Kapitel 71

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Zahlen, überall waren Zahlen. Egal, wo ich hin blickte. Die ganze Seite war voll mit ihnen. Und sie alle lächelten mich förmlich an, als würden sie innerlich schreien, ich solle mich als nächstes um genau IHR Problem kümmern. Jedoch nicht auf eben diese Probleme konzentriert, starte ich die Buchseite einfach weiter an, in der Hoffnung den kleinen Taschenrechner in meinem Kopf dadurch anzutreiben. Und gerade, als meine Rechnung tatsächlich zu einem Ende zu gelangen schien, brach alles wieder auseinander. Die Zahlen verschwanden, mein Fokus war dahin.

„Echt jetzt?!" Genervt von der Unterbrechung blickte ich nach oben und somit zugleich in ein grinsendes Gesicht. Jedoch verzog sich dieses recht schnell, als Tae es wagte, einen Blick in sein Diebesgut zu werfen. „Da wird einem ja beim Hinschauen schlecht", murmelte er vor sich hin, bevor er mir das Mathebuch zurückgab. „Dann schau'n anderen Weg", zischte ich zurück und wollte mich gerade wieder meiner Aufgabe widmen, als der Störenfried entschloss, mal wieder seinen Drang zum Nerven auszuleben.
„Du musst da gar nicht erst wieder reinschauen. Wir fahren gleich." Seufzend lies ich die Seiten mit einer Hand zusammenschnappen, bevor ich das Zahlenhaus mitsamt meinen Aufschrieben in den dunkelgrünen Turnbeutel schob, den ich mir von Yoongi hatte ausleihen dürfen.

„Du bist merkwürdig", kommentierte Taehyung mein mathematisches Hobby, sobald ich mich aufgerappelt hatte. „Da wär ich an deiner Stelle ganz still." „Ich weiß, du magst mich." Der Junge vor mir schenkte mir noch ein süßsanftes Lächeln, bevor er sich umdrehte und zu seinen Sportsachen lief, um diese vermutlich ebenfalls einzupacken. Ich hingegeben schwang den Beutel über meinen Rücken und wandte mich den fünf Jungs in der Mitte des Raumes zu.
Verwirrt zog ich die Augenbrauen leicht zusammen. Dass fünf plus eins nicht sieben war, war nun wirklich keine herausfordernde Rechnung. Und doch brauchte ich eine ganze Weile, bis ich tatsächlich kapierte, was die Schlussfolgerung dieses Fehlers war. „Wo ist Jungkook?"
Ich hatte erwartet, dass einer der sechs etwas, wie „schon vorgegangen", „auf der Toilette" oder „der bleibt noch länger", sagen würde. Doch selbst letzteres blieb aus. Stattdessen sahen sich nun alle verwirrt im Raum um, in der Hoffnung, der Gesuchte würde mit einem „Pling" plötzlich in einer der Ecken stehen.

Zu unserem Bedauern war Jungkook allerdings nicht über Nacht zu einem Zauberer mutiert, weshalb sich schlussendlich Hobi und Jin dazu bereit erklärten, einmal durchs Gebäude zu flitzen. Als diese jedoch kopfschüttelnd wiederkamen und der Braunhaarige noch immer nicht mit einem „Buh", aus dem Schrank gesprungen kam, legte die gesamte Gruppe die Köpfe schief.
„Hatte er nicht gesagt, er brauche mal frische Luft", warf Jimin auf einmal ein. „Ja, das dachten Jin und ich auch. Im Innenhof ist er aber nicht. Und wieso sollte er zur Haupttür raus?" „Und auf dem Dach?" Mir war die Frage herausgerutscht, bevor ich darüber hatte nachdenken können. Nun hatte ich nicht nur fünf verwirrte Blicke auf mir liegen, Jimin hatte entschlossen, mal wieder den Kriegspfad einzuschlagen. Lachend, als hätte ich gerade behauptet, die Erde sei eine Scheibe, sah er mich an. „Was soll er denn bitte da oben suchen?!"
Normalerweise stiegen wir beide gerne auf die Provokationen des jeweils anderen ein, heute allerdings ging ich nur Schulterzuckend am Orangehaarigen vorbei, „Ich geh mal nachschauen", und verschwand aus dem Trainingsraum.

Tatsächlich hatte die Schnappschildkröte mit ihrer Frage gar nicht mal so unrecht. Was sollte Jungkook schließlich da oben wollen? Wenn er wirklich nur frische Luft schnappen wollte, hätte er auch, wie von Jin und Hoseok erwähnt, in den Innenhof gehen können. Und dennoch war es der erste Ort gewesen, der mir in den Sinn gekommen war und den ich natürlich hatte aussprechen müssen.

Ich versuchte mir meine Tour mit dem Gedanken, ich könne so wenigstens noch einmal einen Ausblick von oben genießen, schön zu reden. Am Ende schaffte ich es dann allerdings doch nur missmutig die kleine Treppe nach dem Aufzug hoch und verzog das Gesicht auch nicht zu einem Lächeln, als mir wenig später der Wind entgegen schlug.
Ich drehte den Kopf einmal nach links, dann nach rechts. Ich ging ein paar Schritte, sah mich dann wieder um. Niemand. Kein Jungkook, kein Mittarbeiter, kein Mensch. Nur eine Mauer, bei welcher, wenn man sie hochkletterte, auf eine kleine Erhöhung gelangte.
Ohne den Kopf zu bewegen, mit den Augen nach oben verdreht, sah ich die wenigen Meter hoch. Da saß er, mit dem Blick in Richtung Stadt, sein Seitenprofil zu mir gedreht.

SWITCHED - Gefangen in einem fremden KörperWo Geschichten leben. Entdecke jetzt