An den Fingernägeln zu Knabbern war eigentlich nichts, was ich eine Angewohnheit von mir nennen konnte. Bevor ich überhaupt damit hatte anfangen können, hatte Aylin, welcher Nägel wie so vieles andere schon immer heilig gewesen waren, mir allein den Gedanken daran längst ausgetrieben. Und obwohl ich durch diese Erziehung gedacht hatte, ich würde mir den Spaß ersparen, saß ich nun doch hier auf meinem Bett und konnte nicht anders, als immer wieder anzufangen, meine Fingernägel unter die Zähne zu nehmen.
Im Vergleich zu anderen Auftritten hatten die Jungs gemeint, es handele sich heute nur um eine kleinere Show. Sie würden die Pause mit drei ihrer Lieder füllen und hatten damit auch schon ihren Job erledigt.
Sie hatten mich beruhigen wollen. Geschafft hatten sie es kaum. Mir war es ziemlich gleich, wie groß diese Show war und wie viele Menschen zuschauen würden. Ob nur ein einzelner oder eine ganze Menge - es war mir zu viel.Es war meine Angewohnheit, nicht im Rampenlicht zu stehen, sondern mich viel mehr im Schatten zu verstecken: in dem meiner Stiefschwester, in der Dunkelheit der Gassen und auch in meinen Kursen verdrückte ich mich lieber in die letzte Ecke. Dort würde ich den Stoff genau so gut mitbekommen, musste mich allerdings nicht den Blicken der anderen aussetzten, während diese darüber urteilten, wie ich heute aussah und was ich sagte.
Kein Wunder, dass es ausgerechnet die Vorfeelds waren, in welchen ich mich am wohlsten fühlte. Hier lag alles und jeder im Schatten. Hier musste man nichts über sich erzählen, weil es sowieso keinen interessierte. Und wer sich um dem Schatten herumbewegte, stellte hier mehr das potenzielle Opfer da, als am Tag, wo es erwünscht war, im Rampenlicht zu stehen.Gerne ärgerten mich meine Freunde damit, wir sollten mich auf einer unserer Partys einfach mal auf die Bühne schmeißen, bislang hatte ich mich jedoch erfolgreich mit Händen und Füßen dagegen gewährt. Kein Wunder, dass Cady es für nötig gehalten hatte, mich herzlichst auszulachen, anstatt mir seelischen Beistand zu leisten.
„Tay!" Kein Klopfen an der Tür. Stattdessen öffnete sich diese ohne Vorwarnung und schloss sich hinter dem hereinstürmenden Mädchenkörper genau so schnell wieder.
Es war ein flüsternder Schrei gewesen, den Jimin bei seinem Einmarsch von sich gegeben hatte und selbst nachdem er vor mir zum Stehen gekommen war, konnte ich noch immer die blanke Panik in seinen Augen erkennen. Beinahe wirkte er so, als sei er derjenige, welcher heute das erste Mal in seinem Leben eine Performance auf die Bühne legen musste.
„Hatte der kleine Jimin einen Alp-"
‚Traum' hatte ich sagen wollen, kam allerdings nicht zu einem Ende.
„Ich brauche deine Hilfe! Jetzt! Dringend!" Skeptisch zogen sich meine Augenbrauen zusammen. Was konnte dem Schildkrötchen passiert sein, bei dem ich ihm so dringend helfen musste?„Was is'n?", stellte ich schließlich die entscheidende Frage, nachdem mein Gegenüber nicht von alleine auf die Idee gekommen war, das Problem beim Namen zu nennen. „Ich... also... du... ich meine, dein Körper..." Mit einem Mal hatte die zuvor herrschende Panik einem Schwall aus Unsicherheit den Weg frei gemacht, was die gesamte Situation noch kurioser werden lies.
„Sag mal, geht's dir gut?" Vermutlich war die Frage unnötig. Dennoch konnte ich nicht anders, als sie auszusprechen. Zögerlich trat der Sänger vor mir von einem Fuß auf den anderen, bevor er jedoch ganz plötzlich stocksteif stehen blieb.
„Ja... also nein... ich meine, also... mir geht es gut, aber dein Körper, also..." Je länger der Koreaner sprach, je größer wurde meine Verwirrung. Was sollte denn mit meinem Körper sein?Frustriert schien auch Jimin zu verstehen, dass ich nicht den geringsten Schimmer hatte, worauf er hinaus wollte. Noch einmal startete er einen zögerlich, stummen Versuch, dann aber schienende auch bei ihm die Panikstricke zu reißen. „Verdammt nochmal, dein scheiß Körper blutet, als hätte man ihm von innen den Bauch aufgeschlitzt."
Einen Moment sah ich meinen Tauschpartner vor mir einfach nur mit leicht geöffnetem Mund an. Mit so einer Direktheit hatte ich dann doch nicht gerechnet.
Kaum allerdings, dass ich den Sinn hinter seinen Worten verstanden hatte, konnte ich mir ein prustendes Lachen nicht verkneifen. „Scheiße Tay, das ich überhaupt nicht lustig." Über diese Aussage konnte man sich nun streiten.
„Mensch, ich brauch deine Hilfe." Und damit hatte mein Gegenüber ziemlich Recht. Auch wenn ich mir sicher war, dass ich beim ersten Mal, dass ich meine Tage gehabt hatte, deutlich souveräner reagiert hatte.„Ja, habt ihr hier Binden oder Tampons?" Schulterzuckend sah ich das Problemkind an, welcher nur noch hysterischer zu werden schien. „Hast du dich mal umgeschaut?! Hier leben sieben Jungs, ja?! Juhungs!!! Keine Mädchen! Wieso also sollten wir-"
„Ja, is gut. Ich hab's verstanden", unterbrach ich Jimins Nervenzusammenbruch, bevor dieser sich noch verschlimmern konnte.
„Also, was willst du jetzt genau von mir? Ich kann schließlich auch nichts von dem Zeug herbeizaubern." Ein Blick mit einer Mischung aus Überforderung und Ratlosigkeit traf mich, kaum das ich geendet hatte. Offensichtlich war Jimin wirklich ohne auch nur einen Gedanken zu verschwenden zu mir gerannt, kaum, dass er seine Entdeckung gemacht hatte.„Weißt du was", so würde das hier nichts werden, „angesichts deines Glückes, dass meine Tage anfangs meistens nichts so stark sind-" Ich konnte meinen Plan nicht zu Ende erläutern. „Moment, warte was?!", überschlug sich Jimin beinahe beim Sprechen, „Wie erster Tag?! Und wie, nicht so stark?!", seine Augen wurden immer größer, „Ich hab das Gefühl, ein Schwein ist in meinem Bett geschlachtet worden und du willst mir erzählen, dass sei nicht so stark?!"
Seufzend lies ich meinen Kopf in die offenen Handflächen sinken. Dort angekommen nickte ich.„Jetzt beruhig dich mal", startete ich einen Deeskalationsversuch, „ich überleb' das schließlich auch immer. Also baust du dir jetzt irgendwie eine kurzzeitige Notfallösung aus Toilettenpapier und vertraust mir, wenn ich dir sage, dass das heute jedenfalls für'n Moment reicht. Und bevor wir zur Show fahren fragst du Jin, ob ihr noch kurz anhalten könnt, um dich mit Binden auszustatten. Ich schick dir n' Bild. "
Zerknirscht sah Jimin mich an. Er schien nicht gerade vor Begeisterung überzusprudeln, groß protestieren tat er jedoch nicht - was sollte er auch sagen?!Noch einen Moment lag stummes Schweigen zwischen uns beiden, kurz darauf war ich wieder alleine. Alleine, mit meinen Gedanken und der Angst vor dem, was mich erwartete.
Die plötzliche Krise hatte mich für einen Moment aus dem Konzept gebracht, jetzt aber, ging meine Konzentration fast vollständig wieder in Richtung dieses dämlichen Auftritts.
Und diese Gedankenrichtung änderte sich für den restlichen Vormittag auch nicht mehr. Weder, als ich mich irgendwann dazu aufbringen konnte, das Zimmer zu verlassen, noch, als wir später alle gemeinsam im Van saßen. Lediglich Jimins merkwürdiges Herumrutschen auf dem Sitz, während sein Gesicht von meinen üblichen Schmerzen sprach, diente auf der Fahrt als kleine Ablenkung. Wenigstens war ich nicht die einzige, die heute durch einen ihrer beschissensten Tage seit jeher musste.
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SWITCHED - Gefangen in einem fremden Körper
FanfictionIn einem fremden Körper aufzuwachen ist alles, nur nicht lustig! Und sobald es dann darum geht, diesen Spuk wieder rückgängig zu machen, hat man den Moment erreicht, in dem es richtig spaßig wird... Die Feelds - die düstere Seite der Los Angeler Inn...