Kapitel 27

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Ein warmer Windstoß striff mir um die Nase. Im Schneidersitz hatte ich mich auf dem weißen Polster niedergelassen. Auf zwei weiteren geflochteten Stühlen mir gegenüber trohnte das Prinzesschen und sein blauhaariges Anhängsel.
In Anbetracht der schneidenden Sonne, hatte Jin den Vorschlag gemacht, unsere Unterrichtssunde auf den Balkon zu verlegen. Einzuwenden hatte ich dagegen wenig gehabt. Ein frischer Wind beruhigte schon immer Effektiv meine Nerven, wie bei anderen ein Kamillentee. Und angesichts meiner heutige Lehrer - beziehungsweise einem er beiden - würde eine beruhigende Umgebung wohl nicht schaden.

„Versuch es noch einmal mit der Zeile, nur verwende dieses Mal sozusagen deinen ganzen Körper als Resonanzraum. Die Töne müssen hier viel durchdringender werden."
Obwohl wir jetzt bestimmt schon eine gute Stunde beisammen saßen, war es die mir nicht auszumahlende Ernsthaftigkeit der Kontaktlinse - welche heute nicht einmal sich selbst in den Augen trug - die meinen Körper einfach reagieren ließ, sobald Taehyung etwas sagte.
Ich hatte damit gerechnet, dass ich nach nur wenigen Minuten die Krise mit dem Nervenbündel bekommen würde. Und tatsächlich tat ich das auch, nur eben aus anderen Gründen, als vermutet. Glich er in der Regel einem nervenden Kleinkind, so war er, kaum dass wir angefangen hatten, zu einem ernsten Perfektionisten mutiert, der genau wusste, was er wollte und wie er einen zu diesem Ziel führen konnte.

„Okay, nein. Stopp nochmal", unterbrach eben genannter meinen Versuch, die Zeilen zu singen, wie er es haben wollte. Schon mehr aus Reflex, als das ich es wirklich benötigte, griff ich nach der Glastasse, die auf den kleinen Tisch in unserer Mitte stand. Zwar sorgten Jahreszeit und Sonne dafür, dass es alles andere als kalt war, irgendwann hatte Jin dennoch die Idee gehabt, etwas Warmes zu trinken könne unserem Vorhaben etwas unter die Arme greifen.
Mittlerweile diente der Tee allerdings nur noch meinem geistlichen Wohlbefinden - geholfen hatte er meinen Stimmbändern jedenfalls nicht.

„Atme einmal tief ein", forderte mich dann Taehyung auf, was mich dazu brachte, mich automatisch gerade hinzusetzten und seiner Anordnung nachzukommen.
„Stopp", kommandierte er wenige Sekunden später. „Du darfst nicht, wie wenn du Sport machst, durch die Brust einatmen", mischte sich dann auch der dritte im Bunde ein, „Beim Singen atmest du durch den Bauch." Bauch, Brust - für mich lag das alles auf der gleichen Ebene.
„Leg mal deine Arme auf den Bauch", stumm tat ich auch dieses mal, wie mir befohlen, „wenn du einatmest solltest du spüren, wie er sich anhebt. Dann machst du es richtig."
So gut es ging versuchte ich, der Bauanleitung meines Lehrers nachzukommen und tatsächlich: Wenn ich mich genau auf das konzentrierte, was mir der Blauhaarigen geraten hatte, funktionierte dieses Geatme irgendwie. Gleichzeitig spürte ich jedoch auch, wie schnell sich auch mal meine Brust anstelle des Bauches anhob, sobald ich mich nicht genügend konzentrierte.

„Aber wenn ihr auf der Bühne singt und gleichzeitig tanzt, was soll ich dann machen?", warf ich nach ein paar stillen Minuten des Atmens ein. Die beiden Jungs tauschten kurz einen Blick aus, bevor Taehyung auffordernd zu seinem Kumpel nickte. „Angesichts dessen, dass du im Tanzen besser zu sein scheinst, wäre es vermutlich schlauer, wenn du durch den Bauch einatmest. Es könnte aber auch sein, dass dir dadurch alles andere schwerer fällt und es für dich nur Chaos ist." „Bedeutet ausprobieren?" Der, wie Cady mir gesagt hatte, Älteste nickte.

„Okay, lass es uns noch einmal versuchen." Ich verstand nicht, wie Taehyung noch immer so optimistisch sein konnte. Meine eigene Motivation hatte mich verlassen, kaum, dass wir angefangen hatten. Stellte die Sache mit der Choreografie ein zu bewältigendes Problem dar, so würden wir bei diesem hier weitaus mehr Wunder benötigen.
Die entsprechende Stimme hatte Jimins Körper ja - das war nicht das Problem. Meine Unfähigkeit, diese Einzusetzen, bereitete uns viel mehr Schwierigkeiten.
Ich wusste, weshalb ich mich mehr für Rap interessierte. Und selbst da würde ich nie im Leben auf den absurden Gedanken kommen, es selber auzuprobieren.

SWITCHED - Gefangen in einem fremden KörperWo Geschichten leben. Entdecke jetzt