Ein sachter Wind pustete die Wolken über den Himmel. Eine nach der anderen tauchte auf, eine nach der anderen verschwand. Sie verformten sich, verschmolzen ineinander oder lösten sich scheinbar im Nichts auf.
Der Blick vom Balkon in die Sonne lies mich - ich hatte selbst nicht mehr daran geglaubt - wenigstens für einen Moment vergessen, wo ich war. Ob nun Wolken inmitten von Südkorea oder in den USA, sie taten hier, wie dort genau das gleiche. Es wirkte friedlich; beinahe schon zu friedlich.
Mit dem Denken hatte ich schon lange aufgehört. Es bereitete mir mit der Zeit nur Kopfschmerzen und die Momente, in denen mir klar wurde, dass es nicht die Wolken waren, die über mein Zimmer zogen, sondern welche, die stattdessen die Hochhäuser Seouls überflogen, konnte ich auch nicht mehr ertragen. Ich hatte nicht vor, zu weinen. Tränen brachten nichts, Tränen würden mir nicht helfen, Tränen zeigten nichts weiter als Schwäche. Und letzteres konnte ich gerade am wenigsten gebrauchen.Ich zuckte zusammen, als sich mit einem Mal eine Hand auf meine Schulter legte. Es war nicht schwer, mich zu erschrecken. Normalerweise schaffte ich es allerdings meinen inneren Schock wie so vieles andere nach außen zu verstecken. Normalerweise steckte mein Verstand zugegebenermaßen auch nicht in diesem Körper und hatte bei weitem nicht mit so vielen ablenkenden Gedanken zu kämpfen.
Als ich meinen Kopf zur Seite drehte, konnte ich gerade noch sehen, wie Yoongi seine Hand wieder weg zog. Von der Seite wich er mir dennoch nicht.
„Alles okay?" Bislang war er derjenige von den Jungs gewesen, der mir noch mit am sympathischsten gewesen war. Er hatte mir den meisten Freiraum gelassen, keine unnötigen Fragen gestellt und doch irgendwie den vollen Überblick über alles behalten.
‚Ein kleiner weiser Stein', schoss es mir in den Kopf. Woher der Gedanke kam, wusste ich nicht. Doch irgendwie gefiel er mir. Er passte zu dem ruhigen Jungen, der trotz seiner äußeren Art weder als ernst, noch still zu bezeichnen war - entspannt traf es vielleicht eher. Doch hatte ich trotz dieser Vorzüge nicht vor, mit ihm ein tiefsinniges Gespräch über meine Gefühle zu führen. Weder jetzt, noch sonst wann.„Okay, blöde Frage", ergänzte der Neuankömmling mit einem angedeuteten Lächeln im Gesicht, als ich nicht antwortete. Ich war mir nicht sicher, ob er nur versucht hatte, das Eis ein wenig zu brechen oder er tatsächlich eingesehen hatte, dass seine Frage angesichts der Situation nicht die schlauste gewesen war. Egal, was es war, ich hoffte einfach, dass er nicht vor hatte, diese bislang einseitige Unterhaltung zu vertiefen.
„Du redest wohl nicht sonderlich gerne, hm?" Einen Moment sah ich dem Silberhaarigen einfach in seine dunkelbraunen Augen, die so ruhig auf mir lagen, dass ich spürte, wie es eine Gänsehautwelle über meine Rücken jagte. „Wenn du meinst." Ich zuckte mit den Schultern und richtete meinen Blick erneut nach vorne.
Über das Geländer konnte man zunächst nur eine breite Landschaft an modernen Häusern erkennen, deren Fassade dem ähnelte, was ich sah, wenn ich mich etwas weiter nach vorne lehnte und an der Wand unterhalb des Balkons herabsah. Es schien eine ganze Anlage an flachdächrigen Häusern zu sein, die von perfekt zugeschnittenen Büschen, gemähten breiten Wiesen und glatten schwarz geteerten Straßen getrennt waren. Dahinter vermutete ich weitere Gebäude der Stadt. Jedenfalls ragten im Hintergrund des sich mir bietenden Bildes einzelne Wolkenkratzer in die Höhe.„Das war eigentlich eine Frage gewesen und keine Aussage", lenkte der Junge neben mir wieder meine Aufmerksamkeit auf sich. Mich wieder zu ihm drehen, tat ich nicht. Als ich es jedoch wagte, ein wenig zur Seite zu schielen, erkannte ich dennoch, dass auch er sich mittlerweile mit seinen Unterarmen auf dem Geländer abgestützt hatte.
„Ich hab nichts gegen Reden. Ich sehen nur keinen Sinn dahinter küchenpsychologische Gespräche mit völlig fremden Personen zu führen, die zudem keine Ahnung haben, wer ich bin"
Ich konnte Yoongi leicht lachen hören. Doch als er sprach, stellte ich beruhigender Weise fest, dass er mich trotz allem ernst genommen hatte. „Das war", er machte eine kurze Pause, „ziemlich direkt." „Ich hätte auch sagen können, dass ich halt einfach schüchtern gegenüber Personen bin, die ich noch nicht kenne. Du hättest doch so oder so verstanden, wie ich es gemeint hätte." „Also schüchtern würde ich dich jetzt nicht nennen", versuchte Yoongi das Gespräch - wenn man es denn so nennen wollte - am Laufen zu halten. Weder dies noch dessen Richtung gefielen mir allerdings sonderlich gut.
„Wie auch immer", seufzte ich, in der Hoffnung, die Sache zu beenden, bevor sie weitere Ausmaße annehmen konnte.Für einen Moment kehrte tatsächlich Stille ein. Das weise Steinchen ging nicht. Stören tat er mich mit seiner Präsenz jedoch auch nicht. Er blickte geradeaus, ich versuchte, unauffällig in den Himmel zu schielen. Mehr passierte für eine ganze Weile nicht.
Dann hörte ich den Jungen neben mir auf einmal seufzen, bevor er sich schließlich wieder aufrichtete und damit zumindest gedanklich meine Aufmerksamkeit bekam.
„Namjoon und ich gehen etwas zu essen holen. Niemand hat nach all dem Lust, etwas zu machen, aber nichts essen ist ja auch keine Lösung", er schien für wenige Sekunden seine Gedanken neu zu sammeln, „Jedenfalls würden wir Reis und dazu Banchan, also Gemüsebeilagen und dazu noch Fleisch, Soßen und so Zeugs holen. Denkst du, du findest da was?" Erst nickte ich nur, dann fügte ich noch ein „Ich es alles", hinzu, was Yoongi abermals ein kurzes Lachen entlockte. „Also, es wäre dann ganz gut, wenn du demnächst reinkommst. Bist ja auch schon eine ganze Weile hier draußen." Er begnügte sich mit einem weitern Nicken meinerseits und verschwand zu meiner Überraschung genau so lautlos, wie er gekommen war.
Erst jetzt, wo er bereits auf dem Weg war, zu verschwinden, drehte ich meinen Körper in seine Richtung. Mit meinen Blicken verfolgte ich durch die Glasscheibe, wie das Steinchen in der Küche auf Namjoon traf. Ein wenig kniff ich die Augen zusammen. Bislang hatte ich nur wenig auf das Aussehen, beziehungsweise die Körper der sechs Jungs geachtet, doch jetzt, wo ich Yoongi mit seinem Freund sah, viel mir auf, wie viel Größer letzterer im Vergleich war. Vielleicht musste ich meine Gedankenstütze doch noch einmal überdenken - Kieselsteinchen passte dann wohl doch etwas besser.Über mich selber und vor allem meine Gedanken schmunzelnd drehte ich mich erneut um die eigene Achse. Hier draußen in der Ruhe des Windes zu stehen, war im Moment das erholsamste, was ich haben konnte. Auf den Blauhaarigen Sturm im Inneren musste man sich schließlich gut vorbereiten.
Wobei es sich abgesehen davon auch so viel besser anfühlte, alleine zu sein. Hier lief ich nicht Gefahr, dieses Jungengesicht in irgendeinem Spiegel zu sehen. Und ich musste mir auch nicht diese viel zu männliche Stimme anhören, sondern konnte mich auf meine Gedanken konzentrieren.
Hier musste ich nicht in diese Gesichter der anderen schauen. Diese Gesichter, die mir mit ihren entschuldigenden, traurigen, überforderten Blicken zeigten, wie falsch ich hier war. Und alles in allem war es nichts ungewöhnliches, mich irgendwo in Gedanken versunken in den Himmel blickend aufzufinden, sodass es ein leichtes war, hier draußen wenigstens für einen Moment die gesamte Situation weitestgehend auszublenden.Noch ein letztes Mal atmete ich tief die frische Luft ein, bevor ich mich mit Schwung vom silbrigen Metall abstieß und mich in Richtung Glastür drehte. Sobald ich das leise Wischen der Schiebetür hörte, fanden meine Gedanken erneut den Weg zurück zu Yoongi. ‚Wie hatte er das Teil so ohne jegliches Geräusch auf und zu bekommen?'
Kurz blieb mein Blick noch an der Tür hängen, dann zog ich sie jedoch einfach wieder zu und machte mit mir selber aus, diese Sache zu ignorieren. Der Junge lebte ja ganz offensichtlich schon etwas länger hier - jedenfalls definitiv länger, als ich.
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SWITCHED - Gefangen in einem fremden Körper
FanfictionIn einem fremden Körper aufzuwachen ist alles, nur nicht lustig! Und sobald es dann darum geht, diesen Spuk wieder rückgängig zu machen, hat man den Moment erreicht, in dem es richtig spaßig wird... Die Feelds - die düstere Seite der Los Angeler Inn...