Kapitel 46

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Es war jedes Mal eine Überwindung für mich, den Schutz meines Zimmers daheim zu verlassen und durch das restliche Haus zu wandern. Dort lief ich nur Gefahr, den vernichtenden Blicken der restlichen Bewohner ausgesetzt zu sein. Viel lieber beließ ich es dabei, mich in meinen eigenen vier Wänden aufzuhalten, wo ich die meiste Zeit in Ruhe gelassen wurde.
Auch jetzt spürte ich es. Wie ein reißender Fluss durchströmte es mich, in der Hoffnung, meine Füße vom Weitergehen zu hindern. Bislang war es erfolgreich gewesen. Jedenfalls stand ich noch immer unschlüssig an der Treppe und spürte, wie der Drang in mir, zurück in mein Zimmer zu rennen, immer größer wurde. Schlussendlich würde mich aber auch das nicht retten. Ob ich wollte oder nicht, ich musste da irgendwie durch.

Genau, wie ich auch zuhause durch die Gänge schlich, überbrückte ich die letzten Meter, bis ich erst an der Küche vorbei und an den Esstisch huschte. Stumm setzte ich mich zu den Jungs, welche sich zwar glücklicherweise nicht in ihrem Gespräch unterbrechen ließen, mein Erscheinen dennoch deutlich bemerkten. Besonders ein Augenpaar brannte sich förmlich in meinen Kopf, welchen ich auf den Teller gerichtet lies.

Es wurde auch nicht besser, als wir alle anfingen, uns unserem Essen zu widmen. Viel mehr erinnerte mich die Stimmung an mein erstes gemeinsam Abendessen mit den Jungs. Nur, dass mir dieses Mal kein Jungkook schüchtern zulächelte, als ich es kurz wagte, meinen Blick über die Versammlung streifen zu lassen.
Mein gestriger Kommentar schien ihm wohl doch mehr zugesetzt zu haben, als ich erhofft hatte und irgendwie machte sich der Drang in mir breit, mich bei ihm zu entschuldigen. Nur, dass hier kein einfacher Kaffee ausreichte, um alles zu erklären, sondern die Sache mit Worten in die Hand genommen werden musste.

„Wir hatten heute nochmal versucht, Alastair zu finden", wandte sich Yoongi mit einem Mal an mich. Verwundert blickte ich auf. Nicht, weil mich diese Information überraschte, sondern eher, da mir die Geschichte bereits erzählt worden war und ich völlig vergessen hatte, dass Jimins und meine Zweisamkeitsmomente zu einer geheimen Freundschaftsaffaire geworden waren.
Ich hörte dem Steinchen eher schwammig bei dem zu, was ich von Jimin bereits alles wusste. Seitdem Alastairs Name gefallen war, waren meine Gedanken sowieso zu etwas ganz anderem abgeschweift. Und auch wenn ich nicht gedacht hätte, dass es mich so viel Überwindung kosten würde, es auszusprechen, brauchte ich doch einen Moment, bis mit die Wörter über die Lippen kamen.

„Ich weiß, wo er ist."

Kaum hatte ich geendet richtete sich die gesamte Aufmerksamkeit des Tisches auf mich. Für ein paar Sekunden hingen die Wörter träge und schwer in der Schwerelosigkeit der Luft.
„Und das fällt dir jetzt ein?!" Sogar für die Stimme eines Mädchens und ganz besonders für meine etwas tiefergelegene wirkte Jimins Klang deutlich zu hoch, als das man sie als „ertragbar" einstufen konnte. Angesichts der Tatsache, das die Schnappschildkröte seinen Freunden noch nicht einmal gesagt hatte, dass er bereits mit mir geredet hatte, mussten die anderen ja wirklich denken, ich würde gleich zwei von ihnen abgrundtief hassen. Da machte der Kommentar aus meinem Körper unser öffentliches Verhältnis auch nicht besser.
„Ich hab es auch erst gerade eben erfahren", konterte ich in seine Richtung, was Jin als Ansatz zu nehmen schien unseren von ihm befürchteten Streit zu verhindern. „Okay, okay, okay, du bist jetzt gerade still", er wandte sich an seinen Sitznachbar, „und Tay, dir wäre ich dankbar, wenn du das erklären könntest."

Ein Seufzer verließ meine Kehle. Meine eigenen Sympathie für die ganze Geschichte hielt sich noch immer ziemlich in Grenzen.
„Das mit den Feelds habt ihr noch im Kopf?" Jungkook vor mir nickte, was ihm die anderen zwar vereinzelt nachahmten, jedoch im Vergleich zu meinem Gegenüber, nicht so sicher dabei wirkten. Weiter darauf eingehen wollte ich jedoch eigentlich nicht, weshalb ich es lieber dabei beließ.
„Ich hatte Cady von diesem Alastair Albanathy erzählt und sie ist auf die glorreiche Idee gekommen, dass sie sich mal in den Feelds umhören könnte, weil da ja... also... da wandern eben auch ein paar von solchen Gestalten herum. Und ja... das hat sie dann wohl auch gemacht."
„Hattest du nicht gesagt, es wäre dumm da alleine reinzugehen?", meldete sich Jungkook leise zu Wort, was wohl auf unser Dachgespräch hinwies. „War auch nicht begeistert von der Idee", grummelte ich als Antwort vor mich hin, was der Rest des Tisches dennoch zu verstehen schien.
Noch immer konnte ich nicht glauben, dass Sean dem Mist tatsächlich zugestimmt hatte. Da vertraute man wirklich einmal auf seinen brüderlichen Beschützerinstinkt, nur, damit einem Aylin erzählte, dass es einfach gewesen wäre, ihn zu überzeugen und das eigentliche Problem eher bei Ow gelegen hätte.
„Spielt aber auch keine Rolle, wie sie es genau gemacht haben, aber sie haben jemanden gefunden, der meinte er wisse, wo wir ihn finden. Und da er ohne, dass man ihm auf die Sprünge helfen musste, eine Stadt in Südkorea genannt hat, sind meine Freunde schwer davon ausgegangen, dass das passen müsste."

„Enttäuschender, als eine ganze Stadt abzuklappern, kann's sowieso nicht werden", gab dieses mal Yoongi nach einer erstmaligen Denkpause des gesamten Raumes seinen Kommentar ab. Und bei diesem Punkt stimmte nicht nur ich ihm zu; auch Aylin hatte mich ihre psychotisch hohe Lache hören lassen, als sie von der detailreichsten Stadtrundfahrt meines Lebens erfahren hatte. Da würde sie lieber noch drei weitere Verhandlungen mit Ow abschließen, hatte sie gemeint. Und diese Diskussion musste wohl wirklich spaßig gewesen sein. Trotzdem würde ich meinem Kletterkollegen wohl wirklich etwas schuldig sein, würde diese ganze Spaß endlich enden und ich zurück nach hause kommen.

„Und wo soll er sein?" Es war das erste Mal seit dem gestrigen Abend, dass ich seine Stimme hörte. Er sprach vorsichtig, so, als wüsste er genau so wenig, wie ich, mit der Sache umzugehen. Und obgleich ich es irgendwie schaffte, nicht komplett wegzuschauen, richtete sich mein Blick dennoch gut deutlich an Namjoon vorbei, als ich mich an diesen wandte. „Incheon."
„Hast du eine Adresse?" Dieses Mal hatte glücklicherweise Yoongi wieder das Sprechen übernommen. Stumm nickte ich. Zwar war die Handschrift dieses fremden Typen, welchen meine Freunde auf dem Dachboden eines alten Schuppen ausfindig gemacht hatten, nicht die leserlichste, sie hatte sich dennoch entziffern lassen.
„Na gut, dann fahren wir da morgen hin?" „Alle?" Skeptisch sah Jin den Silberhaarigen an. Bevor dieser allerdings antworten konnte, schaltete sich Hoseok mit ein. „Das funktioniert nicht. Wir müssen auch an die neuen Songs denken. Abgesehen davon: was sollen wir alle bei dem Typen?" Zustimmend nickte Yoongi. „Gar nichts. Deshalb hätt' ich gesagt, es fahren Jimin, Tay, Namjoon und noch ein anderer von uns." Ich musste mir ein Augenrollen verkneifen, sobald ich den erhellten Gesichtsausdruck des Blauhaarigen sehen konnte.
„Nein, Tae, du nicht." Auch wenn es meine Gedanken gewesen waren, war es das an diesem Abend ziemlich redselige weise Kieselsteinchen, welches das Leuchten um seinen Freund zerstörte. „Wieso?" „Erstens, weil du und Jungkook morgen Abend die Videos für den Werbespot drehen müsst und zweitens, weil du dir das heute morgen gehörig verspielt hast."

„Denkst ihr denn, wir können da so einfach reinplatzen?" Unsicher warf Jungkook seine Zweifel in den Raum. Und selbst wenn das zwischen Jimin und mir kein entspanntes Verhältnis gewesen wäre, hätte ich seiner kommenden Antwort mit Sicherheit zugestimmt. „Je schneller wir diesen Mist zurückdrehen, desto besser. Und da es zu dem Typen keine anderen Kontaktdaten gibt, kann man sich ja auch schlecht anmelden. Also ja, wir können und werden da einfach so reinplatzen."
Der Braunhaarige beließ es, wie auch die anderen bei diesem Statement.
Noch immer spürte man, dass der Raum von nicht nur einem bösen Geist heimgesucht wurde. Doch verhielten sich diese erstaunlich ruhig, sodass es sogar mein Körper schaffte, mit der Zeit ein wenig herunterzufahren. Jedenfalls, bis auch der letzte Teller geleert war und Jungkook der erste war, welcher den Raum verließ.

Man gestand sich vermutlich selten gerne selbst Fehler ein. Und die Tatsache, dass ich dies in der Regel nur in der Form einer Geste und meist ohne Worte hinter mich brachte, machte die Sache auch nicht einfach für mich. Weder, als ich dem jungen Koreaner hinterhersah, noch als ihm aus der Küche und die Treppe hinauf folgte.

 Weder, als ich dem jungen Koreaner hinterhersah, noch als ihm aus der Küche und die Treppe hinauf folgte

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SWITCHED - Gefangen in einem fremden KörperWo Geschichten leben. Entdecke jetzt