Kapitel 21

172 10 10
                                    

Ohne Rücksicht schoss die Mittagssonne ihre Strahlen auf die Erde und lies den Himmel zu hell wirken, als das man sein blau richtig identifizieren konnte. Die Gebäude um mich herum machten mein Umfeld dabei auch nicht angenehmer. Das reflektierendes Weiß ihrer Wände verursachte auf Dauer ein unerträgliches Stechen in den Augen.
Viel lieber verzog ich mich in den hinteren Teil des Geländes verzog. Hier wurden die Grünflächen breiter, die Anzahl der wenigen Bäume stieg an, die der Häuser fiel ab.
Das Handy in meiner hinteren Hosentasche spürte ich deutlich bei jedem Schritt und obwohl mich die baumelnden Kabel der Kopfhörer störten, war es allemal besser, als die Hand die ganze Zeit am Ohr zu halten.

Mein Display hatte mir kurz vor elf angezeigt, was nach meinen Berechnungen bedeutete, dass es bei Cady gegen sechs Uhr de Vorabends seien müsste. Wir hatten nichts ausgemacht, uns nicht verabredet oder sonst etwas. Und dennoch schallte nun das gleichmäßige Tuten durch meinen Gehörgang, während ich still betete, meine beste Freundin nicht zu verpassen.
Durch diese vermaledeiten 17 Stunden Zeitverschiebung war es abends in der Regel schwer, dass wir uns erwischten, weshalb ich jetzt, wo ich noch eine gute halbe Stunde nichts zu tun hatte, die Zeit hatte nutzen wollen, um endlich wieder mit Cady sprechen zu können. Das abgehakte Schreiben von einzelnen Nachrichten, auf dessen Antworten man gefühlte Jahre wartete, ging mir schon jetzt gehörig auf die Nerven.

Ein Knacksen rauschte durch mein Ohr. „Tay?" „Cady?" „Na wer denn sonst?", lachte die helle Stimme am anderen Ende. „Du hast zuerst gefragt." „Du bist schließlich auch diejenige, die im Körper irgendeines Weltstars rumgeistert, nicht ich." „Ach sei doch still." Auch wenn meine Aufforderung, das Thema zu beenden ernst gemeint war, konnte auch ich mir ein Lachen kaum verkneifen.
Wie sehr ich es vermisst hatte. Diese Stimme, diese Art, wie sie sprach, dieses englisch. Auch wenn ich theoretisch kein Sprachprobleme hier besaß, die Wörter flutschten einfach leichter heraus, wenn ich in meiner Muttersprache redete.

„Und, wie geht's dir?" Cady sprach, als hätten wir uns aufgrund eines stink normalen Urlaubs lange nicht mehr gesehen, ich wusste dennoch, dass sie die Frage völlig ernst meinte.
„Ich hab keine Lust auf Deep-Talk." „Du hast nie Lust auf Deep-Talk." Ich seufzte. „Selten", gab ich dann zu. „Also? Ich will eine ehrliche Antwort." „Ja, ist alles schon gut scheiße." Ich versuchte so locker, wie möglich zu klingen, auch wenn ich wusste, dass ich es bei der Amerikanerin eigentlich gar nicht erst versuchen musste, irgendeine Fassade aufrecht zu erhalten.

„Ich hab mich mal ein bisschen über diese Jungs, also als Kpop-Gruppe, schlau gemacht. Meiner Meinung nach hätte es schlimmer kommen können. Machen jedenfalls einen ganz anständigen Eindruck." „Wenn du meinst." Ich hielt nicht sonderlich viel von Fremden. Eigentlich hielt ich nicht sonderlich viel von irgendwelchen Menschen - von Ausnahmen abgesehen.
„Okay, wir sind jetzt gerade weder auf irgendeinem Hochhaus völlig alleine, noch in der hinterletzten Ecke der Vorfeelds, aber fahr jetzt mal kurz deine Abwehrhaltung runter und sprich Klartext mit mir." Ein Seufzen entfuhr meinem Mund. Es gab nur wenige Orte, an denen ich das Gefühl hatte, ich selber seien zu können. Und in Seoul, zwischen irgendwelchen Häusern, die ich nie hatte kennenlernen wollen, war das definitiv nicht der Fall.

„Wie sind sie denn so?", ergriff Cady wieder das Wort, als ich nicht antwortete. „Unterschiedlich." „Genauer." „Sagen dir die Namen etwas?" „Warte." Ich konnte die Schwarzhaarige auf der anderen Seite des Hörers und der Welt herumkramen hören, bis sie schließlich gefunden haben schien, wonach sie gesucht hatte. „Jetzt ja." „Bedeutet?" „Hab mir n' Bild mit Namen herausgesucht."
Ich erinnerte mich daran, wie ich an meinem ersten Abend hier überlegt hatte, mir etwas ähnliches herauszusuchen, um mir die Namen vielleicht einfacher zu merken. Als ich jedoch schon bei den ersten fünf Bildern festgestellt hatte, dass hier ein häufiger Haarfarbwechsel stattfand und ich nichts fand, was der jetzigen Situation mitsamt Namensverzeichnis entsprach, hatte ich die Idee schnell wieder verworfen.

SWITCHED - Gefangen in einem fremden KörperWo Geschichten leben. Entdecke jetzt