, auch wenn ich nicht genau verstand, wieso er sich trotz unseres angespannten Verhältnisses in eine so unglaublich gefährliche Lage brachte.
„Dachte ich es mir", murmelte er. Sein eiskalter Blick durchdrang meinen gesamten Körper. Es war komisch daran zu denken, wie stark sich sein Verhalten von einer auf die andere Sekunde ändern konnte. „Dann hat er dir auch mit Sicherheit nicht erzählt, wie er das ganze angestellt hat, oder?"
Meinen Herzschlag konnte ich bin in meine Fingerspitzen wahrnehmen. Noch nie war ich so angespannt, wie in diesen Momenten. Ich musste immer damit rechnen, dass mein Onkel etwas unüberlegtes Gefährliches machen könnte, das Cayden noch mehr schaden würde als er es bereits getan hatte.
Die Augen meines Onkels wanderten von mir zu dem Jungen, der sich kaum noch auf den eigenen Beinen halten konnte. Sein Körper fing an vor Schwäche bereits zu zittern, aber Cayden zwang sich dazu, weiterzumachen.
„Willst du es ihr erzählen?", fragte mein Onkel ihn in einer Tonlage, die täuschend sanft klang. „Oder soll ich?"
Cayden wehrte sich gegen den festen Griff, aber Onkel Jack ließ nicht locker.
„Er hat über seinen Cousin Harvey einen Notfall vorgetäuscht, um mich aus der Reserve zu locken", antwortete mein Onkel selbst auf seine Frage. „Doch Sanchéz hat nun einmal einen wirklich guten Riecher für Fallen. Er hat mich angerufen und mir von der ungewöhnlichen Situation erzählt." Sein Blick wanderte von mir zu Cayden. „Dabei war ich ihm bereits einen Schritt voraus." Ein zufriedenes Grinsen erschien auf seinem Gesicht. „Und weißt du auch, wieso er das ganze gemacht hat?" Als weder ich noch Cayden etwas antwortete, fuhr er selber fort. „Weil er die Gunst seiner Angebeteten zurückgewinnen wollte."
Caydens Augen trafen meine. Es war lange her, dass wir so intensiven Augenkontakt miteinander austauschten, und obwohl eine Menge zwischen uns passiert war, konnte ich diese Spannungen sofort wieder fühlen. Er war der Einzige, der mir so ein unbeschreiblich eindringliches Gefühl geben konnte, dabei standen wir noch gut zwei Meter auseinander.
Das Grün seiner Augen leuchtete, was mir bewusst machte, dass mein Onkel Recht hatte. Er tat es wegen mir, nicht wegen des Plans oder seiner Familie, sondern einzig und alleine wegen mir. Meinetwegen hatte er diese Gefahr auf sich genommen, meinetwegen tat er alles dafür, um endlich Gewissheit zu bekommen, wer Edwart und Cory umgebracht hatte.
Diese Bindung, die wir zueinander aufgebaut hatten, war also echt. Er hatte mich belogen, als er sagte, dass er nichts für mich empfand, dass das alles nur gespielt war. Auch wenn ich mir bis jetzt nicht hundert Prozent sicher sein konnte, was der wahre Grund für unsere Trennung war, wusste ich immerhin, dass er das alles nie von sich aus wollte, dass es etwas - oder jemanden - gab, vor dem er mich beschützen musste. Und er tat alles dafür, damit er mich wieder davon überzeugen konnte, ihm wieder zu verzeihen.
Unbewussten bildeten sich Tränen, die zeigten, wie viel Cayden mir immer noch bedeutete.
„Und das, obwohl er ein DeLaurant ist", fügte mein Onkel hinzu, was die Verbindung zwischen uns brach.
In mir kochte mit einem mal diese ungebändigte Wut auf, die ausgebrochen war, seitdem mein Onkel zugegeben hatte, Edwart und Cory umgebracht zu haben.
„Harvey ist einer von Ihnen, und trotzdem führst du mit ihm Geschäfte!", fuhr ich ihn an, dabei rollten mir Tränen über die Wangen.
Onkel Jacks Mine verrutschte leicht von einem spöttischen Lächeln zu seinem gehässigen Grinsen. „Das habe ich nur getan, weil Edwart mir nicht treu sein konnte", knurrte er zurück. Er verhielt sich so, als wäre ich ihm auf die Zehen getreten. „Ich brauchte einen schnellen Ersatz und der Einzige, der dumm genug war, sich auf diesen unfairen Deal einzulassen, war nun einmal Harvey DeLaurant."
„Reden Sie nicht so über meinen Cousin", fiel Cayden ihm ins Wort und warf den Kopf in den Nacken, dabei traf er ihn an der Nase, die augenblicklich heftig zu bluten begann.
Ich wusste, dass mein Onkel rot sah. Er packte Cayden härter an der Kehle, die Finger gruben sich bereits in seine Haut, während er die Waffe entsicherte.
„Was ist mit Cory!?" Mein Herzschlag verdoppelte sich von einer auf die andere Sekunde. Ich musste meinen Onkel davon abbringen, aus Zorn zu handeln, denn er schien geblendet zu sein. Die einzige Möglichkeit war daher, ihn abzulenken. „Wieso musstest du sie umbringen? War sie Teil deines Geschäfts?"
Mein Onkel verzog das Gesicht. Offenbar war Corys Tod nicht so gerechtfertigt, wie Edwarts, obwohl das vollkommen absurd war. Auch wenn ich meinen Großcousin nicht wirklich kannte, hatte er den Tod genauso wenig verdient wie Cory. „Nein", murmelte er. Mit einem Mal war seine Wut verschwunden, stattdessen sah ich etwas in seinen Augen, was unmöglich schien, nämlich Trauer. Das Verhältnis zwischen ihnen schien nicht nur oberflächlich gewesen zu sein, so wie ich gedacht hatte.
„Es gab einen Zwischenfall im Unternehmen, Sanchéz und ich trafen uns in der Nacht in einem von den Büros des Anwesens. Natürlich hatte ich nicht damit gerechnet, dass irgendjemand noch wach sein würde, ansonsten hätte ich niemals einem so kurzfristigen Treffen zugestimmt", begann er zu erzählen, dabei schien er mit den Gedanken ganz wo anders zu sein, vermutlich bei der besagten Nacht, die ihm im Gedächtnis geblieben war. „Als es zu Unstimmigkeiten zwischen Sanchéz und mir kam, wurden wir offenbar ein kleines bisschen zu laut und Cory ..."
Ich hielt die Luft an, und das, obwohl ich mir bereits denken konnte, was passiert war. Seit Monaten hatten Cayden und ich nach dem Täter und seinem Motiv gesucht, und jetzt, wo ich kurz davor war, die Wahrheit zu erfahren, wollte ich sie nicht hören. Ich wollte nicht wissen, wie Cory umgebracht wurde, denn das würde bedeuten, dass wir am Ende des Plans waren und ich akzeptieren musste, dass Cory, meine Freundin, wirklich tot war.
„Sie hatte Sanchéz und mich entdeckt", fügte er nach einer Weile hinzu. „Ich musste das tun, was für mein Geschäft das Wichtigste war, nämlich Diskretion bewahren."
Ich wandte den Blick von ihm ab und schlang die Arme um meinen Oberkörper, die Tränen liefen ununterbrochen über meine Wangen. Nicht ein Wort, das aus seinem Mund kam, war auch nur ansatzweise gerechtfertigt. Cory war gerade einmal sechzehn Jahre, sie war noch ein Kind, und nur weil sie zur falschen Zeit am falschen Ort war, war sie am tot. Sie hatte das nicht verdient, niemand hatte so etwas verdient, aber Cory war eine gute Seele, der es mehr als allen anderen zustand, weiterleben zu dürfen.
Plötzlich ertönten weitere Schüsse, die jedoch nicht von meinem Onkel kamen, sondern von draußen. Aus Reflex duckten wir uns alle, denn wir wussten nicht, wer abgefeuert hatte. Mit einem Mal strömten mehrere schwarz gekleidete Männer in die Lagerhalle, doch ich kannte keinen von ihnen.
Ich wurde von einen dieser Männer gepackt und an den Armen festgehalten, während wir umzingelt wurden. Es ging alles so schnell, dass ich noch nicht einmal kapierte, was gerade vor sich ging. In mein Sichtfeld trat ein weiterer Mann, aber dieses Mal wusste ich ganz genau, wer vor mir stand. Gregor DeLaurant. Ich wusste nicht, ob ich mich freuen oder weinen sollte, immerhin war er sicherlich hier, um seinen Sohn zu befreien und die Familie Cunnigham dafür leiden zu lassen, einschließlich mir.
Er richtete die Waffe auf meinen Onkel. „Ich würde vorschlagen, dass Sie auf der Stelle meinen Sohn laufen lassen." Ich war noch nie so froh, ihn zu sehen wie heute.
Das Spiel war aus. Mein Onkel war alleine, Gregor DeLaurant hingegen war mit einer Gott verdammten Armee aufgekreuzt. Es war also nur noch eine Frage der Zeit, bis er aufgeben würde. Und das schien mein Onkel auch langsam zu realisieren, obwohl sein Blick genau gleichblieb. In seinem Kopf ging er verschiedenste Szenarien durch, wie er hätte lebendig aus dieser Situation fliehen können, aber die Zahl der Fluchtmöglichkeiten war unter diesen Bedingungen ziemlich gering, mit großer Wahrscheinlichkeit sogar null.
Doch mein Onkel schien jedoch nicht auch nur ansatzweise daran zu denken, sich zu ergeben. Er drückte Cayden die Waffe tiefer in die Haut, was Gregor DeLaurant tatsächlich Sorgen zu bereiten schien.
„Ich sagte, lassen Sie meinen Sohn los", knurrte er und fletschte dabei die Zähne, was mich stark an Cayden erinnerte.
„Sonst was? Hm?", schrie Onkel Jack. „Sie werden mich sowieso erschießen."
Gregors Mimik zuckte leicht. Er wusste, dass mein Onkel nicht zögern würde, Cayden zu erschießen, deshalb musst er ein genauso gutes Mittel einsetzten.
Er drehte sich um und lief dabei auf mich zu, dann packte er mich am Nacken und legte mir den Arm um den Hals. Die Schusswaffe presste er gegen meine Schläfe. Ich schnappte nach Luft. Als er zusätzlich die Waffe entsicherte, riss ich die Augen auf.
„Sonst werde ich ihre Nichte erschießen." In seiner Stimme lag kein Zweifel, dass er tatsächlich abdrücken würde.
„Nein!", schrie Cayden und kämpfte sich gegen die Kraft meines Onkels, dessen Hautfarbe automatisch an Farbe verlor. Seine Augen suchten meinen Blick, in ihnen erkannte ich die Sorge und Liebe, die er mir entgegenbrachte. Er würde alles dafür tun, dass ich überlebte, doch das würde ich genauso. Wenn mein Tod bedeutete, dass er lebend hier rauskommen könnte, dann würde ich das ohne mit der Wimper zu zucken tun.
„Ich werde bis drei zählen, und dann abdrücken", flüsterte mir Gregor ins Ohr, doch das wollte ich gar nicht hören. Wenn er vorhatte, mich zu erschießen, dann sollte er es lieber gleich tun.
Ich senkte den Kopf, denn eigentlich war ich noch nicht bereit zu sterben. War man das jemals? Aber sich für seine Liebsten zu opfern, schien mir ein guter Kompromiss zu sein.
„Du wirst dir Cayden krallen und von hier verschwinden, hast du verstanden?"
Ich öffnete die Augen und runzelte leicht mit der Stirn. Er wollte mich also gar nicht umbringen, sondern mich retten, mich, eine Cunnigham. Gregor DeLaurant war vieles, aber als Helden hätte ich ihn nicht betitelt.
„Hast du mich verstanden?", fragte er nach und ich nickte unauffällig.
Tief holte er Luft. „Eins ..."
Ich versuchte meine Nervosität hinunterzuschlucken, doch dafür stand zu viel auf dem Spiel. Alles musste jetzt so glatt laufen wie möglich, denn wenn auch nur eine Variabel sich änderte, dann würde es Tote geben.
„Zwei ..."
Meinen Puls konnte ich mittlerweile in meinen Fingerspitzen wahrnehmen. Adrenalin rauschte durch meine Adern. Meine Gedanken lagen nur noch bei Cayden, und dem Wunsch seines Vaters, ihn hier rauszuschaffen.
„Drei." Gregor feuerte einen Schuss ab, der jedoch so ins Abseits gerichtet war, das ihn niemand traf. Alle duckten sich und hielten inne, doch ich rannte los.
Cayden schien zu verstehen, dass das nur ein Ablenkungsmanöver war, weshalb er den Moment der Unachtsamkeit nutzte, um sich von den Fängen meines Onkels zu befreien. Er humpelte mir entgegen, aber ich kam ihm bereits zur Hilfe und legte seinen Arm über meine Schultern.
Erneut wurde ein Schuss abgefeuert, der meinen Onkel scheinbar am Bein traf. Wir beide warfen einen kurzen Blick nach hinten, dabei sah ich, wie mein Onkel sich vor Qualen das blutende Bein hielt. Gregor DeLaurant griff gerade nach seinen Armen, um ihm die Waffe abzunehmen. Aber plötzlich entriss sich mein Onkel für einen einzigen kurzen Augenblick aus den Fängen, die ihn zurückhielten, und richtete die Waffe auf Cayden und mich. Ich konnte gar nicht richtig reagieren, da schubste mich Cayden zur Seite, anschließend ertönte ein kreischender Laut.
Mit dem Körper landete ich auf dem harten Betonboden, aber ich konnte mich recht schnell wieder fangen. Stattdessen richtete ich meine Aufmerksamkeit auf Cayden, der genauso am Boden lag, doch er stand im Gegensatz zu mir nicht auf. Im Gegenteil, er bleib regungslos liegen.
Ich hielt den Atem an, denn für einen Augenblick schien die Welt wie eingefroren zu sein. Es gab jetzt nicht mehr den Mord, oder unseren Plan, noch nicht einmal diese Feindschaft zwischen unseren Familien. Da war nur noch Cayden, und der Gedanke daran, ihn verloren zu haben.
Ich rannte zu ihm rüber und kniete mich über ihn. „Cayden?" Meine Stimme war dünn, fast tonlos. „Cayden, bitte, sag' etwas." Keine Antwort.
Mir lief es eiskalt den Rücken runter. „Cayden?", schluchzte ich und berührte sein warmes Gesicht.
Nein, nein, nein! Er durfte nicht tot sein, er durfte jetzt nicht sterben. Nicht bevor wir die unausgesprochenen Dinge zwischen und geklärt hatten. Nicht bevor ich ihm sagen konnte, dass ich ihm verziehen hatte. Nicht bevor ich ihm meine Gefühle gestehen konnte.
„Du wirst nicht sterben", hauchte ich mit Tränen erstickter Stimme. „Nicht auch noch du."
Meine Augen wanderten seinen gesamten Körper ab, und dann entdeckte ich die tiefe, blutende Wunde in seinem Bauch, die die Kugel angerichtet hatte. Entsetzt schnappte ich nach Luft. Sofort zog ich mir meine Jacke aus und drückte sie gegen die blutende Verletzung.
Er schlug die Augen auf und stöhnte vor Schmerzen.
Mein Herz stolperte in diesem Moment. Erleichterung durchströmte jede meiner Zellen. Vorsichtig umklammerte ich sein Gesicht, bis sein Blick meinen erwiderte. Seine Augen leuchteten nicht ganz so, wie ich es von ihnen gewohnt war.
„Du Idiot, wieso hast du das getan?", flüsterte ich und schüttelte verständnislos den Kopf.
Caydens Mundwinkel zuckten leicht nach oben. „Ich habe mir gerade wortwörtlich eine Kugel für dich eingefangen, und dennoch bist du nicht zufrieden?", antwortete er schwach und schloss daraufhin die Augenlider. Es grenzte schon fast an ein Wunder, dass er überhaupt noch sprechen konnte.
Ich lächelte bei dieser Bemerkung, obwohl mir immer noch pausenlos die Tränen liefen. „Im Ernst", fuhr ich fort und blickte über meine Schulter auf die Schusswunde. „Du könntest deswegen sterben, Cayden." So erleichtert ich auch darüber war, dass er nicht sofort getötet worden war, so besorgt war ich nun vielmehr, dass die Kugel in seinem Bauch ihn langsam umbrachte.
„Ich würde es mir nie verzeihen, wenn dir etwas passieren würde, das ich hätte verhindern können", entgegnete er mit so einer Sicherheit, die mich berührte. Solche Worte äußerte man nur, wenn man sie auch ernst meinte, und Cayden schien sich mehr als sicher bezüglich uns zu sein.
Dennoch schluchzte ich vor Sorge auf. „Ich würde es mir auch nicht verzeihen, wenn dir etwas passieren würde", flüsterte ich und schloss daraufhin selbst die Augen. „Das ist alles meine Schuld."
Caydens Gesicht verzog sich unter meinen Finger. „Sag' das nicht."
„Aber es stimmt", wisperte ich und sah ihn wieder an. Alleine der Anblick von seinem blutigen, verprügelten Gesicht sagte etwas anderes. „Sieh' dir doch nur einmal an, wohin dich meine Entscheidungen gebracht haben, Cayden. Dein gesamter Körper ist übersaht von Wunden, Prellungen und Blut. Meinetwegen. Du wurdest angeschossen. Meinetwegen. Und du wirst deshalb womöglich sterben. Meinetwegen."
„Es waren meine Entscheidungen, Fallon", korrigierte er mich und atmete erschöpft aus. „Ich habe durch diesen einen Kuss alles zwischen uns zerstört, ich habe deine Familie und besonders dich gedemütigt, und ich habe dich zutiefst verletzt." Ich schüttelte mit dem Kopf, doch das hielt ihn noch lange nicht davon ab, weiterzureden. „Ich wollte alles nur richtig machen, ich wollte dich beschützen, dabei habe ich alles nur viel schlimmer gemacht. Ich wünschte, ich könnte die Zeit zurückdrehen, um zu ändern, was an jenem Abend passiert war. Aber ich kann's nicht ..."
„Hör' auf das zu sagen", widersprach ich ihm sanft.
„... und diese Schuld wird mich für immer quälen, weil ich weiß, dass ich dich dadurch verloren habe, Fallon Ich weiß, dass du mir deswegen nicht verzeihen kannst, aber ich hoffe, dass ich es irgendwann schaffe, dich davon überzeugen zu können, dass das alles einen Grund hatte. Und zwar dich zu schützen."
„Du hast mich nicht verloren, Cayden, hast du gehört?", schluchzte ich abermals auf und strich ihm eine Strähne aus seinem Gesicht. „Es hat lange gedauert, um zu begreifen, wieso du das tun musstest, aber letzten Endes verstehe ich das. Ich verstehe deine Handlungen, und genau deswegen kann ich dir auch vergeben."
Cayden schlug seit langem wieder die Augen auf, und sein Blick erwiderte meinen sofort. Ich wusste, dass er sicher gehen musste, ob ich tatsächlich die Wahrheit gesagt hatte, aber ich hatte jedes meiner Worte ernst gemeint. Ich hatte ihm verziehen, und nicht nur weil er jetzt im Sterben lag. Ich verstand, dass er sich von mir fernhalten wollte, um mich so in Sicherheit vor all den Einflüssen zu wahren, die unser Verhältnis zu Nichte machen könnten. Dass er mich damit von sich gestoßen hatte, hatte er mit Sicherheit nicht gewollt, keiner von uns, aber wir konnten die Vergangenheit nicht ändern, dafür jedoch die Gegenwart bestimmen.
Er entließ erleichtert lief Luft und legte seine Hand auf meine. Augenblicklich durchfuhr mich eine angenehme Wärme, die ich so sehr vermisst hatte. „Du weißt nicht, wie Sehr ich mir gewünscht habe, diese Worte aus deinem Mund zu hören", flüsterte er, schmiegte dabei seine Wange in meine Handfläche und schloss erneut die Augen.
Sanft strich ich mit meinem Daumen über seine warme Haut. Es fühlte sich gut an, ihn wieder berühren zu können. Es wäre eine Lüge, wenn ich behaupten würde, dass ich nicht doch ab und zu an unseren Körperkontakt dachte, auch wenn ich mir selber verboten hatte, keinen Gedanken daran zu verschwenden. Natürlich hatte ich durch unsere Trennung alles und jeden angezweifelt, mich eingeschlossen, denn ich hatte keine Ahnung, was echt und was nur vorgespielt war. Doch die Berührungen zwischen uns und besonders dieses ganz bestimmte Gefühl hatten mir schon immer weiß gemacht, dass solche Empfindungen selten und daher real sein mussten.
Vorsichtig strich ich Cayden eine weitere Strähne aus dem Gesicht, dabei bemerkte ich plötzlich, wie starr er sich im Vergleich zu ein paar Minuten zuvor verhielt. Mich durchfuhr ein ungutes Gefühl.
„Cayden?", hauchte ich, doch es kam keine Antwort zurück, noch nicht einmal eine Reaktion. Mein Herz setzte für meinen Moment aus. „Cayden? Hey." Vorsichtig, aber dennoch kraftvoll rüttelte ich an seinen Schultern. Noch immer kein einziges Zeichen von ihm.
„Cayden", wiederholte ich, dieses Mal etwas lauter. Mir stockte der Atem, als meine Augen über sein regungsloses Gesicht glitten. Erneut versuchte ich ihn aufzuwecken. „Cayden!"
Mit einem Mal war da wieder diese unmenschliche Angst um ihn. Mein Herz pochte und pochte, doch mit jedem Schlag spürte ich es etwas mehr brechen.
„Cayden, mach' die Augen auf", befahl ich ihm und umschloss wieder sein Gesicht. „Los, mach' deine Augen auf!"
Ich hatte meine Außenwelt vollkommen ausgeblendet, doch das wurde schnell aufgehoben, als sich Gregor auf der anderen Seite seines Sohns kniete. Jeder seiner Atemzüge zitterte ein kleinen wenig mehr, als seine Augen über das Gesicht von Cayden wanderten. Aber ich hatte andere Sorgen, als auf ihn zu achten.
Tränen füllten meine Augen. „Nein", wisperte ich und schüttelte den Kopf. „Ich habe es dir versprochen, ich bringe dich hier lebend raus."
Mit einem Mal hörte ich Sirenen von draußen. Ein Rettungswagen.
„Hier her! Schnell!", schrie Gregor und sah sich nach den Sanitätern um. In seiner Stimme lag eine Besorgnis, die ich noch nie bei ihm wahrgenommen hatte.
„Halte' durch, okay?", wisperte ich mit Tränen erstickter Stimmlage. „Bitte."
Ich bemerkte die Sanitäter erst, als sie sich neben mich stellten. Ich wusste, dass sie hier waren, um ihm zu helfen, aber ich konnte ihn nicht loslassen, weil ich mir nicht sicher war, ob dass das letzte Mal war, dass ich ihn berührte.
Mich griffen zwei starke Hände an den Schultern und zogen mich von Cayden weg. Sofort begannen sie mit einer Herzdruckmassage, und einer manuellen Beatmung.
Ich schlug mir die Hand vor den Mund. Ich könnte es mir nie verezeihen, wenn er meinetwegen starb.
Keine einzige Sekunde nahm ich meinen Blick von ihm, bis ich im Augenwinkel eine weitere männliche Statur wahrnahm, nämlich die meines Vaters. Er wirkte etwas überfordert, seine Augen sprangen von einem Punkt zum anderen, angefangen von seinem Bruder, der von einer Gruppe Wachmänner beaufsichtigt wurde, bis hin zu Cayden, der gerade mit einer Sanitärliege abtransportiert wurde. Dann blieb sein Blick an mir hängen. Und zum ersten mal nach sehr, sehr langer Zeit erkannte ich den Mann wieder, der mich hatte in seinem Büro spielen lassen, der mir meine aufgeschürften Knie verbunden hatte, der mich in den Arm genommen hatte, sobald er mir schlecht ging. Ich sah meinen Dad.
Er lief auf mich zu, und sobald er mich erreichen konnte, zog er mich in eine feste Umarmung. Ohne es zu wollen, brachen sämtliche Dämme in mir. Meinen Tränen ließ ich freien Lauf, während ich meine Schluchzer in seinem dunklen Jaquet verstickte. Das Einzige, was ich jetzt noch tat, war beten, dass Cayden es schaffen würde.
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Forbidden love
RomanceIhre Liebe ist verboten. So sind die unausgesprochenen Regeln. Das Leben und der Umgang zwischen den DeLaurants und den Cunninghams ist zwar friedlich, doch eigentlich sind sie bis ins Tiefste seit Jahrzehnten verfeindet. Cayden und Fallon, die Kind...