Kapitel 69

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Langsam, beinahe schon genießerisch setzte ich einen Fuß vor den anderen. War ich den Tag über schon wenigstens nicht mehr ans Bett gefesselt gewesen, so hatte Jin die Schranke nun sogar wieder so weit gelockert, dass ich meinen traditionellen Abendspaziergang antreten durfte.
Ohne ein Ziel streifte ich durch die immer gleich bleibenden Häuserblöcke. Und doch kam ich am Ende von ganz alleine an meinem üblichen Stammplatz aus.
Kurz überlegte ich, heute einfach weiterzugehen, konnte den Gedanken dann allerdings doch nicht einmal richtig zu Ende denken. Meine Beine hatten keine Lust mehr sich zu bewegen, meine Füße wollten das Gewicht des Körpers nicht mehr tragen. Schlussendlich setzte ich mich einfach wie immer ins Gras, winkelte die Beine an und beobachtete die Abendsonne. Ich mochte den Blick von hier: über die Stadt, hinein in den Himmel.

Äußerlich war ich ruhig, äußerlich wirkte alles friedlich und still. In mir drinnen hingegen herrschte ein Treiben, wie auf der 5th Avenue.
Es würde das letzte Mal sein, dass ich die Aussicht genießen konnte. Morgen würde ich noch einmal mit zum Training geschliffen werden. Nicht, um selbst das Tanzbein zu schwingen - Gott bewahre - aber die Jungs hatten sich einen strengen Plan für die nächste Zeit gesetzt und die Meinung, dass es alleine in der Wohnung ziemlich langweilig werden würde, teilte ich mit ihnen. Ob das im miefigen Trainingsraum anders seinen würde, war zwar eine andere Frage, aber im Zweifel würde ich mich eben dort um eine paar Gleichungen und Funktionen kümmern.

Und dann... der nächste Flug zurück nach Los Angeles ging erst am Mittwoch. Um halb drei sollte der Flieger abheben. Ich musste also noch zwei Mal schlafen, genauer gesagt 38 Stunden und ungefähr 22 Minuten hier sein und dann ging es zurück, dann ging es für mich nach Hause.
Nach Hause... zurück... zurück zu meinen Freunden... meiner Familie... meinem stink normalen Leben zwischen der Stille des Tages und der Ausgelassenheit der Nacht.
Ich würde meinen Streit mit Sean klären, wieder seine raue Lache hören, wieder mit Cady und Aylin unseren Mädelsabend genießen. Vormittags würde ich in den Sälen des College sitzen, mittags würde ich so einiges nachholen, was ich hier nicht geschafft hatte. Und die Nacht würde wieder mir gehören. Und ich... ich würde den Vorfeelds gehören. Alles würde sein, wie immer. Wie, als wäre nie etwas passiert.

Ein tiefer Seufzer entfloh meiner Kehle, während sich mein Blick zu Boden senkte, wo ich beobachtete, wie meine Finger einzelne Grashalme ausrupften.
‚Ob ich das ganze hier vergessen konnte? Ob ich einfach weitermachen konnte, als sei nichts gewesen?'
Am Anfang meines Abenteuers hätte ich dieser Frage keine Beachtung geschenkt. Wieso sollte mich so ein Zusammenstoß in irgendeiner Form beeinflussen?! Jetzt-

„Alles okay?" Mein Blick fuhr hoch. Nur für einen kurzen Moment riss mich der Fremde mit seinem plötzlichen Erscheinen aus der Bahn. Dann fasste ich mich wieder.
„Wurdest du wieder geschickt, um mich einzufangen?" Ich hatte nicht vorgehabt, große Witze zu reißen. Und obwohl ich es anders erwartet hatte, griff der Neuankömmling den Satz auch nicht als Spaß aus. Um ehrlich zu sein, griff er ihn als gar nichts auf. Viel mehr ignorierte Yoongi meinen Kommentar genau so, wie ich der Frage seinerseits keine Beachtung geschenkt hatte.
„Darf ich mich setzten?" Es spielte keine Rolle, ob es mir lieb war oder nicht. Noch während er redete, setzte sich er sich neben mich.
Kurz blickte ich den Jungen noch stumm an, dann beschloss ich, die Veränderung eine Veränderung sein zu lassen und setzte meinen Blick wieder auf die Sonne an.

„Wie geht's dir?" Ich wusste nicht, wie oft mir am heutigen Tag diese Frage gestellt wurde. Angesichts der Tatsache, dass ich die Antwort mittlerweile auswendigaufsagen konnte, ohne drüber nachzudenken, lies auf eine hohe Zahl schließen.
„Kein Kopfweh, kein Fieber nur n bissle müde. Alles gu-" „Ich meinte nicht deswegen. Eher generell." Vermutlich hätte ich es mir denken können. Seit ich ihn kennengelernt hatte, war Yoongi niemand gewesen, der auf belangloses Geplänkel aus war.
„Ich komm endlich nach Hause. Insofern... gut." ‚Denke ich', fügte ich in Gedanken noch hinzu, behielt es allerdings für mich. „Sind wir denn wirklich so schlimm?" Er hätte es spaßig sagen können. Jimin hätte bei einer solchen Frage sicher vorher gekichert. Mein weiser Stein hingegen blieb ernst; ruhig und ernst.

SWITCHED - Gefangen in einem fremden KörperWo Geschichten leben. Entdecke jetzt