Kapitel 19

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Als ich zurück ins Wohnheim kam, wurde ich von neugierigen Augen empfangen. Caya und Yuki saßen im Wohnzimmer auf dem Sofa. Caya sah sich im Fernseher wieder einmal irgendeine Serie auf Netflix an, während Yuki ihren Laptop auf dem Schoß hatte und wild in die Tasten haute. Wahrscheinlich hackte sie sich in irgendwelche fremden Geräte. Wundern würde es mich nach dem heutigen Morgen jedenfalls nicht. Yuki schenkte mir nur einen flüchtigen Blick, ehe sie sich wieder dem Bildschirm zuwandte.

Caya hingegen starrte mich erwartungsvoll an. Geflissentlich versuchte ich ihrem Blick auszuweichen, was sich als äußerst schwieriges Unterfangen herausstellte.

Ich nuschelte eine schnelle Begrüßung und machte Anstalten, hastig an ihnen vorbei in mein Zimmer zu gehen, als Caya über das Sofa hinweg nach meinem Arm griff.

»Moment mal«, flötete sie bester Laune. »Nicht so schnell, meine Liebe.«

Mit einem entnervten Seufzer ließ ich mich von ihr herumdrehen und starrte geradewegs in ihre schokoladenbraunen Augen, die aufgeregt glitzerten. Wie vorhin schon, schien sie alle Mühe zu haben, sich mit ihren Fragen zurückzuhalten. Zerfressen von Neugierde wanderten ihre Augen erneut über mich hinweg, als würde ich noch immer Julians Kleidung von heute Morgen tragen. Dabei hatte ich mich vorhin sofort umgezogen und Julians Kleidung in den letzten Winkel meines Zimmers gepfeffert, wo sie mir nicht permanent ins Augen springen konnte, als wollte sie mich verhöhnen.

Nun richtete auch Yuki ihre Aufmerksamkeit auf mich.

Peinlich berührt schlug ich die Augen nieder und spürte, wie mir Hitze in die Wangen schoss. Ich hatte nicht den Hauch einer Ahnung, was ich den beiden erzählen sollte. Wie viel ich ihnen erzählen sollte. Die ganze Sache war mir schlicht und ergreifend unangenehm. Am liebsten hätte ich sie vergessen. Nie wieder einen Gedanken daran verschwendet. Einfach so tun, als wäre dieser Kuss niemals geschehen.

Doch leider war das nicht möglich. Dafür hatte er sich zu sehr in mein Gedächtnis gebrannt. Eine Erinnerung, die immer wieder aufflammte, obwohl ich sie so mühevoll zu verdrängen versuchte. Und ich hatte die Befürchtung, dass ich diesen Kuss nie wieder vergessen würde.

Verdammt.

Was zum Teufel hatte ich nur getan?

»Zwei Fragen«, Caya hob symbolisch ihre Finger in die Höhe. »Erstens: Wie wars beim Arzt?«

»Gut«, log ich. »Alles im Lot.«

»Du bist eine schlechte Lügnerin«, Caya hob eine Braue.

»Eigentlich bin ich eine gute Lügnerin«, entgegnete ich mürrisch. »Ich bin nur etwas neben der Spur heute.«

»Gut, dass du das ansprichst. Hiermit wären wir nämlich auch schon bei Frage Nummer zwei«, Caya grinste hämisch und hielt mir zwei Finger unter die Nase. »Was ist zwischen dir und Professor Wright passiert?«

Hitze stieg mir in den Kopf und ich spürte, wie meine Wangen sich feuerrot färbten.

»Nichts.«

»Lügnerin«, Caya betonte das Wort ganz besonders und kniff ihre Augen zu engen Schlitzen zusammen.

»Jetzt sag schon«, drängelte sie. »Du kannst uns vertrauen. Wir werden nichts ausplaudern.«

Mein Blick huschte kurz zu Yuki, die bei Cayas Worten nicht einmal ansatzweise in unsere Richtung gelugt hatte. Nichtsdestotrotz war ich mir absolut sicher, dass sie mit halbem Ohr zuhörte. Yuki war nicht blöd.

Angestrengt überlegte ich, was ich den beiden erzählen sollte. Ich war mir nicht sicher, welches Thema das kleinere Übel war. Mein Besuch bei Dr. Heyck oder der Kuss mit Julian. Kurz spielte ich tatsächlich mit dem Gedanken, ihnen von dem Kuss zu erzählen. Ich wusste nicht warum, aber ich verspürte eine innere Sicherheit, dass sie nichts verraten würden. Dass ich ihnen vertrauen konnte. Yuki würde ohnehin nicht aus dem Nähkästchen plaudern. Sie war verschlossener, als eine undurchdringbare Stahltür. Und Caya... Caya war in den letzten Wochen zu so etwas wie meiner besten Freundin geworden. Ihr vertraute ich blind. Und irgendjemandem musste ich mich ja anvertrauen, oder nicht? Außer den beiden gab es niemandem, mit dem ich über Julian Wright hätte sprechen können. Meine Eltern waren ausgeschlossen. Josh kam gar nicht erst in Frage und ansonsten kam mir keine Person in den Sinn, der ich wirklich vertraute. Der ich so sehr vertraute, um über diese heikle Angelegenheit zu reden.

Her HeartWo Geschichten leben. Entdecke jetzt