Kapitel 33

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Songempfehlung: Bring Me the Horizon - DiE4u

Ich weinte.

Ich weinte so sehr, dass ich mich von nichts und niemandem beruhigen lassen konnte.

Ich weinte den gesamten Weg in Julians Auto, vom Club bis zu seinem Zuhause. Die Tränen wollten einfach nicht versiegen und ich hatte das Gefühl, einen Teil von mir selbst verloren zu haben. Josh war mein bester Freund. Er war das, was einem Bruder am nächsten kam.

Und er hasste mich.
Ich hatte es vermasselt.
Wieder einmal.

Bei Julian angekommen, dirigierte er mich sofort aus dem Wagen und führte mich ins Haus. Ich ließ es geschehen und war froh, jemanden an meiner Seite zu haben, der sich in diesem Moment um mich kümmerte, auch wenn ich Julian für seine Unverfrorenheit Josh gegenüber am liebsten den Hals umgedreht hätte. Aber mein Körper hatte auf Autopilot geschaltet und es war, als würde ich nur noch mit einem Minimum an Energie funktionieren. Unmittelbar wurde ich von Sam begrüßt und kraftlos ließ ich mich einfach im Flur auf den flauschigen Teppich sinken, während Sam sich in ihrer wilden Freude an mich drückte. Irgendwann hob sie den Kopf und sah mich aus ihren großen Knopfaugen an. Dann begann sie ausgiebig und voller Inbrunst meine Hand abzuschlecken. Es war, als würde sie meine Trauer spüren und versuchen wollen, mich zu trösten. Mich aufzuheitern.

Diese simple Geste entfachte meine Tränen nur noch mehr und gemeinsam rollten wir uns auf dem Teppichboden zusammen. Es war mir egal, was Julian bei diesem Anblick von mir dachte. Ich genoss es einfach, von Sam getröstet zu werden. Von einem Lebewesen, das mich nicht für irgendetwas verurteilte und mich so annahm, wie ich war. Mit all meinen Fehlern und Makel.

Irgendwann hörte ich ein Seufzen und spürte, wie Julian sich hinter mir auf den Boden setzte. Seine Hände fanden den Weg in mein Haar und er begann, behutsam darüber zu streicheln. Es war eine liebevolle Geste. Einfühlsam. Vertraut. Doch statt mich zu ihm zu drehen, starrte ich einfach nur in Sams dunkle Augen und genoss die tröstliche Berührung von Julians Händen in meinem Haar. Keine Ahnung, wie lange wir in dieser Position verharrten. Eine ganze Weile, schätzte ich.

»Bin ich ein schlechter Mensch?«, flüsterte ich irgendwann leise, ohne ihn anzusehen und fuhr damit fort, Sam hinterm Ohr zu kraulen. Ihre Nähe beruhigte mich irgendwie.

Julian hielt kurz mit seinem Tun inne, ehe seine Hand sich weiter über meinen Kopf bewegte.

»Schlechten Menschen ist es egal, wenn sie anderen weh tun, Laney. Und dir ist es nicht egal«, er schwieg einen Moment lang. »Was aus Liebe getan wird, geschieht immer jenseits von Gut und Böse.«

Ich lächelte, obwohl mir noch immer stumme Tränen über die Wangen rollten. »Friedrich Nitzsche.«

»Ja«, sagte er und ich brauchte mich nicht umzudrehen, um zu wissen, dass Julian ebenfalls lächelte.

»Magst du mir erzählen, was zwischen dir und Josh passiert ist?«

Ich hielt kurz den Atem an und versteifte mich. Keine Ahnung, ob Julian der richtige Ansprechpartner war, aber irgendwie hatte ich tatsächlich das Bedürfnis, mit jemandem über Josh zu sprechen. Mir alles von der Seele zu reden. Wir saßen noch eine ganze Weile lang da, bis ich mir ein Herz fasste und zu erzählen begann.

»Ich kenne Josh schon mein ganzes Leben lang. Wir waren Nachbarskinder und sind zusammen aufgewachsen. Er war mein einziger Freund in Waterbury und immer für mich da. Manchmal hat er sogar Nächte mit mir im Krankenhaus verbracht, wenn es wieder einmal problematisch mit meiner Krankheit wurde«, ich schluckte schwer beim Gedanken daran. »Er war wie ein Bruder für mich. Bis er mir auf der High School gestanden hat, dass er in mich verliebt ist. Ab da wurde es irgendwie kompliziert. Ich mochte Josh. Sehr sogar und in einem anderen Leben hätte ich mir vielleicht mehr mit ihm vorstellen können, aber... Da war meine Krankheit und als ich erfuhr, dass ich ein Spenderherz brauchte, habe ich mir das Versprechen gegeben, mich niemals zu verlieben. Also kam eine Beziehung für mich gar nicht erst infrage, aber...«, ich pausierte kurz, da nun der Part kam, auf den ich alles andere als stolz war. Ich errötete. »Aber es gab da etwas, das ich unbedingt noch ausprobieren wollte, bevor ich sterbe. Und ich wollte es mit jemandem haben, den ich kannte und dem ich vertraute. Also habe ich Josh gebeten, mit mir... zu schlafen, was sich als riesengroßen Fehler erwies. Ich wusste, was er für mich empfindet und habe ihn trotzdem ausgenutzt. Er hat sich natürlich Hoffnungen gemacht und als er mich vor zwei Wochen im Krankenhaus besucht hatte, habe ich es nicht übers Herz gebracht, ihm die Wahrheit zu sagen. Ich habe es auf meine Krankheit geschoben«, ich schluckte den Kloß in meinem Hals herunter, ebenso die Schuldgefühle, die mich in diesem Moment wieder überfielen, wie ein riesiger Tsunami. »Aber jetzt hat er uns zusammen gesehen und ich habe ihm das Herz gebrochen. Ich habe ihn ausgenutzt, hintergangen und belogen. Er hasst mich«, im Liegen schüttelte ich den Kopf und wieder begannen meine Augen verräterisch zu brennen.

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