Kapitel 8

1.8K 107 80
                                    

Songempfehlung: Patrick Watson - Je te laisserai des mots

Als ich mich am nächsten Tag fertig machte, um zu meiner ersten Arbeitssitzung mit Professor Wright aufzubrechen, hätte ich um ein Haar den Aufsatz vergessen, den er mir zu schreiben aufgetragen hatte. Hektisch sammelte ich die Blätter von meinem Schreibtisch ein, stopfte sie in eine Hülle und ließ alles in meine Tasche gleiten. Dann machte ich mich auf den Weg.

Mit jedem Schritt dem ich seinem Büro näher kam, wuchs sogleich auch meine Nervosität. Ich war mir noch immer unsicher, ob es die richtige Entscheidung gewesen war, mit ihm zusammenzuarbeiten. Oder ob es sich nicht doch als großen Fehler entpuppen würde...

Das Department of Philosophy, das sich in der Connecticut Hall und somit direkt beim Old Campus befand, war leicht zu Fuß erreichbar. Es war ein hohes Gebäude im georgianischen Stil aus rotem Sandstein und weißen Fenstern. Doch der eigentliche Hingucker waren die dunkelgrünen Fensterläden, die der Einrichtung einen gewissen Charme verliehen. Ich betrat das Gebäude und hastete an anderen Studenten sowie Professoren vorbei die Gänge entlang, bis ich vor seiner Bürotür stand. Als ich auf das goldene Namensschild blickte, auf dem in schwarzen Lettern Prof. Dr. Julian Wright eingraviert war, wusste ich, dass es kein Zurück mehr gab. Mit einem letzten tiefen Atemzug hob ich die Hand und klopfte an. Ich vernahm ein gedämpftes Herein, woraufhin ich zögernd die Tür öffnete.

Noch bevor ich zu Professor Wright sah, nahm ich die holzvertäfelten Wände wahr, das dunkle Akazien Mobiliar und die riesige Bücherwand, die hinter dem Schreibtisch aus Massivholz thronte. Das Büro verströmte eine recht dunkle und doch einladende Atmosphäre.

Professor Wright saß hinter dem Schreibtisch und hob den Blick, als ich hereinkam.

Er trug eine beigefarbene Chinohose, die er mit einem dunkelblauen Pullover kombinierte, unter dem Kragen und Ärmel eines weißen Hemdes hervorlugten. Die Krawatte, die sich ebenfalls unter dem Pullover versteckte, durfte natürlich nicht fehlen. Das braune Haar war wie immer ordentlich frisiert und seine Gesichtszüge wirkten klar und nüchtern.

Professor Wright hatte etwas an sich.
Dieses gewisse Etwas.

Ein Blick genügte, ein einziger Blick, um es zu erkennen. Um das Charisma wahrzunehmen, das er ausstrahlte. Er strotzte nur so vor Stärke, Energie und Zielstrebigkeit. Ja, gewissermaßen war er das glatte Gegenteil von mir.

Nicht, dass ich nicht auch zielstrebig war. Ich hätte mich selbst sogar als einen der ehrgeizigsten Menschen beschrieben, die wohl auf diesem Planeten lebten. Sonst hätte ich es wohl kaum nach Yale geschafft. Jedoch fehlte mir in letzter Zeit oft die Lebenskraft. Lebenskraft, die mir durch meine Krankheit geraubt wurde.

Ich vertrieb diese düsteren Gedanken und konzentrierte mich wieder auf Professor Wright. Sofort begann es in meiner Magengegend zu kribbeln und ich hatte das Gefühl, als würde der Blick aus seinen grünen Augen mich geradewegs ins Herz treffen.

Ich ignorierte diese Gefühle und schob sie geflissentlich beiseite.

Stattdessen begrüßte ich ihn freundlich, trat ein und schloss die Tür hinter mir, während ich noch immer das Interieur auf mich wirken ließ.

»Hallo Miss Taylor, nehmen Sie doch Platz«, er erhob sich von seinem Stuhl und bedeutete mir, mich ihm gegenüber hinzusetzen. Ich tat wie mir befohlen und ließ mich auf den Stuhl sinken. Dann wanderte mein Blick erneut durch das Zimmer. Mir fiel auf, dass einige Antiquitäten den Raum schmückten und ihm diesen besonderen Flair verliehen, der so typisch für Yale war. Insbesondere ein altes Klavier aus Mahagoni Holz stach mir sofort ins Auge.

Meine Aufmerksamkeit ruhte wohl ein paar Sekunden zu lange auf dem schönen Instrument. Denn Professor Wright schien meine Blicke bemerkt zu haben.

»Spielen Sie?«, fragte er plötzlich.

Her HeartWo Geschichten leben. Entdecke jetzt