Von Maurern und grünen Haarreifen

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Abends telefonierte ich lange mit Aly und erzählte ihr von meinem Date. Früher hätte ich ihr jede noch so kleine Einzelheit erzählt, aber ich ließ weg, dass Ben mir von seinen Sorgen über die Zukunft erzählt hatte und wie er auf seine Eltern reagiert hatte. Vielleicht ist das so, wenn man älter wird. Erwachsen. Irgendwann musste man wohl auch mal was für sich behalten. Sie bot mir noch einmal ihre Dienste für morgen an und ich nahm dankend an. So eine gute Freundin konnte man sich wirklich nur wünschen.

Pünktlich wie ein Maurer stand Aly am nächsten morgen um halb neun vor meiner Tür. Sie wartete gar keine Begrüßung ab, sondern marschierte schnurstracks an mir vorbei nach oben in mein Zimmer. „Hopp hopp, wir haben hier nicht den ganzen Tag Zeit! Wir müssen einen strikten Zeitplan einhalten, das ist ein größeres Projekt!", schallte es durch unser Haus. Ich stand immer noch an der Haustür und konnte mich vor lachen kaum halten. Wie kam sie nur immer auf diese Ideen?

„Gut, dass ich am Freitag noch ein paar Alternativen aus dem Fundus mitgenommen hab, als hätte ich es gewusst!", verkündete Aly und hielt triumphierend einen Kleidersack hoch, der aussah, als ob er gleich platzen würde. „Du weißt aber schon, dass ich nur ein Kleid gleichzeitig anziehen kann, oder?", lachte ich und rupfte ihr das Ding aus der Hand. Darin waren sicher fünfzehn verschieden Outfits, aber ich vertraute Aly in dieser Hinsicht jetzt einfach mal. Sie würde da schon das richtige finden. Solange ich zwischendrin keinen Kostümwechsel hatte, war alles gut.

Sie begann wieder, sich an meinem Gesicht und Haaren zu schaffen zu machen und erzählte mir nebenbei irgendein belangloses Zeug, dass der Hund der Mutter ihrer Nachbarin scheinbar Husten hatte und jetzt mussten die zum Tierarzt, aber dem Hund wird beim Autofahren immer schlecht und das ist jetzt blöd. Ich fühlte mich wie in einem echten Friseursalon, da erfuhr man ähnlich interessante Sachen. „Aly, sorry, dass ich dich jetzt einfach unterbreche, aber die Story ist so spannend, dass meine Zehennägel einschlafen." Sie lachte und meinte: „Naja, ich wollte dir einfach das volle Friseurerlebnis bieten!" „Na das hast du auf jeden Fall geschafft. Aber was mich noch viel mehr interessieren würde - wie läuft's mit diesem Markus? Hat sich da schon was getan? Oder soll ich vielleicht da mit Ben was deichseln?", bot ich an. „Hä, welcher Markus?" „Na der Markus... der Kumpel von Ben, dein Schwarm?" Schlagartig war ihr Lachen weg.

„Das hat sich erledigt, Lia. Bitte sag auf gar keinen Fall was zu Ben. Das wird sowieso nichts und ich will das nicht unnötig kompliziert und unangenehm machen. Können wir bitte über was anderes reden?" Sie blockte total ab und ich verstand nur Bahnhof. Wir redeten doch ständig über unseren Schwarm, aber irgendwie benimmt sie sich bei diesem Thema in letzter Zeit komisch. „Dann erzähl wieder von dem Hund!", scherzte ich, aber sie hatte wohl keine Lust mehr. Die restliche Zeit sagten wir nichts.

Aly mag Makeup und Haare auch sehr gerne, aber am allerliebsten war ihr immer noch die Mode. Deshalb dachte ich, dass sich ihre Stimmung sicher wieder bessern würde, sobald es ans Outfit herraus suchen ging. Als das aber überhaupt nicht so war, packte ich sie an den Schultern und schüttelte sie kräftig. „Was ist denn mit dir los? Hast du Liebeskummer wegen Markus oder wieder Probleme mit deiner Mutter oder was ist?" Sie drehte ihren Kopf weg. Ich seufzte. Ihr Körper begann zu beben und ich schlang meine Arme um sie. „Hey meine Kleine, du weißt, dass du mit mir über alles reden kannst. Es ist okay, wenn es dir gerade schlecht geht.", versuchte ich sie zu trösten, aber das ließ sie nur noch fester weinen. Hätte sie mich nicht gerade fertig geschminkt, hätte ich jetzt auch hemmungslos geheult, aber ich wollte nicht ihre ganze Arbeit wieder zunichte machen. Es war schwierig, die Tränen zurückzuhalten, denn es war wirklich schlimm, Aly weinen zu sehen. Sie weinte nicht oft (im Gegensatz zu mir), wenn es so weit war, musste etwas wirklich schlimmes passiert sein. Ich malte mir Horrorszenarien aus, zwischen ein paar Schluchzern brachte sie jedoch hervor: „Mit meiner Familie ist alles gut. Ich habe Liebeskummer."

„Aber Aly, du weißt doch, dass du mir alles sagen kannst, erzähl es mir doch einfach, dann finden wir sicher eine Lösung, dafür sind Freundinnen doch da!" „Weißt du Lia, du hast doch auch Dinge, die du mir nicht erzählst, und so habe ich auch Dinge, die ich dir nicht erzählen kann oder mag und dann musst du das auch akzeptieren!", entgegnete sie mir patzig. Leider konnte ich dagegen nichts sagen, denn da hatte sie absolut recht.

Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt, ihr von meinen Gedanken über Herr Visnes zu erzählen. Ich setzte an, aber bevor mir das erste Wort über die Lippen kommen konnte, wischte Aly sich die Tränen aus dem Gesicht und teilte mir mit: „Es ist besser, wenn ich jetzt nach Hause gehe. Ich glaube ich muss jetzt alleine sein." Mit diesen Worten stand sie auf und verließ das Zimmer. Ich folgte ihr nicht.

Ich atmete einmal tief durch und schaute mich um. Aly hatte all ihre Schminkutensilien, Klamotten und so weiter bei mir gelassen. Um etwas auf andere Gedanken zu kommen, räumte ich die Unordnung auf und widmete mich dann dem Kleidersack. So viel zu ‚Aly wird dann schon wissen, was sie tut.' Ich schaute kurz auf mein Handy und tatsächlich hatte ich eine Nachricht von ihr. Als hätte sie meine Gedanken gelesen:

Weißes Kleid, grüne Heels, grüner Haarreif, goldene Kette, Trench zum Radfahren, wenn dir zu kalt ist.

Auf Aly ist einfach Verlass. Womit hatte ich diese wundervolle Freundin nur verdient?

Danke!!!

Ich lächelte. Dieser Markus hatte es wirklich nicht verdient, dass sie wegen ihm Liebeskummer hatte. Aber vielleicht war er ja doch ganz nett. Da würde sich doch sicher was machen lassen.

Ich kann dich doch nicht mit so einer wichtigen Entscheidung alleine lassen!

Hey! Heißt das etwa, dass ich keinen Geschmack habe?

Das hast jetzt du gesagt...

Ich lachte. Zwischen uns ist alles wieder gut. Ich hatte ja auch manchmal meine Aussetzer. Aber das macht gute Freundinnen aus - dass sie sich immer wieder zusammenraufen. Und sich alles erzählen, oder? Das schlechte Gewissen nagte an mir. Wenn ich ehrlich mit Aly gewesen wäre, wäre sie mir gegenüber jetzt nicht so misstrauisch und müsste mir auch nichts verheimlichen. Sobald ich sie wieder sah, würde ich ihr von Herr Visnes und mir erzählen.

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