Kapitel 12

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„Wird wohl Zeit, das du deine Freundin anrufst", erklärte Namjoon, was es mit dem Trommelfellzerstörer auf sich hatte, welchem er soeben mit einem Klick auf sein Handy den Saft abgedreht hatte. Dann reichte er mir einmal Quer über den gesamten Tisch sein Gerät.
„Das du die auswendig weißt", nuschelte Hobi auf einmal neben mir, während ich began, Cadys Nummer einzutippen. Als ich ihn daraufhin fragend ansah fügte er noch hinzu, dass er sich nicht einmal seine eigenen merken könne.
„Sind doch nur Zahlen." Unberührt überflog ich noch einmal das, was ich eingetippt hatte und wollte gerade den Anruf starten, als ich in meinem Vorhaben unterbrochen wurde. „Du weißt, was du sagen willst?" Ich nickte in Namjoons Richtung. Innerlich schüttelte ich den Kopf. Irgendetwas würde mir spontan schon einfallen

Ich hatte auf „Lautsprecher" gestellt, wodurch sich nun alle Anwesenden neugierig über den Tisch lehnten und dem monotonem Tuten nebenherfieberten. Die Hoffnung, dass irgendetwas passieren würde, das unsere Situation zumindest ein kleines bisschen anheben würde, sprach aus den Augen jedes Einzelnen.
Es passierte etwas. Nur war es nichts, was die Hoffnung dieser Augen herbeigesehnt hatten. Eine elektrische Stimme teilte uns auf einfühlsamen Weg mit, dass der Anruf abgelehnt sei - mehr bekamen wir nicht.

Während ich spüren konnte, wie die Anspannung bei den Jungs wieder anstieg, blieb ich noch tiefenentspannt. Cady hasste es zu telefonieren, da musste es mich nicht wundern, wenn sie eine fremde Nummer, die sie sprichwörtlich aus dem Schlaf klingelte, zunächst ablehnte.
Wieder war der hohle Klang des Verbindungsaufbaus zu hören. Dann ein Knacksen. Und dann schnappten meine Sinne nach viel zu vielen Stunden endlich etwas auf, was nicht vollkommen fremd war.
„Hallo?" „Cady?" „Entschuldigung, aber wer ist da?" Englisch. Endlich wieder das, was ich seit Jahren jeden Tag um mich hatte. „Das Mädchen aus den Sternen." Während ich aus dem Augenwinkel Namjoons mehr als irritierten Blick erkennen konnte, lag meine Hauptkonzentration auf dem, was meine Freundin antworten würde.

„Tay?" Unsicherheit war in ihrer Stimme zu hören. Und doch viel mir augenblicklich ein Stein vom Herzen. Sie hatte es nicht vergessen. Sie erinnerte sich auch noch an unseren kleinen Freundschaftsschwur in der Nacht bei Kerzenschein, bei dem wir ausgemacht hatten, dass falls irgendwann mal etwas ernstes passieren sollte, dies unser Erkennungssatz seien sollte.
Es war die Antwort, die ich Cady gegeben hatte, als sich mich das erste Mal gefragt hatte, wo ich wohne. Damals kannten wir uns noch kaum und da Sean mir immer eingeschärft hatte, niemandem zu erzählen, wo mein Zuhause lag, waren es bei Cady eben die Sterne gewesen, bei denen ich hauste.
Ganze drei Jahre hatte es gedauert, bis ich sie mit zu mir genommen hatte. Damals war ich sechzehn, Cady bereits siebzehn. Ich hatte es nie bereut. Wenn ich überhaupt etwas bei Cady bereute, dann, dass ich mich ihr nicht schon viel früher anvertraut hatte.

„Ja, Cady. Ich bins." „Aha. Und wieso klingt deine Stimme dann drei Oktaven zu tief?" Ich musste schmunzeln. Egal, was das Mädchen anfasste, sie spannte zu allem einen Draht zu ihrer musikalischen Begeisterung.
„Ich weiß, es ist deutlich zu früh für dich, aber schau', dass du so schnell wie möglich jede funktionsfähige Gehirnzellen anschaltest und mir jetzt zuhörst." Ich konnte zustimmendes Gemurmel auf der anderen Seite hören. Um mich herum war es ähnlich ruhig. Der Großteil der Versammlung versuchte etwas von meinem Englisch zu verstehen und Namjoon blickte konzentrierter denn je in meine Richtung.
„Ja, ich bin Tay. Das Problem ist nur, ich stecke in einem anderen Körper. Frag' nicht wie - ich weiß es selber nicht! Aber wie es momentan aussieht habe ich über Nacht den Körper mit einem Jungen aus Korea getauscht. Kommst du soweit mit?"
„Ja. Klar. Natürlich. Wieso auch nicht", einen Moment herrschte Stille, „Also wenn du bitte noch einmal von vorne anfangen würdest." „Cady, ich meine es ernst. Ich habe keine Ahnung, wie das passieren konnte, aber ich bin seit heute morgen in Seoul in einem Körper von jemandem, den ich nicht kenne und dieser jemand liegt in meinem Körper bei mir zu Hause in Los Angeles."
Vermutlich waren die Jungs um mich herum angespannter als ich selber. Ich hatte wenigstens noch das Vertrauen in meine Freundin. Sie waren es in diesem Fall, die ihre Hoffnungen auf eine völlig Fremde legen mussten.
„Wir haben gesagt, wir benutzen den Code nur in absoluten Notfällen", vergewisserte sich das Mädchen auf der anderen Seite der Weltkugel. „Ja, also glaub mir bitte, wenn ich dir sage-" „Okay."
Der laute Seufzer aus Blondies Richtung, als dieser sein erleichtertes Ausatmen nicht mehr zurückhalten konnte, erfüllte den ganzen Raum und lenkte die Aufmerksamkeit seiner Freudne auf sich. „Hilft sie uns?", flüsterte Taehayung in leisem Koreanisch, erhielt vom Dolmetscher jedoch keine Antwort.

„Du musst mir helfen, Cady" „Wann das, was du sagst wirklich wahr ist, dann stimme ich dem definitiv zu. Also, wo bist du?" Ein einfacher Lacher entglitt meinen Lippen. „Wie gesagt, in Korea. Und abgesehen davon, dass du nicht herkommen wirst, brauche ich dich für etwas anderes." „Aha. Okay." So ganz überzeugt hatte ich meine Freundin nicht. Dennoch hörte sie mir weiter zu und das war momentan das wichtigste.
„Du musst Jimin, also dem Jungen in meinem Körper, helfen, zum Flughafen zu kommen." „Du meinst ich soll zu dir nach Hause?", kombinierte sie. Ich seufzte. „Bitte Cady. Bitte glaub mir einfach." „Soll ich ehrlich sein?" Zunächst nickte ich nur. Als mir allerdings auffiel, dass wir hier kein Videoanruf hatten, hatte die Amerikanerin bereits weitergeredet. „Ich kann's nicht ganz glauben. Aber ich kann zu dir nach Hause. Und sollte die Person, die dort vor mir steht nicht die Tay sein, die ich kenne, dann... also... dann bin ich soweit zu glauben, dass etwas an der Sache dran sein muss." „Bitte beeil dich." Ich hatte meine Augen geschlossen. Zum einen aus Erleichterung, gleichzeitig half es jedoch eine annähernde Freudenträne zurückzuhalten. „Und pass auf dich auf."
Ein Lachen war von der anderen Seite zu hören. „Ich bitte dich. Du weißt, wie oft ich durch die Vorfeelds gerannt bin." Ein Seufzen entwich meinen Lippen. „Ich rede nicht von den Feelds und das weißt du auch." „Klar weiß ich das. Ich wollte ja nur schauen, ob du das weißt." Nun war ich diejenige, die sich ein Lachen nicht verkneifen konnte. „Werde ja tagtäglich an die lauernde Gefahr erinnert." „Keine Sorge, bin oft genug mit dir mitgeschlichen." Wieder nickte ich. Mit dem Punkt hatte sie recht. „Wehe, du verarscht mich", hörte ich noch aus dem Hörer, bevor die Verbindung gekappt wurde und mein einziger kleiner bekannter Halt im Nichts verschwand.

„Das war... gut... oder?", meldete sich der Braunhaarige vorsichtig zu Wort. Ich nickte, überlies jedoch Namjoon die Aufgabe des Redens.
Lustlos lies ich meinen Blick über die Gruppe an Jungs schweifen. Ich wollte nicht wissen, wie das alles für sie seien musste. Doch ich konnte mir vorstellen, dass es für Cady nicht anders seien würde, würde sie meinen Körper begegnen. Und dieser Junge da drinnen... er wünschte sich vermutlich genau so sehr, dass er einfach von diesem Ort weg kam. Nur, dass ihm dieser Wunsch wenigstens teilweise erfüllt werden würde. Zwar würde er immer noch im falschen Körper stecken, doch morgen wäre er schon wieder zu Hause. Dann konnte er wieder bei seinen Freunde sein, hatte somit Leute um sich, die ihm seelischen Beisand leisteten und eine Umgebung, die er kannte.
Die Jungs gaben sich Mühe. Egal, was ich von ihnen hielt, sie versuchten wenigstens es so ertragbar wie möglich für mich zu machen. Aber das half nichts. Oder jedenfalls nicht viel. Ich wollte nicht hier sein. Ich wollte diese Leute nicht kennen müssen.

Meine Augen heftete sich auf das Handy, welches ich vor mich auf den Tisch gelegt hatte. Gerade eben hatte es noch wie ein kleiner Lichtblick in Richtung Heimat gewirkt. Jetzt glaubte ich, das Schwarz des Bildschirms würde mich sekündlich mehr einnehmen und von innen heraus zerstören.
Ich wusste nicht erst seit fünf Minuten, wo ich gelandet war. Doch es noch einmal auszusprechen, meiner Freundin zu sagen, dass ich über Nacht auf die andere Seite der Welt geschubst worden war, lies die ganze Sache noch einmal viel realer erscheinen.

„Lass uns hier eben aufräumen und dann machen wir mit Jimin weiter." Zustimmendes Gemurmel war das einzige, was mein Sitznachbar auf seinen Vorschlag bekam. Dennoch halfen wenig später alle dem Augensternchen, den Tisch abzuräumen. Lange dauerte es jedenfalls nicht, bis sich die gesamte Mannschaft erneut auf Sofa und Sessel verteil, wiederfand. Allerdings waren die Jungs dieses Mal etwas näher zusammengerückt, was an dem sich in der Mitte befindenden Handy liegen könnte. Ich selbst hielt mich aus diesem Gruppenkuscheln lieber heraus. Abgesehen davon, dass das Kommende wohl eher die Aufgabe der anderen war, war mir der Abstand sowieso lieber.
Eine Aufgabe hatte ich dann aber doch noch zu erledigen. Erneut tippte ich eine Nummer in das Handy ein - dieses Mal meine eigene - und überreichte dem aufgewühlten Haufen das Gerät.

 Erneut tippte ich eine Nummer in das Handy ein - dieses Mal meine eigene - und überreichte dem aufgewühlten Haufen das Gerät

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SWITCHED - Gefangen in einem fremden KörperWo Geschichten leben. Entdecke jetzt