Kapitel 30

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„Eins, zwei, drei, vier und fünf, sechs, sieben, acht."
Erneut zählte Hoseok, der wie es aussah nicht nur bei meinem kleinen Privattraining das sagen hatte, die Takte vor, woraufhin sich die gesamte Versammlung entsprechend in Bewegung setzte.

Es war holprig. Vermutlich sah es auch nicht so vertraut aus, wie mit dem echten Jimin in, aber dennoch: es funktionierte. Ich stand niemandem im Weg, ich rannte auch keinen um und da der momentane Chef auch nichts zu meckern hatte, musste es ja zumindest einigermaßen in Ordnung sein.
Der Spaß, welchen mir Hobi dabei versprochen hatte, sobald wir gemeinsam die gesamte Choreografie durchgingen, blieb trotzdem aus. Stattdessen dominierte die völlige Konzentration meine Aufmerksamkeitskapazität. Den Gedanken, dass ich dazu auch noch das mit dem Singen hinbekommen sollte, versuchte ich weitestgehend auszublenden. Eins nach dem anderen, aber bitte doch so schnell wie möglich war die Devise.

Jimin, welchem die Jungs offensichtlich einen Mitarbeiterausweis besorgen konnten, beobachtete uns vom Rand des Geschehens. Jeden einzelnen meiner Schritte beobachtete er bis in kleinste Detail, wobei ich das Gefühl hatte, seine Hoffnung, irgendwo einen Fehler zu finden, förmlich sehen zu können.
Entweder fand er allerdings keinen - was ich bezweifelte - oder ihm war eingeschärft worden, sich zurück zu halten - was ich schon eher vermutete. Zumindest blieb er still.

Hoseoks brummender Klang der Melodie verstummte und kaum, dass er sich zu uns herum gedreht hatte, lag die allgemeine Aufmerksamkeit auch schon auf unserem Trainer. Dieser schien für einen Augenblick mit sich selbst zu ringen, bevor er schließlich eine kurze Pause anordnete.

Während ich mich in der Nähe von Yoongi fallen lies, welcher mir mit seiner ruhigen Art immer noch am liebsten war, konnte ich erkennen, wie Hoseok Namjoon beiseite zog. Und wie ich es schon vermutet hatte, wurde auch ich wenig später zu dem kleinen Extra-Treffen dazugerufen.

„Hm?", begann ich, sobald ich bei den Jungs angekommen war. Kurz tauschten beide Jungs noch einen versichernden Blick aus, dann startete die Schilderung des Problems.
„Also Tay, generell passt alles, die Schritte kannst du für die kurze Zeit erstaunlich gut", ‚aber...', setzte ich den Satz in Gedanken fort, „aber wir müssten noch etwas an deiner Ausstrahlung ändern. Versteh das bitte nicht falsch, aber momentan sieht es bei dir eben noch ziemlich", Hoseok versuchte das richtige Wort zu finden, „gezwungen aus. Versuch, mit dem Tanzen etwas auszudrücken. Du musst ein Gefühl an den Zuschauer weitergeben. Verstehst du, was ich meine?"
Gefühle zählten jetzt wirklich nicht zu meinem Spezialgebiet. Und ein Gefühl an jemanden zu vermitteln lag in dieser Kategorie noch einmal deutlich weiter unter der Möglichkeitsgrenze. Trotzdem nickte ich auf Hoseok Kommentar einfach nur stumm, wobei mein fehlender Optimismus wohl nicht schwer zu erkennen war.
„Hey, das wird schon." Blondie hielt mir seine Hand zum High-Five hin, in die ich zwar lasch einschlug, es allerdings dennoch nicht schaffte meine Motivation hochzukurbeln.

„Wir müssen übrigens heute alle noch die Outfits für den Auftritt raussuchen, beziehungsweise eigentlich nur anprobieren, aber egal. Was hälst du davon, wenn du das eben machst und danach kommst du mit voller Energie zurück." Ich hatte das Gefühl ich sei eine Menge Klassenstufen bis zurück in die erste gefallen, als mich das Sternchen grinsend betrachtete. Gegen seinen Vorschlag und der damit verbundenen Pause von der Rasselbande und Jimins kritischem Blick, hatte ich dennoch wenig einzuwenden.
„Super, dann nimm doch Jimin mit, er weiß ja, welche Größen er hat." Der kleine Erholungsschimmer knallte mit voller Wucht gegen die Mauer, die meine aufbauend gute Stimmung zunichte machte. Zurückrudern konnte ich jetzt allerdings auch nicht mehr. Ob ich wollte oder nicht, da musste ich jetzt wohl durch.

Schnell war mein Tauschpartner, welcher nebenbei gemerkt ähnlich begeistert dreinblickte, an meiner Seite und gemeinsam machten wir uns auf den Weg aus der Tür hinaus und den langen Flur entlang bis hin zum Aufzug. Anders, als bei meinen gewöhnlichen Fahrten in dem Ding - die sich von der ersten bis in die achte Etage und wieder zurück beschränkte - ging es dieses Mal für uns noch weiter nach oben. Dort führte Jimin mich stumm bis hin zu einem Raum, welcher gleich über zwei vollkommen verglaste Fensterwände verfügte, die für ein helles Licht sorgten.

Drinnen wurden wir bereits von einer jungen Koreanerin erwartet, die gerade noch damit beschäftigt war, die Ärmel eines Jackets festzustecken. Mit ihren Nadeln im Mund belies sie es dabei, in Richtung einer angrenzenden weißen Tür zu zeigen. wobei ich dieser Anweisung nur zögerlich folgte.

Der angrenzende Raum war dunkler und auch deutlich kleiner, als das Zimmer zuvor. An der Längsseite waren übereinander zwei Kleiderstangen befestigt, die großteils mit Bügeln und demnach auch Klamotten behängt waren. Bevor ich mich jedoch noch weiter umschauen konnte, viel mein Blick auf den Stapel an Kleidung, an dessen oberstes Teil ein Zettel mit den Namen „Jimin" gesteckt war. Und apropos Jimin... dieser schien mich beim Betreten des Raumes verlassen zu haben. Jedenfalls bemerkte ich erst jetzt, dass ich mutterseelenallein vor den Klamottenhäufchen stand.

So schnell es ging, wechselte ich mein Outfit von der blauen Trainingshose und dem grauen Schlabbershirt hinein in den dunkelblauen Anzug und das weiße Hemd. Die silbernen Glitzersteine, welche an Unterarmen und Jackentaschen aufzufinden waren, fielen mir dabei erst auf, als ich zurück in das angrenzende Zimmer trat und sich die hellen Sonnenstrahlen in ihnen brachen.

Nach meinem Ermessen passten die Sachen einwandfrei, die Koreanierin sah dies allerdings etwas anders. Hatte ich ihr zuvor kaum Beachtung geschenkt, so war dies angesichts der Entfernung, die wir nun nicht mehr zwischen uns existierte, nicht möglich.
Mir gefiel, wie sie ihre schwarzen Haare im Nacken mit einer Nadel zusammengesteckt hatte, während ihr dennoch bestimmt die Hälfte irgendwo anders im Gesicht herumhing.
Mit ihren wachsamen Augen scannte die junge Frau einmal meinen gesamten Körper entlang, zupfte hier, steckte dort eine Nadel rein und trat zum Ende hin wieder einStück zurück, um mich im ganzen zu betrachten.
„Du kannst dich wieder umziehen, aber pass auf, dass die Nadeln nicht herausgehen." Zunächst erschrak ich mich ein wenig vor ihrer Stimme. Sie war viel zu hoch, als was ich von ihr erwartet hatte. Gegen dieses Piepsen war Aylin ja nichts im Vergleich.

Auf meine männliche Begleitung im weiblichen Körper stieß ich erst wieder, als ich mich aus den Klamotten geschält und von der Koreanerin verabschiedet hatte.
Lässig lehnte mein Körper an der gegenüberliegenden Wand zur Tür und steckte Jimins Handy zurück in die Innentasche seiner Lederjacke. Ein einfachen Nicken seinerseits reichte, dass ich ihm abermals durch die Gänge folgte.

Unser Schweigen setzte sich den ganzen Weg über fort und wurde auch nicht gebrochen, als wir uns erneut im Aufzug wiederfanden. Selbst als unsere beiden anfänglichen Mitfahrer drei Etagen vor unserer ausstiegen, stemmte sich die Stille wie eine unsichtbare Mauer zwischen uns.
Ich konnte nicht sagen, dass es Freude war, die mich bei dem Gedanken, gleich wieder von diesem Jungen wegzukommen, durchrauschte. Allerdings ging ich doch stark davon aus, dass mir eine weitere Sporteinheit - und sei es dämliches Tanzen - besser gefiel, als das hier.

Ein Knall hallte durch den winzigen Raum. Nur für einen kurzen Moment zerstörte er die Stille zwischen uns, dann kehrte auch schon wieder Ruhe ein. Gespenstisch breitete sie sich in dem kleinen Raum aus und wollte durch rein gar nichts verbannt werden. Weder durch Jimin, noch mich und zu unserem Bedauern auch nicht von einem fahrenden Aufzug.

 Weder durch Jimin, noch mich und zu unserem Bedauern auch nicht von einem fahrenden Aufzug

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SWITCHED - Gefangen in einem fremden KörperWo Geschichten leben. Entdecke jetzt