Kapitel 54

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Ich hatte keine Ahnung, was ich machen sollte. Mit dem einzigen Ziel, von der Versammlung wegzukommen, war ich geflüchtet. Und so war es auch nicht allzu verwunderlich, dass ich, kaum, dass ich die Treppe hochgelaufen war, ratlos im Flur stehen blieb. Was sollte ich jetzt den ganzen Abend machen?
Mich wieder in mein Gedankenchaos zu stürzen stand jedenfalls außer Frage. Doch da Donnerstag war, konnte ich ein Telefonat mit meinen Freunden genau so vergessen. Die saßen jetzt vermutlich gelangweilt im Unterricht. Ich dachte an die Materialien, die mir Cady vom vergangenen Schultag geschickt hatte. So wirklich Motivation auf den Kram hatte ich allerdings auch nicht.

„Bevor du dich vor Langeweile mit meinen Körper in den Tod stürzt, kannst du ja auch mit zu mir kommen." Erschrocken von dem plötzlichen Geräusch fuhr ich herum, nur um einen grinsenden Jimin an der Wand zu sehen, der sich einmal mit der Zunge über die Lippe fuhr. Angewidert von seine Andeutung verzog ich das Gesicht, was den Jungen in meinem Körper dazu brachte, sich von seiner Anlehne abzustoßen und auf mich zuzukommen.
„Wieso denn nicht? Als ob es dich nicht interessiert, wie es ist, mit sich selber rumzumachen." Kurz öffnete ich den Mund, schloss ihn dann aber wieder, als ich merkte, dass aus diesem nichts passendes raus kam.
Dann schüttelte ich nur mit immer noch zerknirschtem Gesicht den Kopf und wollte mich eigentlich zum Gehen wenden, als sich ein Arm um den meinen Schlang. „Das hast du mir jetzt gerade aber nicht wirklich abgekauft oder?", lachte der Koreaner, als er mich wieder zu sich herumgedreht hatte. „Was hättest du denn gemacht, hätte ich zugestimmt?", antwortete ich mit einer Gegenfrage. Das Lachen verstummte. Dann aber zuckte er viel zu ernst für meinen Geschmack mit den Schultern. „Wer weiß. Mit ein bisschen Drogen-" „Denk nicht einmal daran, irgendwann irgendwelche Drogen zu nehmen." Bevor Jimin seinen Satz beendet konnte, hatte ich auch die letzten Zentimeter zwischen uns überbrückt und hielt meinem Körper den ausgestreckten Zeigefinger genau unter die Nase.

„Gut, als sagen wir, wir lassen das einfach." Während Jimin mit seinem Kopf leicht nach hinten auswich, nahm er mit seiner noch freien Hand meinen Finger in seinen Griff und führte ihn langsam herunter.
„Kommst du trotzdem mit?", fragte er dann immer noch sichtlich verwirrt von meinem plötzlichen Ausbruch. „Warum nicht." Nun entspannte auch ich wieder meinen Körper und folgte der Schnappschildkröte kurz darauf in sein Zimmer, wo ich mich mittlerweile völlig automatisiert auf sein Bett fallen lies, um von dort aus die weiße Decke anzustarren.

„Was glaubst du, wer von den beiden es ist?" Jimin hatte offensichtlich seinen Freundschafts-Modus auf die höchste Stufe gestellt. „Hm?" „Na, wer von den beiden diesen Wunsch da hat? Also Jungkook oder Taehyung."
Zwar hatte ich mir dieses Gespräch wohl dieses Mal selber eingebrockt, ein leises Seufzen konnte ich mir dennoch nicht verkneifen. Da allerdings gleichzeitig auch alles besser war, als alleine in meinem Zimmer zu sitzen, ging ich schließlich doch auf das Gesprächsthema ein. „Hab noch nicht wirklich darüber nachgedacht", antwortete ich wahrheitsgetreu.
„Wäre ich nicht ich, würde ich sagen, ich wäre dafür verantwortlich, aber das können wir ja auch ausschließen." Ich brauchte einen Moment, bis ich Jimins viele „Ichs" entschlüsselt hatte. Dann aber drehte ich mich auf die Seite, um den Jungen auf seinem Schreibtischstuhl zu fixieren. „Was, wenn es gar keiner von euch ist?" „Das glaubst du doch selber nicht." „Naja, ich hoffe es nicht. Es wäre schon wirklich mies." Jimin zuckte nur mit den Schultern. Wie es aussah hatte er mit dieser Möglichkeit schon längst abgeschlossen.

„Und wer von den beiden wäre die lieber?", lenkte der Sänger unser Gespräch wieder in Richtung des eigentlichen Themas. „Was weiß ich." In der Hoffnung, so meine Lüge zu verstecken, drehte ich mich wieder auf den Rücken.
„Es ist Tae, hab ich Recht?" Mission gescheitert. Und obwohl der Koreaner natürlich völlig ins Schwarze getroffen hatte, blieb ich einfach still.
„Dich muss man nun wirklich nicht verstehen. Wie kann man so einen süßen verrückten Jungen, wie TaeTae nicht mögen?" Erst breitete sich nur ein Schmunzeln auf meinem Gesicht aus, als sich in meinem Kopf das Bild breit machte, wie ich und Teahyung uns die ewige Freundschaft schwören würde, dann aber riss ich mit einem Mal meine Augen weit auf und drehte meinen Kopf wieder zur Seite. „Stehst du auf ihn?!" Unglauben hatte sich in meiner Stimme breit gemacht. Und genau so geschockt, wie ich aussah, klang auch Jimins schrilles „Nein! Wieso sollte ich?! Er ist wie mein Bruder für mich." „Dacht grad schon", nuschelte ich leise vor mich hin, während ich meinen Blick erneut der Decke zuwandte.
„Wie kommst du darauf?" Einen Moment überlegte ich, ob sich die Frage nicht von selbst erübrigte, dann aber setzte ich doch zu einem Nachäffungsversuch an. „Ach, mein TaeTae ist so süß und verrückt. Wie kann man ihn nur nicht mögen?" Meine extra hohe Stimme wurde von einem Stoff auf meinem Gesicht zerstört, welcher sich als schwarze Jacke herausstellte. 
„Ich bitte dich, ihr Mädchen seid bei sowas tausend Mal schlimmer: Süße, ich hab dich so dolle lieb? Oh, schau doch mal, wie toll du wieder aussiehst und hach-" Bevor Jimin weiter meine Stimme mit dieser unnatürlicher Höhe vergewaltigen konnte, hatte er seinen Jacke zurückbekommen, wobei auch ich mir ein Lachen nicht verkneifen konnte.
„Sowas hab ich noch nie gesagt", verteidigte ich mich immer noch kichernd. „Nicht?" Eigentlich dachte ich, der Junge mit den normalerweise orangenen Haaren würde mich langsam recht gut einschätzen können. Als er jedoch ehrlich verwirrt schien, überdachte ich auch diese Aussage noch einmal. „Sicher nicht." „Ach komm schon. Ich hab dich doch auch lieb."
Hatte ich bis gerade eben noch gelacht, so verzogen sich meine Mundwinkel nun doch wieder von ganz alleine.

„Los", forderte mich der Koreaner kurz darauf auf. „Was?" „Sag es." „Was?" „Das du mich lieb hast." Ein einzelner Lacher entkam meinem Lippen. „Den Teufel werd ich tun."
Ich sah Jimin nicht an. Angesichts der aufkommenden Stille ging ich jedoch stark davon aus, dass dieser versuchte, mich mit einem trauernden Blick umzustimmen.

„Sag mal", brach die ich schließlich das Schweigen, mit dem Versuch, das Thema in eine Richtung zu ändern, die mich sowieso noch interessiert hatte, „warst du eigentlich am Anfang eifersüchtig?" Kaum hatte ich geendet, fuhr Jimins Blick nach oben.
Alleine die leichte Röte auf seinen Wangen sagte prinzipiell alles. Zugeben wollte dieser dies allerdings trotzdem nicht. „N...nein. Wieso sollte ich? Ich meine-" Er führte nicht mehr aus, was er meinte. Mein wissender Blick schien dem Koreaner wohl gezeigt zu haben, dass er keine Verteidungschance mehr hatte.

„Wieso?", stellte ich nun die für mich eigentlich interessante Frage. Aus meiner Sicht gab es da nichts, worauf man hätte eifersüchtig werden können.
Jimin stöhnte genervt auf, unterstrich seine Handlung mit einem heftigen Augenverdrehen und wandte seinen Kopf schließlich ganz ab. „Hab' schon längst verstanden, dass es unnötig war, okay", meckerte er herum, was mich nur dazu verleitete, weiterzusticheln. „Jetzt sag schon: Was hat deiner Meinung nach eure Beziehung gefährdet?" „Ich bin nicht-" „Interessiert mich nicht. Erzähl jetzt." Stumm funkelte mich mein Gegenüber noch ein paar Sekunden an, bevor er zu begreifen schien, dass er es sich einfacher machte, wenn er einfach kurz die Sache erklärte.
„Tae ist jemand, der immer versucht, dass es den Menschen um ihn herum gut geht. Er macht das ein bisschen auf seine Weise, aber auch, wenn man es vielleicht nicht immer merkt, achtet er immer sehr um die Leute um sich. Wenn er das Gefühl hat, jemandem geht es nicht gut, versucht er denjenigen abzulenken, beziehungsweise ihm irgendwie ein Lächeln zu schenken oder mit einer Umarmung zu trösten", na das war bei mir gehörig schief gelaufen, „Und dann kamst du da an und er...", mit der Zeit war Jimin immer leiser geworden - die Sache schien ihm mehr als unangenehm zu sein, „er hing halt die ganze Zeit an dir dran. Ich hatte halt das Gefühl, dass ich nicht mehr wichtig bin." Den letzten Teil hatte er in Sekundenschnelle heruntergerattert.
Gerade wollte ich zu einem Gegenkommentar ansetzten, da machte das Schildkrötchen klar, dass es noch nicht fertig gewesen war. „Wir müssen da jetzt auch nicht drüber reden. Erstens weiß ich ja eigentlich, dass wir Tae alle gleich wichtig sind, zweitens hat's dich ja eh nicht interessiert und drittens", er kam mir mit einem mal gruselig nahe, „hättest du es vermutlich wirklich gebrauchen können, hättest du dich darauf eingelassen."
Jimin entfernte sich wieder von mir. Auf seinen letzten Punkt antwortete ich nicht mehr. Viel bringen würde es vermutlich sowieso nichts. Für keine der beiden Parteien.

 Für keine der beiden Parteien

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SWITCHED - Gefangen in einem fremden KörperWo Geschichten leben. Entdecke jetzt