Kapitel 16

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So gerne ich auch wieder in die Einsamkeit des kleinen Zimmers geflüchtet wäre, musste ich schon beim Verlassen der Küche feststellen, dass daraus nichts werden würde.
„Ah, dich hab ich gesucht." Verschlafen bahnte sich ein blondes Etwas durch den Gang zu mir herüber. Ich nickte. „Ich weiß." Meine Stimme war wieder heruntergefahren. Nichts deutete auf meine eben dominierende Schärfe hin.
„Lass mich mir eben einen Kaffee holen, dann würd ich gerne kurz etwas mit dir besprechen, okay?" Es war keine Frage, die eine Antwort benötigte. Müde schlurfte Namjoon an mir vorbei. Ich drehte meinen Körper in die gleiche Richtung, blieb jedoch im Türrahmen stehen. Hobi war zu meiner Verwunderung verschwunden, der andere Junge hatte sich jedoch nicht von der Stelle bewegt.
Stumm beobachtete ich, wie sich die Schlafmütze an der Arbeitsfläche anlehnte, während kurz darauf das Brummen der Kaffeemaschine zu hören war. So wie er aussah, mussten er und Yoongi wohl tatsächlich die gesamte Nacht für ihren Freund wach geblieben sein. Oder zumindest, bis das Flugzeug abgehoben war, was immer noch auf einen kurzen Schlaf hinwies. Doch auch, wenn die jetzigen Spätfolgen dieser Nacht natürlich nicht die schönsten waren, musste ich innerlich ein bisschen Lächeln. Es war schön zu sehen, wie wichtig ihnen dieser Junge war. Beinahe, wie eine kleine Familie.

Ich dachte an mein Zuhause, an meine Freunde. Ich denke, Cady hätte ähnlich reagiert, würden wir zusammenleben. Wie viel man jedoch von Aylin hätte erwarten können, war fragwürdig. Vermutlich wäre sie gut mit der Nervensäge hier zu vergleichen. Nur, dass sie in der Regel weniger anhänglich war. Durch eine Umarmung am Anfang und Ende eines Treffens musste man durch, in der Hinsicht gab es auch bei ihr kein Entrinnen. Danach war das Thema jedoch schnell vom Tisch. Sie raubte einem die Nerven auf ihre ganz eigene Art, die ich von Anfang an geliebt und gleichzeitig gehasst hatte. Mittlerweile hatte die Liebe gesiegt - anders würde ich es mit ihr vermutlich nicht aushalten.
Und Sean... er war am schwierigsten einzuschätzen. Nach außen versuchte er gerne einen auf lässig zu machen. So, als wäre ihm alles egal. Lernte man ihn jedoch richtig kennen, war er der perfekte Gesprächspartner. Wobei das eigentlich auf alle meine Freunde zutraf. Sogar Aylins „Art" spiegelte lediglich die Schutzhülle wieder, die sie sich mit der Zeit aufgebaut hatte.
In gewisser Form waren wir alle vier gleich. Vermutlich war das auch der Hauptgrund, weshalb ich mich bei ihnen immer so wohl fühlte. Wir alle hatten unsere Leichen im Keller, unsere Geheimnisse, dass, was wir vor anderen verstecken wollten. Und wir alle hatten unseren eigenen Weg gefunden, diesen Teil von uns vor anderen zu verstecken.
Mittlerweile hatte ich sie kennengelernt. All' diese Schatten meiner Freunde. Jeder Moment, in dem wir uns ein bisschen näher gekommen waren, hatte mir ein bisschen mehr über sie verraten.
Ich war die letzte gewesen, die schlussendlich aufgetaut war. Und jetzt...
Wir vier hatten etwas. Etwas, was uns nicht mehr genommen werden konnte. Vielleicht war es etwas ähnliches wie das hier von den Jungs. Vielleicht waren wir auch so etwas wie eine Familie. Unsere eigene kleine Familie.

Meine Gedankenkette riss, als auf einmal platinblonde Haare in mein Sichtfeld gerieten und ich dem dazugehörigen Jungen durch den Flur und abermals über die Treppe führte. Anders, als bei dem Weg zum Gästezimmer, bog er in den einzigen Seitengang ein, dessen Existenz mir bislang bekannt war. Zwei Türen ließen die Wände nicht ganz so leer wirken. Die erste ignorierte Namjoon, die zweite öffnete er.

Ein Lächeln bildete sich in meinem Inneren, kaum, dass ich den Raum dahinter betrat. Ob es ein trauriges oder belustigtes war, konnte ich nicht sagen. Vermutlich war es eine Mischung aus beidem.
Ich liebte gemütliche Unordnung. Mein eigenes Zimmer lebte davon, dass nichts dort stand, wo es hingehörte und es keinen Morgen gab, an dem ich nicht meine Sachen aus irgendwelchen Ecken hervorkramte, bei denen ich mir sicher war, das Gesuchte nicht dorthin gelegt zu haben.
Hier sah es nicht anders aus. Ordner stapelten sich abwechselnd mit Büchern auf dem Fußboden, das Bett war zwar gemacht, das Bild wurde jedoch durch einen Berg aus Kissen wieder zerstört und vom Schreibtisch wollte ich gar nicht erst anfangen.
Anders als das Zimmer, in welchem ich aufgewacht war, hatte dieses großteils dunklere Farben in der Palette.
Zwei der Wände waren zwar weiß, die anderen beiden hatten jedoch einen dunkelblauen Anstrich überleben müssen. Somit hatte der Zimmerbesitzer an seinem Schreibtsich durch Fenster und Wand zwar ein gutes Licht, in der gegenüberliegenden blauen Ecke herrschte gleichzeitig jedoch eine gemütliche Stimmung. Der Sitzsack, welcher mir in letzterem Teil des Zimmers ins Auge stach, kam mir da gerade recht.

SWITCHED - Gefangen in einem fremden KörperWo Geschichten leben. Entdecke jetzt