Von Erklärungen und Idioten

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Mein Herz klopfte laut und ich schaute noch einmal kurz in die Spiegelung der Scheibe vor mir, um meine Haare zu überprüfen. Es dauerte noch einige Minuten, schließlich musste er noch duschen und sich umziehen. Dann hörte ich Türen auf- und zugehen und dann tauchte auf einmal eine Gestalt am Ende des Ganges auf.

Die Person wurde immer größer und obwohl ich wusste, dass es nur Ben sein konnte, war ich erleichtert, dass er es tatsächlich war. Ich wusste nicht, ob ich sitzen bleiben oder mich hinstellen und was ich mit meinen Händen machen sollte.

Er hatte mich noch nicht gesehen, er schaute auf den Boden, aber seine zu Fäusten geballten Hände ließen mich vermuten, dass seine Laune gerade nicht die beste war. Erst als er fast ganz vorne angekommen war, hob er seinen Kopf und sah mich. Schnell stand ich auf und strich mein Kleid glatt.

Er wirkte mehr als überrascht. „Was machst du denn hier?", fragte er ohne Umschweife. „Ich wollte mit dir reden.", erwiderte ich mit einem dicken Kloß im Hals. Seine Hände und Arme spannten sich an und lockerten sich im Wechsel. „Okay, wenn du willst.", seufzte er.

Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte, aber ich dachte schon, dass er etwas enthusiastischer sein würde.

„Tut mir leid, dass ich dich sitzen lassen habe.", sagte ich. Heute war scheinbar der große Tag der Entschuldigungen. Er seufzte wieder und lehnte sich mit einer Schulter an die Wand. „Ja, passt jetzt schon." Er schaute zu Boden und verschränkte seine immer noch angespannten Arme. Durch den vielen Sport und jetzt auch noch zusätzlich aufgepumpt durch das Schwimmen wirkte er schon fast bedrohlich, aber ich hatte keine Angst vor ihm. Ich hatte Angst, ihn zu verlieren.

„Ben, bitte. Ich konnte nicht anders. Ich war einfach in Panik.", gestand ich ihm und hoffte auf Verständnis. „Aber wieso? Vor was hast du Angst? Mache ich dir Angst? Oder warst du durcheinander, weil ... naja du weißt schon ...", fragte er nach, aber anscheinend traute er sich das Wort ‚Kuss' nicht auszusprechen. Irgendwie süß. Ich dachte in diesem Alter könnte man da offen darüber reden.

Ich musste es ihm erzählen. Dass ich Angst vor dem Singen hatte. Und dass nicht er das Problem war, dass ich zurückgezogen hatte. Aber wie weit konnte ich da gehen?

Dadurch, dass ich diese Story heute schon einmal erzählt hatte, fiel es mir wesentlich leichter, Ben ebenfalls anzuvertrauen, dass ich panische Angst davor hatte, vor anderen Leuten zu singen.

„Und weil ich mich bei dir so wohlgefühlt habe, dachte ich, dass das dann schon funktionieren würde, aber das hat es nicht. Und ich wollte nicht vor dir weinen, das war mir total peinlich. Und dann bin ich Weggelaufen. Aber jetzt weiß ich: Weglaufen ist keine Lösung!", schloss ich meine Erklärung und lächelte ein ganz kleines bisschen, als ich an vorhin dachte, als mein Kunstlehrer und ich uns fast geküsst hätten.

Allerdings sollte ich bei diesem Gespräch mit meinem Schwarm gerade auch wirklich gedanklich anwesend sein und nicht an irgendwelche Lehrer denken! Das sollte ich eigentlich nie. Schnell verscheuchte ich die verbotenen Gedanken aus meinem Kopf und konzentrierte mich wieder auf Ben. Er schaute noch immer auf den Boden.

Nach einem Seufzen sah er mich an und fragte: „Wieso hast du das nicht einfach gesagt? Wenn ich das gewusst hätte, wäre ich doch ganz anders mit der Situation umgegangen. Und wahrscheinlich hätte ich dann auch nicht ... egal." Ben schüttelte seinen Kopf.

„Was hättest du dann nicht?", bohrte ich nach. Er zuckte mit den Schultern. „Dann hätte ich auch nicht versucht dich zu küssen. Ich wusste ja nicht, dass du eh schon total nervös bist, ich wollte ... keine Ahnung eigentlich. Keine Ahnung, was ich wollte. Ich wollte dich küssen in dem Moment. Ich dachte das wäre irgendwie romantisch. Aber anscheinend wolltest du das nicht." Er flüsterte schon fast. Er stand da, mit hängenden Schultern und schlaffen Händen, wie ein kleines Häufchen Elend. Ich setzte an, etwas zu sagen, aber er redete weiter:

„Und als du dann auch noch einfach abgehauen bist ... das war echt nicht so cool." Er lachte freudlos. „Ich dachte ich wäre schuld, weil ich mich so aufgedrängt habe. Weil ich versucht habe, dich zu küssen und du wolltest das gar nicht. Ich dachte einfach, ich hätte auch von dir irgendwie die richtigen Signale erkannt und dass es ein guter Zeitpunkt wäre. Und dann dachte ich, dass ich dich mit der dummen Aktion vertrieben habe."

Ach Ben. Armer, Kleiner Ben. Ich musste mich zusammennehmen, nicht auf der Stelle loszuheulen. Er war so süß. „Es tut mir so wahnsinnig leid, Ben. Ich wollte nicht ... ich wollte dich eigentlich auch küssen. Schon die ganze Zeit. Und als es dann soweit war, da ..." Erzähl es nicht! Erzähl es nicht! „Da war das einfach zu viel für mich, mit der Angst vor dem Singen und dann die Nervosität und ... ja." Das klang gar nicht so unplausibel. Irgendwie war es ja auch ein bisschen so. Ich hatte wirklich Angst und war total nervös.

Er schaute mich auf einmal an und ich schaute zurück. „Du wolltest auch?", fragte er ganz außer Atem, obwohl er die letzten Minuten nur an der Wand gelehnt war. Mit dieser Frage warf er mich etwas aus der Bahn, obwohl wir schon die ganze Zeit nur darüber redeten.

„J - ja!", stotterte ich und er lächelte. Schüchtern schauten wir beide weg, nur um uns gleich danach wieder anzusehen.

„Oh man und ich habe mich den ganzen Tag dafür gehasst, dass ich es so überstürzt habe und dass du mich jetzt sicher auch hasst!", gab er erleichtert zu und ich lachte ein bisschen. „Nein, so ist es nicht. Und ich dachte den ganzen Tag, es wäre jetzt anders herum! Dass du mich hasst und nichts mehr mit mir zu tun haben willst.", gestand ich im Gegenzug. Er lachte. „Ich glaube, wir machen uns ein bisschen zu viele Gedanken. Aber ich muss schon zugeben. Als du weggelaufen bist, war ich nicht wirklich begeistert. Ich habe mir riesige Vorwürfe gemacht. Und ich war sauer, aber vor allem auf mich."

Er grinste mich schief an. „Das klingt jetzt vielleicht blöd, aber das ist mir noch nie passiert, dass ich sitzen gelassen wurde. Oder dass jemand mich nicht küssen wollte. Ja, das klingt ziemlich blöd.", bemerkte er, aber ich lachte nur.

„Und ich muss noch etwas zugeben, wo ich schon dabei bin: Du gehst mir nicht mehr aus dem Kopf. Vor allem heute, ich war total durch den Wind, nachdem du weg warst. Ich ... naja normalerweise würde ich so etwas niemandem erzählen, aber ... nachdem du weg warst und ich realisiert hatte, was ich getan hatte, habe ich ein bisschen geweint. Ich konnte den ganzen Tag nichts tun, nichts essen, noch nicht einmal Schwimmen konnte ich richtig, hast du ja scheinbar gesehen.", meinte er peinlich berührt.

Diese Ehrlichkeit überraschte mich. Ich kannte mich ja nicht aus, schließlich hatte ich noch nie ein Liebesgeständnis oder sowas bekommen, aber dauerte das nicht eigentlich länger? Klar, Ben und ich „kannten" uns seit wir klein waren, aber wirklich Kontakt hatte wir ja eigentlich erst seit letzter Woche.

„Lia, sag doch bitte was.", bettelte er und ich lächelte. „Du bist wirklich unglaublich lieb. Weißt du, mir geht's ähnlich. Und ich hab das gleiche getan, als ich weggelaufen bin.", beichtete ich.

Wir lächelten uns an. Zwei Idioten, die viel zu viel überdachten. Er kam auf mich zu und ich sah, dass seine Haare noch etwas nass waren und ihm eine einzelne Locke ins Gesicht hing. Davon tropfte immer wieder ein bisschen Wasser auf sein T-Shirt.

Wir umarmten uns und ich hatte das Gefühl, als würde er mich auf eine Wolke heben und ich könnte mein restliches Leben darauf umherschweben. Mit ihm zusammen, versteht sich.

Ich legte meinen Kopf auf seiner Brust ab. Jetzt tropfte es immer wieder auf mich. Er roch nach Shampoo und Chlor und ein bisschen nach Schweiß. Er roch gut. Am liebsten hätte ich ihn nie wieder losgelassen, aber leider trennten wir uns irgendwann.

Wir standen uns etwas ratlos gegenüber. „Und jetzt?", fragte ich irgendwann und grinste ihn frech an. Er zuckte mit den Schultern. „Eis?" Ich nickte und er hielt mir die Tür auf.

Da fiel mir etwas ein: „Ach Ben, apropos Eis. Ich hätte da eine Idee. Du hast doch da diesen Kumpel, Markus?"

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