Kapitel 14

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Songempfehlung: Pretty Little Lies - David Puentez & Louis III

Schon zum zweiten Mal in diesem Monat verbrachte ich fast einen ganzen Tag damit, meine Habseligkeiten für einen Umzug zusammenzupacken. Unser Antrag war tatsächlich genehmigt worden und nur eine Woche später zogen Caya und ich nun zu Yuki ins Jonathan Edwards. Ich wünschte ich könnte Josh davon erzählen. Die Funkstille zwischen uns machte mich traurig. Noch immer strafte er mich seit unserem letzten Telefonat mit Ignoranz, obwohl er mir eigentlich versprochen hatte, sich zu melden. Es verletzte mich, nichts von meinem besten Freund zu hören. Von dem Menschen, der mir am nächsten stand, den ich besser kannte, als mich selbst... Ich hoffte inständig, dass er mir irgendwann dafür verzieh, seine Gefühle ausgenutzt zu haben. Und mit irgendwann meinte ich bald. Denn allzu viel Zeit würde mir nicht mehr bleiben und ich wollte nicht sterben, ohne mit meinem besten Freund Frieden geschlossen zu haben.

Ich lenkte meine Aufmerksamkeit wieder ins Hier und Jetzt. Auf mein neues Zuhause. Das Jonathan Edwards war wirklich schön.

Es war das erste Residential College Yales, das überhaupt erbaut wurde. Der gotische Stil, die wunderschöne Great Hall und die malerischen Bibliotheken verliehen dem Residential College diesen ganz besonderen, magischen Flair, der so typisch für Yale war.

Kaum hatten Caya und ich den ersten Fuß in unser neues Zuhause gesetzt, wurden wir auch schon von allen anderen Studierenden überschwänglich begrüßt.

»Willkommen Spinnen«, riefen sie uns nacheinander alle mit einem breiten Grinsen zu. Die Spinne war das Maskottchen des Wohnheims. Demnach nannte man die Bewohner des Jonathan Edwards auch die Spinnen. Dies war zurückzuführen auf eine Zeile von Jonathan Edwards früheren Schriften. Er war ein Prediger, Missionar und eine wichtige Persönlichkeit in der Erweckungsbewegung des First Great Awakenings. Nach ihm war das Residential College auch benannt worden. Ja, das Jonathan Edwards hatte viele Traditionen. Ebenso das inoffizielle Motto des Wohnheims, das lautete JE SUX und dessen Ursprung auf einem lustigen Vorfall gründete. Vor vielen Jahren entwickelten mehrere Jonathan Edwards Bewohner eine Strategie für den Sieg beim jährlichen Bladderball-Spiel. Ein traditionelles Yale Spiel, das damals mit viel Leidenschaft und Ehrgeiz gespielt wurde, bis es schließlich verboten worden war. Einige Studenten des Jonathan Edwards wollten unbedingt gewinnen und überlegten sich eine hinterlistige Taktik, die jedoch schief lief. Das Spiel musste vorzeitig beendet werden, was die Studenten der anderen Wohnheime dazu veranlasste, Jonathan Edwards sucks! zu rufen. Seither hatten die Studenten des Jonathan Edwards diesen Ausruf mit einer leichten Wendung zu ihrem Schlachtruf gemacht. Sux statt Sucks, passend zum allgemeinen Motto der Yale Universität, Lux et Veritas - Licht und Wahrheit.

Ich lächelte, während ich glücklich mein neues Apartment in der Farnam Hall betrachtete. Es handelte sich ebenfalls um einen kleinen Wohnbereich, der dem unserer alten Unterkunft zum Verwechseln ähnlich sah. Der einzige Unterschied bestand darin, dass es hier drei Schlafzimmer gab, statt zwei.

Yuki half uns beim Schleppen der Umzugskisten. Sie und Caya ließen mich beinahe nichts selbst tragen und versuchten mir jegliche Anstrengung zu ersparen. Das war zwar nett gemeint von den beiden, aber es gab mir das Gefühl, nutzlos zu sein. Es erinnerte mich daran, todkrank zu sein. Also weigerte ich mich vehement, meine Arbeit abzugeben und half fleißig mit.

Gegen Nachmittag waren wir schließlich fertig und fielen erschöpft auf dem Sofa in uns zusammen.

»Also ich weiß ja nicht wie es euch geht, aber ich bin völlig k.o.«, jammerte Caya und pustete sich eine Strähne aus dem Gesicht.

Yuki hatte sich zwar zu uns gesellt, hielt aber ihren üblichen Sicherheitsabstand ein, indem sie sich uns gegenüber im Schneidersitz auf dem Teppichboden niederließ. Wie immer hatte sie sich fast den ganzen Umzug lang in Schweigen gehüllt. Doch allmählich gewöhnte ich mich an ihre verschwiegene Art. Ja, ich mochte Yuki sogar sehr. Sie war einfach anders als alle Menschen, die ich kannte. Sie war besonders. Ich wusste, dass Yukis Zurückhaltung nicht etwa daher rührte, dass sie uns nicht leiden konnte, sondern es war schlicht und ergreifend ihr Charakter. Ich vermutete sogar, dass Caya und ich mit jedem weiteren Tag der verging, für Yuki zu so etwas wie Freundinnen wurden. Allein die Tatsache, dass sie sich Caya und mich als Mitbewohnerinnen wünschte, sprach für sich. Yuki mochte sehr introvertiert und still sein, manchmal sogar etwas gefühllos wirken, aber tief in ihrem Innern, dessen war ich mir sicher, besaß sie ein Herz aus Gold.

Her HeartWo Geschichten leben. Entdecke jetzt