Kapitel 55

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„Stimmt es eigentlich, was Alastair erzählt hat?", ich hatte eigentlich gehofft, dass wir alles, was mit unserem Missionstrip zusammenhing bereits abgehakt hatten. Nach einer ausgiebigen Small-Talk-Runde schien Jimin zurück zum Ausgangspunkt gelangt zu sein.
Ich konnte spüren, wie sich in mir der Drang breit machte, einfach aufzustehen und zu gehen. Gleichzeitig merkte ich jedoch die Müdigkeit, die sich in mir breit gemacht hatte und schlussendlich auch der ausschlaggebende Punkt war, dass ich diese Unterhaltung nicht auf der Stelle abbrach.
„Glaubst du es denn?" „Naja", setzte der Zimmerbesitzer vorsichtig an, „Es hat auf mich schon Sinn ergeben. Also als Erklärung dafür, weshalb du so bist, wie du eben bist. Und weshalb das mit deiner Familie nicht wirklich ein Problem wurde und ich bei dir nicht aus dem Zimmer gehen sollte." Ich sagte darauf nichts. Im Prinzip hatte Jimin seine Antwort sowieso schon bekommen, da musste ich es nicht auch noch aussprechen.

„Hasst du deshalb Namjoon so?" Erneut wog ich die Argumente Müdigkeit und Gesprächvermeidung gegeneinander ab. Und obgleich dieses Mal vermudlich sogar letzteres gewonnen hätte, unterbrach Jimin meine Gedanken, bevor diese eine Entscheidung hatten fällen können. „Weißt du, auch wenn das jetzt vielleicht nicht so dein sist, aber wir sieben, wir sind wie eine Familie für einander und... also ich kann Namjoon einfach nicht weiter so sehen. Er war lange nicht mehr so verletzt."
Selbst wenn ich gehen wollte, jetzt galt diese Notfallkarte definitiv nicht mehr. Denn egal, ob es mir gefiel oder nicht, konnte ich den Punkt meiner Gesprächspartners nur all zu gut verstehen. Würde es hier um Aylin gehen oder um Cady oder um Sean, vermutlich hätte ich die Sache auch nicht einfach dabei belassen können.

Eine ganze Zeit lang rang ich selbst mit mir, spielte meine Argumente gegeneinander aus und zögerte nicht nur einmal, bei dem Versuch, zu sagen, was ich dachte.
„Meine Mutter hat seinen Vater wirklich geliebt. Jedenfalls hat sie das immer behauptet." Ich wusste nicht ganz, woher die Stimme auf einmal kam. Und auch wenn ich es selbst war, die sprach, fühlte ich mich auf einmal viel mehr in meinen eigenen Erinnerungen, als tatsächlich in Jimins Zimmer.
„Für sie war er das vermutlich wichtigste in ihrem Leben. Wahrscheinlich hat sie darauf gehofft, er würde sich von seiner Frau trennen oder so. Keine Ahnung. Würde jedenfalls zu ihr passen", ich stockte kurz, „Ist ja auch egal. Jedenfalls hat sich Namjoons Vater von meiner Mutter getrennt, als er erfahren hat, dass sie mit mir schwanger war. Vielleicht war ihm seine eigentliche Familie doch wichtiger, vielleicht hätte er meine Muter so oder so verlassen. Sie glaubt jedenfalls an erstere Version. Für sie war und bin ich der Grund für die Trennung. Deshalb wollte sie mich damals auch zur Adoption freigeben. Keine Ahnung, ob sie es wirklich getan hätte. Es sind ja auch nur Erzählungen, durch die ich das weiß", und so oft, wie ich sie gehört hatte, fiel es mir auch wirklich schwer, sie nicht zu glauben, „Jedenfalls hat sie Ruver kennengelernt. Gebürtiger Amerikaner, genau, wie meine Mutter und mit einer unglaublich perfekten Tochter. Sie ist mit ihm nach Los Angeles gezogen, nur wenige Monate, nachdem ich in Korea geboren war. Deshalb gab es dann auch irgendwelche Probleme mit ihrer Adoptionsgeschichte. Frag mich nicht, wie viel davon wahr ist, hab's nie geprüft."
Kurz schweiften meine Gedanken zu dem Moment, als meine Mutter meinte, sie hätte mich doch abgeben sollen, als ich versehentlich einen Tellerstapel fallengelassen hatte. So schnell es ging versuchte ich die Situation allerdings wieder aus meinen Gedanken zu streichen
„Elionett und Ruver Evans. Ein perfektes Ehepaar mit einer perfekten Tochter. Naja... und dann eben noch mir." „Sag das nicht." „Wieso?", ich konnte nicht anders, als leicht aufzulachen, „Es ist doch wahr."

Eine ganze Zeit herrschte Stille. Wie es aussah, wusste Jimin nicht so wirklich, was er mit dem Erzählten anfangen sollte. Und je länger er nichts sagte, desto mehr bereute ich, überhaupt angefangen zu haben.
„Dann gibst du also Namjoons Vater die Schuld dafür?" Ein Stöhnen entfuhr meinen Lippen. „Warum denkt ihr alle, ich würde Namjoon hassen oder dass ich ihn für irgendetwas verurteilen würde?" „Tust du nicht?" „Für was denn? Was soll er denn dafür können, dass meine Eltern Idioten sind?" „Und wieso-", setzte Jimin noch einmal an, wobei ich ihn mit meiner Antwort unterbrach, bevor er zusende sprechen konnte.
„Ich will einfach nichts mehr mit dem ganzen Zeugs zu tun haben. Ich hab zuhause meine Freunde, die ähnlich wie eure Gemeinschaft hier wie eine kleine Familie für mich sind. Sean war und ist wie ein großer Bruder für mich. Und er ist es nicht, weil zwei Erwachsene nicht wussten, was Verhütung bedeutet, sondern weil er für mich einfach jemand besonderes ist. Weil ich mich bei ihm wohl fühle und weil wir beide wissen, dass wir immer für einander da sind. Ich hab mit dem Thema Familie im klassischen Sinne abgeschlossen. Fertig, Ende, finito, aus. Seit ich denken kann, versuche ich meinen Vater und seine Familie aus meinem Leben zu streichen. Und ich habe nicht vor dieses bereits vollendete Vorhaben jetzt wieder zum Einsturz zu bringen."
Während ich gesprochen hatte, war ich mit der Zeit immer schneller geworden, was dazu führte, dass ich nun ein paar tiefe Atemzüge nehmen musste, bevor sich alles in mir wieder beruhigt hatte.

Die lockere Stimmung zwischen Jimin und mir war immer das gewesen, was ich am meisten an unseren Privatgesprächen gemocht hatte. Jetzt gerade hatte sich allerdings auch diese in eine Ecke verzogen und stattdessen etwas Schwerem, Drückendem den Weg frei gemacht.
Ich wollte nicht, dass dieses Gespräch so endete. Die Stille zwischen uns war viel zu unbehaglich, als das ich sie weiter an der Situation teilhaben lassen wollte.

„Du hast in dieser ganzen Sache irgendwie auch die Arschkarte gezogen, was?", sprach ich schlussendlich das einzige aus, was mir auf dem Weg in eine bessere Stimmung helfen könnte.
„Tzz, sei bloß still." Daran dachte ich ja mal erst recht nicht. „Also ich mochte diesen Alastair ja wirklich wenig-" „Hab ich gemerkt", fiel mir Jimin lachend ins Wort. „Ja Entschuldigung, es hat mich eben aufgeregt", ich schüttelte gedanklich den Kopf, „Egal. Was ich eigentlich sagen wollte: Bei seinem letzten Satz über den Zufall musste ich mir wirklich das Lachen verkneifen."
Ein Schnauben war vom Schreibtisch her zu hören. „Was soll ICH sagen, huh? Die ganze Zeit philosophieren wir hier über mögliche Verbindungspunkte und dann kommt der da mit seinem verdammten Zufall um die Ecke. Weißt du, wie ich innerlich gekocht habe?!" „Kann's mir vorstellen", kicherte ich zufrieden mit mir selber und meiner erfolgreichen Auflockerungs-Themenwechsel-Mission vor mich hin.

für einen Moment hörte man Jimin in irgendwelchen Sachen wühlen, kurz darauf began auf einmal angenehm ruhige Musik das Zimmer zu fluten. Keiner von uns beiden sagte etwas. Und während wir genießerisch der Musik lauschten, spürte ich, wie sich die Müdigkeit von ganz alleine immer mehr ihren Weg in jeden noch so kleinen Winkel meines Körpers bahnte, bevor ich der Schwere meiner Lider einfach nachgab und mich von den langsamen Klängen hinüber und Traumland tragen lies.

 Und während wir genießerisch der Musik lauschten, spürte ich, wie sich die Müdigkeit von ganz alleine immer mehr ihren Weg in jeden noch so kleinen Winkel meines Körpers bahnte, bevor ich der Schwere meiner Lider einfach nachgab und mich von den ...

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SWITCHED - Gefangen in einem fremden KörperWo Geschichten leben. Entdecke jetzt