Kapitel 75

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Der Weg vom Flughafen, einmal durch die Innenstand, bis hin zur anderen Seite war nichts zu vergleichen mit einem Katzensprung. Dennoch kam mir die unbeschwerte Fahrt viel zu kurz vor, als Sean mit einem Mal das Auto zum Stehen brachte und sich auf dem Fahrersitz herumdrehte.

„Du weißt, du kannst auch noch ne Nacht zu mir." Ich seufzte. Das Angebot war verlockend. Am Ende half es jedoch nichts. Irgendwann musste ich da durch. Ob heute oder morgen, machte da keinen Unterschied. „Ne, passt schon."
Mit einem Mal kam von vorne ein Metallstück angeflogen, welches ich gerade so eben vor einem Einschlag in mein Gesicht retten konnte. „Jimin hatte deinen ja nicht gefunden gehabt", kommentierte Cady ihre Attacke, während ich mir dankend den Schlüssel in die Jackentasche steckte

Bevor ich Gefahr laufen konnte, erneut vom blonden Monster attackiert zu werden, schwang ich die Beine aus dem Auto und machte mich am Kofferraum zu schaffen.
„Sehen wir uns heute Abend?", rief ich von dort noch einmal in den Wagen, bevor ich nach genügend Zustimmung die Türe wieder schloss.

Sean fuhr nicht weg. Weder, als ich durch das geöffnete Stahltor trat, noch als ich den dahinterliegenden Kieselweg betrat, der die Leute direkt vor unsere dunkelbraune Eingangstüre führte.
Ich wusste, er würde genau dort stehen bleiben, bis ich im Haus verschwunden und in diesem auch mehr als zehn Minuten geblieben war. Und auch wenn ich nicht mir viel Reaktion bezüglich meines Erscheinens von Seiten der Hausbewohner rechnete, gab es mir das Gefühl von Sicherheit, das ich gerade brauchte.

Hatte es sich merkwürdig angefühlt, durch die Straßen der Stadt zu fahren, so war das nichts im Vergleich zu dem Kribbeln, was jetzt durch meinen Körper strömte.
6 Wochen hatte ich dieses Haus nicht betreten. Vermisst hatte ich weder dies, noch dessen Bewohner. Mein Zimmer war es gewesen, in welches ich mich gesehnt hatte, aber das zählte ich schon lange nicht mehr zum restlichen Gebäude hinzu.

Vorsichtig öffnete ich die Tür und genau so vorsichtig schlüpfte ich hindurch. Ab hier war ich nicht mehr Tay. Hier kannten mich alle nur unter der bedeutungslosen Tylee Evans. Und genau so verhielt ich mich auch, wenn ich in Ruhe gelassen werden wollte: Unwichtig, Still, Unsichtbar - als wäre ich gar nicht da.

„Ich habe die Wahrscheinlichkeit auf nicht einmal einen Prozent gesetzt, dass ich dich heute noch sehen würde." Ich erkannte die engelsgleiche Stimme, schon nach der ersten Silbe. Und genau so klang sie wirklich: wie ein Engel.
Georgia war immer lieb zu anderen, Georgia sah immer makellos aus, Georgia war einfach perfekt. Und genau so klang sie auch. Da unterstützen ihre hellbraunen, von Natur aus leicht gewellten Haare dieses Bild nur ums tausendfache und selbst ihre grünen Augen wirkten kein bisschen schlammig oder giftig.
Ich trug niemals grüne Kontaktlinsen. Ich hasste die Farbe. Aber an ihr wirkten sie ganz so perfekt, wie alles andere.

„Komisch, dabei bin ich doch schon über eine Woche wieder da." Überrascht zog meine Stiefschwester eine Augenbraue hoch. Nicht so markant, wie ich es tat. Nur ganz leicht. „Hach, ist mir gar nicht aufgefallen", sie wandte sich um, „Dir, Mama?"
Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte, dass Georgia ihre Stiefmutter und meine richtige Mutter einfach „Mama" nannte. Früher hatte es weh getan, mittlerweile... lieber sie nannte sie so, als ich... insofern...

Die kinnlangen, leicht strohigen schwarzen Haare, mitsamt Kopf und restlichem Körper, sowie Brille tauchten hinter dem braunhaarigen Mädchen auf. Selbst wenn man uns nicht kannte, war nur schwer zu übersehen, dass sie nicht die Mutter dieses perfekten Dinges seien konnte. Da konnte sie sich so viel Mühe geben, wie sie wollte.
„Nein", sagte sie kurz und knapp, scannte mich einmal von Kopf bis Fuß und verschwand wieder. Um Georgias Blick kümmerte ich mich nicht. Ohne meiner Engelsschwester noch eine Sekunde zu widmen, flüchtete ich aus der Küche, in der Hoffnung, so wenigstens dem letzten Mitglied der Versammlung zu entkommen. Und tatsächlich schien mir wenigstens Ruver und sein vorwurfsvoller Blick für den heutigen Tag erspart zu bleiben.

SWITCHED - Gefangen in einem fremden KörperWo Geschichten leben. Entdecke jetzt