Kapitel 22

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Songempfehlung: Taylor Swift & Bon Iver - Exile

Weiß.
Überall weiß.
Weiße Decke.
Weiße Wände.
Weißer Boden.

Meine Augen schmerzten und ich versuchte mich an die hellen Lichtverhältnisse zu gewöhnen.

Meine Kehle fühlte sich trocken an. So trocken wie die Sahara. Ich hatte Durst. Großen Durst. Als hätte ich seit Tagen nichts mehr getrunken. Und mir war übel. Instinktiv griff ich mir an den Kopf. Er tat ebenfalls weh.

Ich fühlte mich, als hätte mich ein Laster überfahren.

Oder als wäre ich vom größten Gebäude der Welt gestürzt.

Ein gleichmäßiges Piepen hallte in meinen Ohren wider. Ich kannte dieses Geräusch. Es war der Monitor, der meinen Herzrhythmus und meinen Puls überwachte.

Ich war im Krankenhaus.

Urplötzlich rasten Bilder auf mein inneres Auge hinab. Erinnerungen.

Yale. Der Old Campus. Die Yale Olympics.

Mein Defibrillator hatte einen Schock abgegeben. Nein. Zwei. Drei sogar. Oder waren es vier gewesen?

Ich machte Anstalten, mich aufzusetzen, aber es kam nur ein Ächzen aus meiner Kehle, als ich schreckliche Schmerzen im Brustbereich spürte.

»Laney! Gott, du bist wach!«, die aufgekratzte Stimme meiner Mom erklang. Eine Sekunde später erschien sie in meinem Blickfeld. Sie schaute furchtbar aus.

Ihre blonde Frisur war völlig durcheinander. Als hätte es sich ein Vogel darin gemütlich gemacht und ein Nest gebaut. Ihre grünen Augen lagen in tiefen Furchen, die von schwarzen Ringe gesäumt wurden. Es wirkte, als hätte sie geweint. Schrecklich geweint.

Plötzlich spürte ich ihre Hand an meiner Wange.

»Bärchen, wie geht es dir?«, ihre Stimme klang brüchig und ihre Augen begannen verräterisch zu glitzern.

»Was ist passiert?«, fragte ich hölzern. Es war seltsam zu sprechen. Meine Stimme fühlte sich heiser an und ich hatte massive Schluckbeschwerden, sicher war ich wohl intubiert gewesen.

»Du hattest fast einen Herzstillstand, Bärchen«, Mom stockte und ihre Finger fuhren vorsichtig durch mein Haar. »Du wurdest reanimiert, um deinen Rhythmus zu stabilisieren, dann haben sie dich ins Krankenhaus gebracht und in ein künstliches Koma versetzt. Du warst drei Tage nicht ansprechbar.«

Nun brach ihre Stimme endgültig. Ein Schluchzen entrang sich ihrer Kehle.

»Oh Laney«, Mom begann bitterlich zu weinen. »Ich dachte, wir hätten dich verloren.«

Ich hatte drei Tage meines Lebens verpasst?

In meinem Hals entstand ein Kloß. Ich schluckte ihn herunter, während ich mich langsam zu erinnern begann. Ich erinnerte mich daran, wie ich auf dem Sportfest all meine Energie aufgebracht hatte. Wie ich mich mit Julian gestritten hatte und schließlich in seinen Armen zusammengebrochen war.

»Julian«, hörte ich mich selbst sagen. Ich hatte seinen Namen gar nicht laut sagen wollen, doch meine Lippen formten ihn wie von selbst.

Die Erinnerung an ihn traf mich wie eine eiskalte Dusche. Wie ein Pfeil mitten ins Herz. Wie der Schock meines Defibrillators.

Fühlte ich mich zuvor noch benommen, war ich mit einem Mal hellwach. Nun ja, so wach man eben nach einem dreitägigen künstlichen Koma sein konnte.

War Mom überrascht darüber, dass eines der ersten Dinge über die ich sprach, mein Professor war, so ließ sie sich nichts anmerken. Oder aber ihr Schock über das, was mir passiert war, überlagerte alles andere.

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