Kapitel 23 - Summer

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Schon in State College sind die Temperaturen in den letzten Tagen ziemlich nah an die dreißig Fahrenheit gerutscht, doch hier in Chicago ist es wie gewohnt noch eine ganze Spur kälter.

Trotzdem wagen meine Mum und ich uns am Thanksgiving-Morgen auf unsere gemeinsame Joggingrunde und ich bin froh, aus dem Haus zu kommen und meinen Beinen etwas zu tun zu geben.

Gestern Abend bin ich hier gelandet und die Nachrichten meines Dads haben mich im Minutentakt erreicht. Natürlich hat die Übergabe seiner alten Wohnung schon Montag stattfinden müssen und er und Molly werden Thanksgiving in Los Angeles verbringen. Ohne mich.

Das ist eine Tatsache, die er mich nicht vergessen lassen kann und mit jeder seiner Nachrichten mal direkter, mal indirekter anmerken muss. Er gibt mir keinesfalls die Schuld daran, doch jedes Mal, wenn er mich wissen lässt, dass er mich vermisst und wie seltsam es wird, Thanksgiving ohne mich zu feiern, zieht sich meine Brust schmerzhaft zusammen.

Genau, wie jetzt auch.

Ich nehme einen tiefen Atemzug der eisigen Luft durch den Mund, obwohl ich ganz genau weiß, dass ich bei diesen Temperaturen möglichst durch die Nase atmen sollte. Doch das Brennen in meinen Lungen kommt mir ganz gelegen.

„Summer... du hast... ein ganz... schönes... Tempo... drauf.", keucht da plötzlich meine Mum aus weiterer Entfernung, als ich eigentlich erwartet habe.

Sofort verlangsame ich meine Schritte, bis ich in ein Tempo verfalle, von dem ich glaube, dass es angenehm für meine Mum sein könnte.

Trotz ihres Alters ist sie noch ziemlich gut in Form und legt mindestens eine Sporteinheit am Tag ein. Wenn ich zu Besuch bin, manchmal sogar mehr. Die Sportlichkeit habe ich definitiv von ihr geerbt, denn mein Dad ist eher von der gemütlichen Sorte.

Allerdings muss man ihm auch zu Gute halten, dass er im Gegensatz zu meiner Mum die meiste Zeit des Tages im Büro verbringt, während sie die regelmäßigen Sporteinheiten zwischen Haushalt und den Pflichten einer Hausfrau der gehobenen Mittelschicht gut unterbringen kann.

Doch heute muss ich wirklich ziemlich Gas gegeben haben, denn meine Mum ist ungewöhnlich stark außer Puste.

„Was ist es... Summer?", will sie zwischen zwei tiefen Atemzügen wissen.

Für einen Augenblick schaue ich verwundert zu ihr herüber und runzle fragend die Stirn. Ich verstehe nicht, was sie meint.

Ein leichtes Lächeln legt sich auf das gerötete und leicht verschwitzte Gesicht meiner Mum, das meinem so ähnlich ist.

„Du rennst vor etwas davon. Ich kenne dich, Süße, etwas bedrückt dich. Was ist es? Ein Mann?"

Sofort habe ich Landens Gesicht vor Augen und spüre seine Hände auf meinem Körper. Wütend schiebe ich die Bilder fort, denn genaugenommen ist er derzeit nicht der Grund dafür, weshalb ich mich so eingeengt fühle.

Klar beschäftigt es mich, dass wir wieder miteinander geschlafen haben und jetzt einfach so tun, als wäre niemals etwas zwischen uns geschehen. Aber, wenn ich ehrlich bin, sind seine lockeren Sprüche und sein Verständnis neben meinen Freunde, die einzigen Dinge, dir mir zurzeit Halt geben. Denn seit Dad mir von seinem Umzug erzählt hat, habe ich das Gefühl nicht mehr mit meinen Eltern reden zu können.

Ständig geht es nur darum, wo ich wann wie viel Zeit verbringe und das macht mich fertig.

Mit einem undefinierbaren Geräusch bleibe ich abrupt stehen, überrasche damit nicht nur mich selbst, sondern auch meine Mum. Eigentlich gehe ich Konfrontationen aus dem Weg, doch zu meiner eigenen Verwunderung sprudeln die Worte nur so aus mir heraus.

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