Vom Weglaufen und Schultoiletten

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Das Klavier spielte weiter und weiter, eine einsame Träne rollte meine Wange herab und plötzlich stoppte die Musik. Ich schloss meinen Mund und drehte mich panisch zu Herr von Wildenberg um.

Ich konnte ihn aber nicht anschauen, wich mit meinem Blick auf die Klappe des Flügels aus. Alles drehte sich, ich hatte des Gefühl in ein tiefes Loch zu fallen und zu fallen. Es hörte nicht auf, ich hatte Angst vor dem Aufprall. Ich wollte schreien und konnte nicht, meine Stimme funktionierte nicht mehr.

Weglaufen war keine Lösung, ich wusste das, aber das einzige, was noch funktionierte, waren meine Beine. Ich konnte die Lehrer nicht ansehen, ich stolperte zu einer Tür, erwischte die Klinke nicht gleich, sank etwas dagegen, konnte sie aber doch öffnen und rannte hinaus, einfach weg. Ich schluchzte, wenigstens kam irgendein Geräusch aus meinem Hals. Meine Knie knickten weg, als ich versuchte zu laufen, ich hangelte mich an der Wand entlang zu einem Klo, sank in einer Kabine auf den Boden und übergab mich.

Mein Körper konnte nicht mehr, ich fühlte mich, als hätte ich beim Iron Man mitgemacht, ich war kraftlos, meine Sinne vernebelt. So elend hatte ich mich noch nie gefühlt. Auf dem Weg hierher hatte ich nichts um mich herum mitbekommen, aber ich hoffte sehr, dass mich niemand gesehen hatte. Ich schämte mich so sehr für dieses peinliche Verhalten. In diesem Moment wollte ich am liebsten nie wieder aufstehen, niemanden mehr sehen, einfach weglaufen und nicht mehr wieder kommen. Mir war alles egal, ich wollte nur weg von hier.

Meine letzte Kraft verwendete ich darauf, meine Hand zu heben und etwas Klopapier abzureißen, um mein Gesicht abzuwischen. Es roch ekelhaft, aber ich wusste gerade nicht, ob das schon immer so gewesen war oder ob ich der Grund war. Sonst fand ich kaum etwas abstoßenderes als das Schulklo, aber selbst das war mir gerade egal. Ich lehnte meinen Kopf an die verschmierte Trennwand und weinte. Ich weinte, bis keine Tränen mehr da waren. Wieso war ich so dumm? Wieso hatte ich mir eingebildet, dass ich auch nur irgend eine Chance haben könnte? Wie konnte ich so naiv sein zu glauben, dass ich gegen jemanden wie Diana bestehen könnte? Die hatte das sicher mit links gemacht mit ihrem Schmollmund und ihrem perfekten Körper. Ich war so sauer. Wutentbrannt schlug ich auf den Boden, wieder und wieder, bis meine Hand zu pochen begann. Sie wurde etwas taub und das machte mich noch wütender, aber ich war nicht sauer auf Diana oder auf meine Hand, einfach nur auf mich selbst. Wiederum begann ich zu schluchzen. Ich fühlte mich so hilflos, so mir selbst ausgeliefert. Ich hielt die eine Hand mit der anderen, sie pulsierte vor Schmerz, aber irgendwie tat das gut. Ich zog meine Knie an und legte meinen Kopf darauf. In mir war eine seltsame Ruhe, aber trotzdem war ich seltsam aufgewühlt und in mir war es wild. Wenigstens heulte ich nicht mehr so stark.

„Emilia?", hörte ich leise. Oh nein, bitte nicht. Bitte nicht jetzt. Das war mir doch alles schon peinlich genug. Ich versuchte ganz still zu sein und hielt die Luft an.

„Emilia, ich weiß, dass du hier bist, ich sehe doch deinen Rock unter der Kabine herausschauen.", wurde wieder leise gesagt. Ich verdrehte die Augen. Ich Idiot. Schnell zog ich den Rock ganz in die Kabine.

Leises Lachen. „Ernsthaft?", Murmeln zu sich selbst.

Ich schlang meine Arme um meine Beine und wollte ganz klein sein, am liebsten Verschwinden. Schritte kamen näher und ich sah, wie Schuhe neben der Kabine stehen blieben.

„Bitte mach auf, Emilia." Ich hielt mir die Ohren zu, wollte meinen Namen nicht mehr hören. Ich wollte gerade nicht ich sein, lieber jemand anderes. Und vor allem wollte ich, dass dieser Jemand vor der Kabine endlich verschwand.

„Ich will alleine sein!", presste ich hervor. Seufzen. Lass mich doch einfach in Ruhe! Ich will, dass du weg gehst! Ich schloss meine Augen, wünschte mir die Person weg, aber es funktionierte leider nicht. Ich war eben doch Cinderella und nicht die gute Fee.

Ich hörte, wie jemand mit dem Rücken an der Tür herunterrutschte und sich auf den ekligen Boden setzte. „Ich will dich aber nicht alleine lassen.", Murmeln. Dann eben nicht. Aber ich würde auch nichts sagen. Mein Herz zog sich immer fester zusammen, ich wollte nur noch weinen, obwohl ich gar keine Tränen mehr dafür hatte. Aber ich wollte auch nicht weinen, nicht jetzt, nicht, wenn jemand dabei war. Das war meine Sache.

Ich ließ meinen Kopf nach hinten fallen, er knallte leicht gegen die Kunststofftrennwand und ein dumpfes Geräusch erfüllte kurz den Raum. Ich starrte auf die dreckig-weiße Decke. Die Präsenz einer weiteren Person nahm mir fast den Atem, ich bekam kaum mehr Luft, atmete nur noch ganz flach. Mein Herz zog sich zusammen und breitete sich wieder aus, immer im Wechsel. Ich knetete meine Hände, bis sie ganz rot waren. Die eine pochte immer noch. Eigentlich schmerzte sie ziemlich, aber das wollte ich nicht zugeben. Ich wollte stark sein. Es war mir peinlich, dass ich mich so aufgeführt hatte. Ich war nicht mehr sauer, nur noch enttäuscht von mir selbst. Aber was hätte ich tun sollen? Hm, vermutlich einfach um einen erneuten Einsatz bitten.

Aber toll gemacht Lia, jetzt hast du dir die Chance auf eine Rolle verspielt, jetzt darfst du wahrscheinlich nicht mal mehr ein Baum sein. Herzlichen Glückwunsch.

Vor der Kabine stützte sich eine Hand auf dem Boden ab. Ich brauchte eine Umarmung. Eine ganz feste.

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