Von den Toten auferstanden

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Zustimmend führte Loreley die beiden Meerkinder zum Ende des langen Raumes. Der edle Mamorweg wurde umringt von einem kleinen Fluss, welcher sich aus den beiden Wasserfontainen zu deren linken und rechten Seite bildete.

Vor einer hohen Wand blieben sie stehen. An dieser hing ein weiteres Gemälde, welches aus mehreren einzelnen Kristallen zu bestehen schien. Die Juwelen sahen wertvoll und mystisch aus. Loreley kniete sich vor dem majestätischen Kunstwerk hin und legte ihre Hände ins kalte Wasser. 

Auf Hajara sprach sie:
„Möge das Reich der Lebenden,
möge das Reich der Toten,
mir lauschen, löse sich der Knoten.
Zeigt euch jener, die euch nicht sehen,
zeigt euch jener, die zu euch gehen".

Nach ihren Worten flackerte das helle Licht geheimnisvoll, bis es schließlich erlisch. Alea erschrak und griff reflexartig nach Lennox' Hand. Dieser zog sie alarmiert an sich heran. Sie war nun nah genug an seiner Brust, dass sie seinen erhöhten Herzschlag spüren konnte. Es wurde dunkel im Raum, doch dies hielt nicht lange an und ein strahlender Lichtkegel fiel auf das Gemälde aus Kristall. Die Kristalle reflektierten das Licht in dutzende einzelne Lichtstrahlen und verteilten diese im Saal. Aleas vorheriger Schock verflog. Das Lichtspiel durchströmte ihren Körper mit Magie. Einzelne Strahlen trafen auf das Wasser, welches folglich geheimnisvoll aufleuchtete. In der Dunkelheit schimmerte der Fluss  und funkelte wie die Sterne am Himmel.

Schlagartig wurde der Fluss unruhig und riesige Wellen erstreckten sich.
„Was geht hier vor sich?", krächzte Lennox und hielt seinen Arm beschützend vor Alea. Loreley lachte verheerend und bewegte ihre Hände kraftvoll im Wasser. Die Wasserfontainen erstickten und der Fluss stieg an. Riesige Plätscher schlugen auf den Boden ein, bis dieser unter Wasser stand. Sofort wurde Alea kalt, denn ihre nackten Füße badeten in der leuchtenden Flüssigkeit.

Ruhig stand die Loreley auf und trat vor die Kinder. Sie befand sich nun genau auf dem Cum Oculi. Diesmal offenbarten sich jedoch keine Bilder im Mosaik. Mächtig nahm sie die Arme in die Luft und bändigte, vergleichbar mit einer Anschu, das Wasser. Dramatisch schmiss sie ihren Oberkörper nach links, woraufhin die imposanten Wellen folgten. Alea duckte sich, um vom Wasser nicht erfasst zu werden. Anders als zuvor verteilten sich die Wellen nicht müde auf den Boden, sondern türmten sich in der Luft. Die Loreley schien das Wasser zu modellieren!

Bei jeder Bewegung leuchtete der Wasserturm freudig auf. Dies erinnerte Alea auf angenehme Weise an das leuchtende Meer in Capraia, welches sie vor wenigen Tagen noch innig mit ihrem Freund genoss. Lennox nahm die Arme runter, er schien nicht mehr besorgt, sondern viel eher verzaubert. Ob er sich ebenfalls an das Meeresleuchten erinnerte? Die Dame riss die Arme ein letztes Mal auseinander und das Wasser gehorchte. Nun erkannte Alea was die Figur darstellte - eine Frau!! Es war jedoch nicht irgendeine Frau. Nein, ihr Gesicht kam Alea vertraut und bekannt vor. Da fielen ihr die Schuppen von den Augen.

Das war Marianne!!

Schlagartig brach sie zusammen. Ehe Alea zu Boden fiel, fing Lennox sie auf. Er hatte Marianne zuvor noch nie gesehen und wunderte sich was mit seiner Freundin los war. Erschrocken hielt sich das Mädchen die Hand vor den Mund. Sie versuchte nach Luft zu schnappen, doch es gelang ihr nicht. Konnte das wirklich wahr sein?

Schließlich ging Loreley auf Mariannes Abbildung zu und legte behutsam ihre rechte Hand auf dessen Stirn. „Leb!", befahl sie. Sogleich leuchteten Mariannes Augen gemeinsam mit denen der Loreley auf.

Verwundert blinzelte Aleas Pflegemutter mehrmals um sich herum. Sie betrachtete den Fluss, der leuchtend neben ihr plätscherte und drehte sich neugierig einmal um ihre eigene Achse. Da erblickte sie Alea. Überglücklich lief sie auf diese zu und schloss sie ohne Vorwarnung in den Arm. Lennox sprang verwundert zur Seite. Obwohl die Frau aus Wasser bestand, wurde das Mädchen nicht nass. 

Alea brauchte einen Moment um zu realisieren was gerade geschah. Heiße Tränen  kullerten ihr die Wange hinunter. Inzwischen begriff auch Lennox wer die Frau war und konnte sich sein breites Lächeln nicht verkneifen.

„Marianne?", keuchte Alea. Ihr Hals tat weh und es fiel ihr schwer auch nur einen Ton raus zu bekommen.
„Bist du es wirklich?". Warm lächelte Marianne sie an, wie es nur eine Mutter konnte. Zufrieden sah sie Alea in ihre klargrünen Augen, dabei streichelte sie ihr blasses Gesicht zärtlich.
„Ja, ich bin es, mein Schatz", bestätigte sie schließlich. Überrollt von Emotionen griff sie nach ihrer Hand.
„Es ist so schön dich bei mir zu haben", freute sich Alea und strich sich mit der anderen Hand die Tränen aus dem Gesicht.
„Ich bin immer bei dir", gab Marianne liebevoll zurück.
„Naja, fasst immer", ergänzte sie mit Blick auf Lennox, dabei lächelte sie ihn keck an. Verlegen sah er zur Seite und kratzte sich am Hinterkopf. Alea konnte sich ebenfalls ein peinliches Schmunzeln nicht verkneifen.

Kurz darauf wechselte sie auch schon das Thema.
„Ich habe meine Schwester gefunden!", teilte sie Marianne aufgeregt mit. Sie konnte kaum glauben, dass sie ihrer Pflegemutter davon erzählen konnte. Diese gab ein zufriedenes Geräusch von sich.
„Ich weiß", gluckste sie, „und ich freu mich so sehr für dich! Du hast deine Familie endlich gefunden". Energisch schüttelte Alea den Kopf.
Du bist und bleibst ein Teil meiner Familie!", korrigierte sie ihre Pflegemutter. Gerührt sah sie Alea an. 

Sie hatte sich so sehr gewünscht, dass ihr Mädchen jemanden hatte, der sich um sie kümmerte, wo Marianne selbst dies nicht mehr konnte.

„Du bist mein Ein und Alles", keuchte sie mit neuen Tränen in den Augen, „ich liebe dich". Herzlich drückte Alea sie an sich.
„Ich hab dich auch lieb", erwiderte sie aufgelöst. Damit hatte sie nie aufgehört, gleichgültig ob sie ihre leibliche Mutter fand. Zufrieden presste Marianne Alea gegen sich. Diesmal fühlte es sich allerdings komisch an. Irgendwie nach Abschied.

Ehe Alea sich versah schloss die Loreley bereits ihre Augen gefolgt von Marianne selbst. Kurz darauf verging ihr strahlendes Leuchten und sie verflüssigte sich in Aleas Armen. Die menschliche Gestalt zerfiel in sich und man hörte das Wasser auf den Boden platschen.

„Marianne!", schrie Alea entsetzt. Erschrocken sah sie der Pfütze hinterher wie diese zurück in den Fluss rann. Panisch versuchte sie das Wasser zurück in seine menschliche Form zu bringen, doch es half nichts.
"Nein!", kreischte sie erneut.

Mitfühlend setzte sich Lennox neben Alea und griff nach ihren Armen um sie zu beruhigen. Seine azurblauen Augen schienen ihr bis in die Seele zu blicken.
„Alles okay?", fragte er behutsam. Mit einem leisen Schluchzen wischte Alea sich ihre letzten Tränen weg. Sie sah auf den Fluss, der noch immer vor sich hin plätscherte. Nach wie vor leuchteten die Wellen und gaben Alea ein wohliges Gefühl. Ein trauriges Lächeln zierte ihr Gesicht während sie sprach: „Ja, es ist alles okay... Eigentlich mehr als nur das. Ich konnte Marianne noch einmal sehen!" Aus ihrem traurigen Lächeln wurde ein zufriedenes. Schließlich  stand sie mit wackligen Knien auf. 

Mit großen Schritten ging Loreley auf sie zu. Ihre Stimme hallte durch den Raum und warf ein mächtiges Echo hinter sich.
„Geister nehmen über mich Kontakt mit den Lebenden auf. Marianne hat dich gerufen, Alea". Sie gab ein dankendes Geräusch von sich. Ihre Stimmbänder brannten nach wie vor wie Feuer.

Lennox schien allerdings nicht ganz hinterher zu kommen.
„Aber wenn Marianne doch Alea gerufen hat, wieso habe ich dann auch Gesang gehört?", wollte er in Erfahrung bringen. Loreley schmunzelte freundlich, als fände sie seine Frage niedlich.
„Weil auf dich ebenfalls jemand wartet, Lennox", gab sie ihm eine Antwort. Verneinend schüttelte der Junge den Kopf.
„Das ist unmöglich. Wer soll denn bitteschön auf mich warten? Ich habe doch praktisch keine Familie", protestierte er. Seine Stimme war hart, als würden seine Worte alte Wunden aufreißen. Allerdings veränderte sich seine Miene schlagartig. Seine ohnehin helle Haut wurde noch blasser.

 „Außer...", stammelte er, „meine Mutter!" 

Alea Aquarius Band 7 (Fanfiction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt