Lebe jeden Tag, als ob es dein erster und letzter wäre.
Noch nie zuvor hatte Angelus Silesius Zitat so gut auf eine Situation gepasst, wie auf meine. Mein ganzes Leben lang hatte ich Hand in Hand mit Angst verbracht. Angst davor, dass es jede Sekunde vorbei sein könnte. Angst vor dem Tag, an dem mein Arzt mir mitteilte, dass meine Medikamente nicht mehr ausreichten. Angst vor dem Tag, an dem klar war: Ich brauchte ein Spenderherz.
Dieser Tag war heute.
Obwohl ich all die Zeit über gewusst hatte, dass dieser Tag kommen würde, traf es mich vollkommen unvorbereitet.
Noch immer saß ich wie betäubt in dem kleinen Artzimmer, zwischen Mom und Dad und starrte Dr Heyck stumm an, der meinen Eltern etwas über Herzinsuffizienz erklärte, eine Krankheit, an der ich schon von Geburt an litt. Herzschwäche.
Dr Heycks Lippen bewegten sich, ohne dass ich auch nur ein einziges Wort, von dem was er sprach, wahrnahm. Alles was ich hörte, war ein stetiges Summen in meinen Ohren. Ab dem Zeitpunkt, an dem er das Wort Spenderherz in den Mund genommen hatte, hatte sich mein Geist verabschiedet.
Meine Augen lösten sich von Dr Heyck und ich sah in die Gesichter meiner Eltern. Ihre Blicke sprachen Bände. Es schnürte mir die Kehle zu, die beiden so zu sehen.
Ich konnte mir nicht einmal ansatzweise vorstellen, wie schwierig es für meine Eltern wohl sein mochte, das einzige Kind, das sie zur Welt gebracht hatten, loszulassen, zu akzeptieren, dass es womöglich früher von dieser Welt gehen musste, als sie selbst.
Mom reagierte sehr emotional. Ihr liefen Tränen über die Wangen, während sie meine Hand fest umklammert hielt und sich mit der anderen ein Taschentuch an die Lippen drückte. Ich wusste, dass dies ein verzweifelter Versuch war, ihr Schluchzen zu unterdrücken.
Dad hingegen wirkte sehr gefasst. Er war noch nie gut darin gewesen, Gefühle zu zeigen. Er schien Dr Heycks Worte genau zu folgen und hin und wieder stellte er dem Doc Fragen. Aber so unterschiedlich Mom und Dad auch waren, so hatten sie eines gemeinsam - die Hoffnung.
Aber war es doch gerade die Hoffnung, die dem Menschen das Genick brach. Es war die Hoffnung, die einen davon abhielt, den Tatsachen ins Auge zu blicken und die Realität zu akzeptieren.
Und in dieser Realität würde ich sterben.
Ich machte mir nichts vor. Die durchschnittliche Wartezeit auf ein Spenderherz belief sich auf sechs bis vierundzwanzig Monate. In den meisten Fällen jedoch dauerte es länger. Viel länger. Manche Menschen warteten Jahre. Es war ein Wettlauf mit dem Tod und man wusste nicht, wer schneller sein würde...
Allmählich löste ich mich aus meiner Schockstarre.
»Wie lange habe ich noch?«, fragte ich tonlos und unterbrach Dr Heyck in seiner Ansprache. Mom neben mir spannte sich kaum merklich an. Mit dieser Frage schien der Doc wohl nicht gerechnet zu haben, er wirkte überrascht.
»Nun Miss Taylor«, er räusperte sich. »Schwer zu sagen, das hängt von einigen Faktoren ab, zum einen...«
»Wie lange?«, wiederholte ich meine Frage stoisch und sah ihm dabei fest in die Augen.
Dr Heyck verstand.
»Je nach Verlauf bestenfalls ein paar Jahre.«
Ein Schluchzen entriss sich Moms Kehle. Ich dagegen saß noch immer ungerührt auf dem Stuhl, wenngleich Dr Heycks Worte ein Chaos in meinem Innern anrichteten. Dies war der Moment, in dem alle Dämme brachen und meine Mom bitterlich zu weinen begann. Auch Dad saß wie versteinert neben mir.
»Aber es gibt Hoffnung«, fuhr Dr Heyck fort. »Wenn sich rechtzeitig ein geeignetes Spenderherz findet, hat Laney noch eine Chance.«
»Wie lange wird sie warten müssen?«, fragte Dad.
»Das ist sehr unterschiedlich. Im Durchschnitt etwa zwölf Monate, vielleicht auch länger. Manche warten Jahre. In den USA stehen aktuell mehr als dreitausend Menschen auf der Warteliste...«, während Dr Heyck meine Eltern über die Statistiken von Herztransplantationen aufklärte, war ich mir diesen Zahlen bereits mehr als bewusst. Denn ich hatte sie in den vergangenen Jahren bis ins kleinste Detail studiert, sodass ich sicherlich schon eine Doktorarbeit darüber hätte schreiben können.
Doch all das tat nichts zur Sache, denn lediglich das Rad des Schicksals konnte nun noch über mein Leben oder meinen Tod entscheiden. Keine Ahnung, ob es so etwas wie Gott oder eine höhere Macht tatsächlich gab. Ich hatte mir diese Frage in den letzten Jahren oft gestellt - doch niemals eine Antwort darauf gefunden.
Es gehörte jedenfalls eine große Portion Glück dazu, um ein geeignetes Spenderherz zu finden, so viel stand fest, und das Wörtchen Glück war etwas, das in meinem Wortschatz leider viel zu selten vorkam.
Ich wollte mir keine falschen Hoffnungen machen.
Wer nur von Hoffnung lebte, würde an Enttäuschungen sterben.
Genauso wie ich.
Aber ebensowenig war ich ein Mensch, der sich so leicht geschlagen gab.
Nein, ich, Laney Taylor, war eine Kämpferin. Ich war niemand, der einfach aufgab und den Kopf hängen ließ. Und auch wenn ich nicht daran glaubte, rechtzeitig ein Spenderherz finden zu können, so wollte ich dennoch mein Leben nicht hinschmeißen.
Ich würde die wenige Zeit, die mir noch blieb, genießen.
Ich würde all die Dinge tun, die normale Teenager eben so taten.
Ich würde meinen High School Abschluss machen und aufs College gehen.
Ich würde wie Mom und Dad einst, nach Yale gehen, an den Ort, an dem die beiden sich kennengelernt hatten.
Ich würde Partys feiern, mich betrinken und neue Freundschaften knüpfen.
Vielleicht würde ich auch einfach mal einen Fremden küssen, wenn mir danach war.
Ich würde mich verdammt nochmal kleiden, wie auch immer ich wollte.
Ich würde verrückte Dinge tun und einfach nur leben.All das musste ich tun, so lange mir noch Zeit blieb. Aber ich musste genauso gut auf mich aufpassen, denn mir war klar, dass es auch schlechte Tage geben würde. Tage, an denen ich traurig sein würde und mein Schicksal verfluchte.
Ich durfte nicht in ein Loch fallen.
Ich durfte nicht im Selbstmitleid versinken.
Und vor allem aber durfte ich mich nicht selbst verlieren.
Und weswegen verloren die meisten Menschen sich selbst?Richtig. Wegen der Liebe.
Die Liebe wurde genährt von Hoffnung und Hoffnung war wiederum etwas, das ich mir nicht leisten konnte. Und so gab ich mir an diesem verhängnisvollen Tag, an dem mir mitgeteilt wurde, dass ich sterben würde, das Versprechen, mich in der kurzen Zeit, die mir noch blieb, niemals zu verlieben. Doch ich sollte eines Besseren belehrt werden, denn ich hatte ganz außer Acht gelassen, dass die Liebe die stärkste Macht der Welt war. Und manchmal... Manchmal da war die Liebe schüchtern. Manchmal kam sie leise, schleichend, ohne dass man es bemerkte und ehe man sich ihrer bewusst wurde, war es schon zu spät...
Tja, niemals hätte ich damit gerechnet, dass mein schwaches Herz doch so stark sein würde...
Huhu ihr Lieben,
der Prolog zu meinem neuen Buch ist fertig! Ich hoffe er gefällt euch! Schreibt mir eure Meinungen in die Kommentare. Leider kann ich noch nicht genau sagen, wann das erste Kapitel kommen wird, da wie bereits gesagt, mein Augenmerk auf meiner anderen Story "Love me tomorrow" liegt. Allerdings wollte ich euch einen ersten kleinen Eindruck in "Her Heart" gewähren. Mal gespannt, ob eure Neugierde geweckt wurde ;)
Ganz liebe Grüße,
eure Lora ❤️
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Her Heart
RomanceDer erste Band der Hearts-Reihe! Laney Taylor ist schwerkrank. Schon von Geburt an leidet sie an einer Herzschwäche und wartet seit einigen Jahren vergeblich auf ein Spenderherz. Während ihre Eltern täglich auf ein Wunder hoffen, hat Laney ihr Schic...