Xenia

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Erschrocken fasste sich Lennox an die Brust. Konnte das wahr sein? War es möglich, dass seine Mutter auf ihn bei der Loreley wartete?

Xenia starb an dem Virus als Lennox noch sehr klein war. In Rach Turana hinterließ sie für ihn eine Nachricht. Das war das einzige Mal, dass er wirklich seine Mutter sah. 

Alea ging auf ihn zu.
„Aber das ist doch super! Du wirst auf deine Mutter treffen!", freute sie sich für ihn. Sie war zwar noch etwas mitgenommen wegen Marianne, musste jetzt aber für ihren Freund stark sein. Lennox hingegen blieb sprachlos. Gebannt blickte er die Loreley an. Ihm saß ein riesiger Kloß im Hals, denn er wusste nicht was auf ihn zukommen würde.

„Bist du soweit?", fragte die Dame geduldig. Lennox zögerte kurz. Man sah ihm an wie sein ganzer Körper bebte. Nach wenigen Sekunden riss er sich wieder zusammen und nickte vorsichtig.

Loreley drehte sich erneut zum Wasser. Als sie die riesigen Wellen bändigte wirkte sie deutlich weniger angestrengt als zuvor. Sie befahl dem Wasser, beziehungsweise der Seele, nicht was sie tun solle. Viel mehr spielte sie mit ihr. Hatten Meermenschen-Geister etwa eine andere Wirkung auf die Kontaktaufnahme als Landgänger? Verzaubert sah Alea der Frau bei ihrer Arbeit zu. Das Wasser wirkte frech und wollte sich nicht sofort in der Mitte des Raumes sammeln, sondern plätscherte um Alea und Lennox herum. Das Licht im Fluss leuchtete nicht mehr sondern glitzerte charismatisch. 

Loreley wollte Lennox nicht länger auf die Folter spannen. Mit mehreren sanften Handbewegungen dirigierte sie die Wasserpfützen auf ihren Platz. Wie zuvor türmte sich das Wasser erneut auf. Kurz darauf wurden Loreleys Bewegungen schneller. Gekonnt schnitt sie Konturen in das Gesicht der Wassergestalt, bis ein freundliches Lächeln zu erkennen war, zwei große Augen und viele Lachfalten. Die Dame ging auf das Wesen zu und legte ihre Hand auf dessen Stirn. „Leb!", befahl sie, woraufhin beider Augen aufleuchteten. Zufrieden zog sich Loreley in eine Ecke des Raumes zurück.

Derweil musterte Alea die Wasser-Seele. Eine muskulös gebaute Frau war zu erkennen - Xenia. Interessiert spähte sie in die Runde.
„Lennox!", keuchte sie auf. Anders als Marianne ging die Frau langsam auf ihren Sohn zu. Als sie vor ihm stand betrachtete sie sein Gesicht. Seine blasse Haut, dunkle Haare und azurblauen Augen sprachen Bände.
„Ein Oblivion", flüsterte sie liebevoll.

Lennox wollte stark bleiben, doch die Emotionen seine Mutter sehen zu können überfluteten ihn förmlich. Vergleichbar mit einem Staudamm brach alles zusammen. Er schluchzte leise auf und Tränen strömten aus seinen Augen. Xenia wischte ihm diese zärtlich weg.
„Ich hätte dich gebraucht", warf er seiner Mutter erstickt vor. Verletzt zog sie ihre Hand zurück.
„Es tut mir leid, dass ich nicht bei dir sein konnte", nuschelte sie entschuldigend. Man sah ihr an wie sehr sie all dies belastete. 

Alea war sich nicht sicher worüber sie sprachen, da fiel es ihr wieder ein! Lennox wurde von seinem Vater geschlagen! Hart und regelmäßig. Er hätte jemanden benötigt, der ihm Liebe schenkt, doch er hatte niemanden. 

„Wieso?", hakte Lennox weiter nach. Irritiert runzelte seine Mutter die Stirn.
„Wieso was?", wiederholte sie seine Frage. Allen war klar, dass ihr am Herzen lag zu hören, was ihr Sohn ihr zu sagen hatte.  
„Wieso hast du dich in ihn verliebt, ihn geheiratet?", ergänzte Lennox verständnislos. Xenia atmete laut aus.

Reumütig begann sie zu erzählen:
„Mir wurde schon von klein auf gesagt ich solle mich von den Landgängern fern halten, doch mir lag mehr daran ihre Kultur zu verstehen. So schlich ich mich schon als Kind oft in die Städte der Menschen und lernte ihre Sprache. Als ich älter wurde lernte ich deinen Vater kennen. Er hatte Humor, war liebevoll und lebendig. Ich verliebte mich Hals über Kopf in ihn und wir heirateten. Ich zog an Land und als du zur Welt kamst war unser Leben vollkommen. Doch dann entstand der Virus. Selbstverständlich erzählte  ich deinem Vater nichts von meiner Herkunft. Als ich allerdings erfuhr, dass meine Schwester Lyra an dem Virus erkrankte stand es für mich außer Frage sie alleine zu lassen. Mir war klar, dass ich ebenfalls an dem Virus erkranken könnte und demzufolge sterben, weshalb es zu dem Brief kam", schloss sie ihre Erzählung ab. Bedauernd sah Xenia zu Boden.
„Das mit dem Brief hättest du dir sparen können", murmelte Lennox.
„Vielleicht wär dein Vater nicht so verdorben geworden, hätte ich ihm einfach alles erklärt", überlegte seine Mutter laut.

Daraufhin nuschelte Lennox etwas unverständliches. Fragend ruhte Xenias Blick auf ihm. Der Junge schnaufte nochmal laut, als würde es ihm schwer fallen zu sprechen.
„Es ist okay... Du kannst nichts dafür wie es gekommen ist und ich konnte mich durchkämpfen. Außerdem habe ich inzwischen jemanden, der für mich da ist". Er sah zu Alea und schenkte ihr ein warmes Lächeln.
„Ich bin nicht mehr alleine. Ich habe jetzt eine Familie!". Man sah Lennox an, dass er mit der Vergangenheit Frieden schloss und bereit war nach vorne zu sehen. Zwar war er nicht über alles hinweg, jedoch sah er ein, dass es gut ist wie es war. 

Unbeholfen trat er näher an seine Mutter und schloss sie in dem Arm. Xenia hatte sichtlich nicht damit gerechnet, freute sich aber umso mehr. Liebevoll strich sie ihm durch sein dunkles Haar, woraufhin Lennox leise seufzte. Für ihn war es das erste mal elterliche Liebe zu spüren.  

"Ich hab dich so unendlich lieb, Lennox", flüsterte sie ihm ins Ohr, jedoch laut genug, damit auch Alea es hören konnte. Über seine Mundwinkel huschte ein leises Lächeln. Aufatmend drückte er seinen Kopf an ihre Brust.

Nach einer Weile machte sich Xenia wieder von Lenox los um ihn ansehen zu können. Mit der linken Hand stützte sie sein Kinn und lenkte seinen Blick zu ihr nach oben. Alea kam diese Geste bekannt vor. Das tat Lennox bei ihr auch gerne.
"Ich bin so stolz auf dich, mein Krieger. Rette die Meere, okay?", bat sie ihn. Aus ihrer Stimme hörte man wie viel ihr daran lag. Lennox' Blick wurde stark.
"Das werde ich! Das ist meine Bestimmung!!", verkündete er mit großen Worten. Alea war sehr gerührt von diesem Moment. Ihr war klar, dass Lennox das ernst meinte, wenn er sagte, er würde alles dafür tun.
"Sehr gut", antwortete Xenia etwas erleichtert und nickte ihrem Sohn zu.

Es dauerte nicht lange und auch Xenia verflüssigte sich wieder. Wehmütig sah Lennox den Pfützen dabei zu, wie sie wieder im schmalen Fluss verschwanden. Sein Lächeln hingegen verschwand nicht. Alea musterte ihn fürsorglich. Seine Körperhaltung war erstaunlich entspannt und seine Schultern hingen locker runter. Seine zersausten Haare wirkten noch ungezähmter als sonst. Als er wieder aufsah erblickte Alea seine Augen. Lennox' Wimpern waren nachtschwarz von seinen Tränen geworden, was seine azurblauen Augen umso mehr betonte.

Zittrig ging er mit ausgestreckten Armen auf seine Freundin zu. Ohne weiteres nahm sie ihn in den Arm. Wie ein Anker im Sturm hielt sie ihn fest und gab ihm Halt. Lennox vergrub sein Gesicht in Aleas langen Haaren und hielt mit der linken Hand ihren Kopf fest. Sie spürte seine Wärme und Knie zittern. Es verging eine Weile bis er sich wieder von ihr löste.

Loreley, welche die ganze Zwit über geduldig wartete, klatschte zweimal in die Hände und das Licht sprang wieder an, gefolgt von den Wasserfontainen, welche wieder fröhlich in die Lüfte sprudelten.

„Danke", flüsterte Lennox ausgeglichen ruhig. Alea ging auf ihn zu und nahm unterstützend seine Hand. Bescheiden wehrte Loreley ab:
„Nichts zu danken. Das ist meine Aufgabe". Alea staunte nicht schlecht. In der Meerwelt waren sich alle ihrer Pflichten bewusst, und erwarteten weder eine Entlohnung, noch Dank dafür. Nur so war es möglich, dass sie Jahrzehnte lang ohne Geld zurechtkamen. Dies war in der Welt der Menschen undenkbar.

Alea ging zum Cum Oculi und legte ihre Hand auf das Mosaik. Ihr wurde gezeigt wie die Sonne aufging. Unauffällig gab sie Lennox zu verstehen, dass sie sich langsam auf den Weg machen müssten. Loreley wusste, dass die beiden in Eile waren und führte sie zum Ausgang. In dem riesigen Tempel konnte man sich schließlich  schnell verlaufen. Überschwänglich wank Loreley ihnen hinterher, woraufhin die beiden im Wasser verschwanden. Sobald sie wieder an Land waren hielt Alea den ganzen Weg über Lennox' Hand. 

„Das war... unglaublich", stotterte er immer noch überwältigt während sie im Mondschein zur Hütte stapften.
„Unglaublich schön", ergänzte Alea daraufhin. Sie hakte sich bei Lennox ein und kicherte goldig über den schönen Abend. 

Als sie bei ihrer Unterkunft ankamen öffneten sie möglichst leise die knirschende Türe und legten sich wieder schlafen. Zwar war die Nacht schon fast vorbei und sie hätten gleich wachbleiben können, jedoch waren die Jugendlichen schon ziemlich fertig und wollten ihre Augen zumindest für ein Weilchen schließen können. 

Immerhin würde morgen der Anfang vom Ende beginnen. Doch das war bis zum jetzigen Zeitpunkt noch keinem klar.

Alea Aquarius Band 7 (Fanfiction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt