Meermädchen

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Alea lag bewusstlos auf dem Boden. Folglich stemmte Lennox sie vorsichtig auf das Klappbett, von dem Thea aufstand. Für ihn schien es keine große Herausforderung zu sein das Mädchen zu tragen. Mit Leichtigkeit legte er sie hin. Zugleich holte Thea einen Lappen, welchen sie befeuchtete und auf Aleas Stirn legte. Es war ruhig im Raum. Niemand traute sich etwas zu sagen.

Nach einiger Zeit öffnete Alea mitgenommen ihre Augen. Das erste was sie erblickte war Keno, der auf ihrer Stirn saß. Fasziniert betrachtete er sie.
"Tatsächlich! Ihre Augen sind grün! Nur diese eine Stelle dort ist braun geblieben. Sieht aber irgendwie cool aus", lobte er sie. Vorsichtig zog Thea Keno von ihrer Stirn runter, damit sie sich aufrichten konnte. Alea setzte sich hin. Draußen hatte sich die Sonne schon um einiges bewegt. Wie lange war sie bewusstlos gewesen? Sie sah in die Runde. Cassaras stand alleine in einer Ecke des Raumes. Mit verschränkten Armen sah er sie erleichtert an. Als er jedoch realisierte, dass er für einen kurzen Augenblick Emotionen zeigte, verfinsterte sich sein Blick sofort. Ihre Aufmerksamkeit richtete sich auf Lennox. Er wirkte sehr aufgebracht und besorgt, als er ihre Augen aber betrachtete lächelte er überglücklich. Vermutlich hatte er sich unvorstellbare Sorgen gemacht. Thea saß neben ihr auf dem Bett. Sie befeuchtete das Tuch erneut und gab es Alea zurück. Dankend nahm sie es an.

"Hast du Schmerzen?", fragte Lennox sofort. Alea fasste sich an den Kopf, dann tastete sie ihre Hände ab.
"Nein, alles ist gut. Der Schmerz ist wie verflogen", gab sie erleichtert zurück. Während sie gebärdete sprach sie zusätzlich Hajara. Diesmal fühlte es sich, jedoch anders an die Meeressprache zu sprechen, als die Male zuvor. Ihre Stimmbänder schienen sich zu freuen, diese Klänge endlich von sich geben zu dürfen. Es fühlte sich einfach richtig an.
"Nelani meinte es wäre ungefährlich", knurrte Lennox. Hätte er gewusst, dass die Verwandlung schmerzhaft sein würde, hätte er dem vermutlich nie zugestimmt.
"Es ist nicht Nelanis Schuld", verteidigte Alea ihre Mutter, "als Orion mir meine Meermädchen-Fähigkeiten nahm tat es auch weh". Lennox dachte kurz über ihre Worte nach. Er schien einzusehen, dass es nicht Nelanis Schuld war, denn er nickte langsam.

Alea stand auf um sich in der Spiegelung des Fensters betrachten zu können. Das Mädchen, das sie zuvor in ihrem Spiegelbild sah, war nicht sie gewesen. Alea wusste das ganz genau, denn erst jetzt hatte sie das Gefühl ihr wahres ich zu sehen. Interessiert sah sie sich tief in die eigenen Augen. Keno hatte recht, tatsächlich war eine kleine Stelle in ihrer Iris braun geblieben, was allerdings sehr charismatisch wirkte. Plötzlich realisierte Alea was gerade geschah. Sie war wieder ein Meermädchen, eine Walwanderin! Sie könne wieder ihr Schicksal erfüllen! Gebannt betrachtete Alea wieder ihre Hände. Ihre Raffnarben zierten ihre Fingerzwischenräume als wären sie nie weg gewesen, als wäre es selbstverständlich, dass sie da waren. Alles wirkte so unwirklich. Aus heiterem Himmel wurde ihr wieder schwindelig, all diese Gefühle überrollten sie, so auch ein weiteres Gefühl - Fernweh.

"Ich möchte schwimmen gehen!", verkündete Alea fröhlich, während sie Anthea ansah.
"Bin ich etwa auch immun?", wollte ihre Schwester erschrocken wissen.
"Ja, das bist du. Genau wie unsere Mutter!", erklärte Alea ihr überglücklich über diese Tatsache. Fröhlich sprang Anthea auf. Aufgeregt hielt sie ihre Hände.
"Okay, lass uns schwimmen gehen!", stimmte Thea sofort zu. In ihrer Stimme lag so viel Sehnsucht.
"Nein!", schallte Lennox in den Raum, während er einen Schritt auf die Mädchen zuging. Verwirrt guckte Alea ihn an. Was war jetzt denn los?
"Wieso denn nicht?", fragte sie schließlich.
"Wegen den Booten. Und von den Schiffen will ich garnicht erst anfangen", warnte Lennox ernst. Es war tatsächlich gefährlich schwimmen zu gehen, wenn so viele Schiffe unterwegs waren. Das wusste Alea ganz genau.
Erst vor einigen Wochen gerieten sie und Lennox unter ein Boot, beim Versuch einen Wal zu retten. Lennox war kurz davor sich für Alea zu opfern und sich als menschlichen Schutzschild für sie bereit zu stellen, um sie vor dem Aufprall mit einer Partyyacht zu bewahren. Zum Glück kam es nicht so weit. Denn in letzter Sekunde rettete ein Warkoner die beiden. Alea vermutete, dass Cassaras das Wesen damals rief.
Bestürzt sah sie aus dem Fenster. Sie wusste, dass ihr Freund recht hatte, und dennoch. Eine Stimme, eine höhere Macht, schien sie zu sich zu rufen. Es war schwierig dem Sirenengesang zu widerstehen. Sie gab ihr Bestes der Versuchung stand zu halten, wusste aber genau, dass sie dies nicht lange aushalten könne.

Erschöpft rieb sich Lennox die Schläfen. Denn auch für ihn schien es ein turbulenter Tag gewesen zu sein.
"Jedenfalls bin ich froh, dass es dir gut geht", ergänzte er nachträglich, um das Thema zu wechseln. Cassaras trat aus seiner dunklen Ecke hervor. Er hatte zwischendurch immer wieder gedolmetscht, war aber ansonsten relativ ruhig gewesen.
"Ihr solltet morgen aufbrechen, wenn ihr rechtzeitig in Rom sein wollt", erinnerte er sie.
Woher wusste er davon, fragte sich Alea.
"Ihr?", wiederholte Thea überrascht.
"Du gehst mit ihnen", verkündete Cassaras stumm, als würde er ein nein weder akzeptieren, noch erwarten.
"Gewährst du ihr Schutz, Oblivion?", wollte er sich bei Lennox vergewissern. Der Oblivion schien nachzudenken. Wie konnte er überlegen, ob er Aleas Schwester ebenfalls beschützen wolle? War die Antwort denn nicht klar? Hatte sein Zögern eventuell etwas mit dem Gespräch, welches er gegen Mittag mit Cassaras führte etwas damit zu tun?
"Ja, das werde ich", bestätigte er schließlich. Alea konnte sich keinen Reim darauf machen, warum Lennox so lange nach dachte. Was hatte es nur damit auf sich?

Nun hieß es erstmal Zeit überbrücken.
Anthea brachte Alea Schach spielen bei. Keno spielte fröhlich mit Cassaras' Umhang, während der Nixenprinz erneut mit Lennox nach draußen ging. Zu gern hätte Alea gewusst worüber sie sprachen. Schließlich war Cassaras noch nie besonders gesprächig gewesen. Alea scheiterte schon mehr als nur einmal an dem Versuch sich mit ihm länger als nur 4 Minuten zu unterhalten - vergeblich.
Zur Abenddämmerung bereiteten die Mädels die Schlafplätze vor. Die Hütte war sehr klein, und sie hatten nur ein Klappbett. Die Männer überließen ihnen das Bett, und so wurden lediglich zwei Laken auf dem Boden mit einigen Kissen ausgebreitet. Das war sichtlich nicht besonders bequem, für eine Nacht würde es allerdings reichen. Cassaras ging in die Stadt um Lebensmittel zu kaufen. Abends waren die Geschäfte deutlich leerer und so war es möglich praktisch unbemerkt für die Jugendlichen einkaufen zu gehen. Nach ein oder zwei Stunden war er wieder da. Auf einer kleinen Herdplatte kochte er Dosensuppe und am Abend legten sie sich satt hin und schliefen ein.

Alle, außer Alea.

Alea Aquarius Band 7 (Fanfiction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt