Sobald es klingelte sprang ich auf, schnappte meine Sachen und raste die Treppe hinunter, um ja die erste in der Aula zu sein. Niemand sollte sehen, wohin ich ging. Dieser Plan ging nicht ganz auf, denn schon auf halbem Wege wurde ich von Sechstklässlern umzingelt, die ein Wettrennen zum Kiosk veranstalteten, um sich einen der begehrten Schokomuffins zu sichern. Ich tat so als würde ich noch einmal die Castinglisten studieren (das Vorsprechen war schon am Freitag!) und schielte dabei immer wieder nach links, um nicht den Moment zu verpassen, wenn der scheinbar unendliche Strom aus unmotivierten Achtklässlern aus dem Kunstsaal versiegte.
Als ich meinte, dass es soweit war, ging ich in großen Schritten auf die Tür zu und schloss sie schwungvoll hinter mir. Als ich mich umdrehte, blickte ich in die pickeligen Gesichter von zwei der bereits genannten Achtklässler, die mich mit aufgerissenen Augen anstarrten. Kein Visnes weit und breit. Stattdessen Rumoren aus dem Materiallager. Ich lächelte die beiden kurz an und lehnte mich dann möglichst lässig an einen Tisch. Sie glotzten mich immer noch an, aber ich konnte auch schlecht sagen, dass sie das doch bitte lassen sollten, also ignorierte ich sie einfach. So langsam gewöhnte ich mich an die ständige Aufmerksamkeit. War das so, wenn man einen Schönen und Reichen datete? War das so, dateten wir? War das überhaupt ein Ausdruck? Aber wir wollten dem ganzen ja keinen Namen geben.
Plötzlich sah ich Herr Visnes aus dem Nebenzimmer auftauchen, mit dem Blick auf zwei kleine Tonmodelle in seinen Händen gerichtet. „Ich hab sie gefunden, jetzt können wir darüber reden was gut und was verbesserungswürdig ist.", murmelte er. Auf einmal war ich wieder so nervös, meine Hand, mit der ich mich an der Tischkante abgestützt hatte, rutschte ab und ich haute mir (mal wieder alles andere als geräuschlos) meinen Ellenbogen an.
Erschrocken blieb der Lehrer stehen. „Emilia!", war alles, was er hervorbrachte. Mist. Es tat so weh. Mit einem gequälten Lächeln nickte ich ihm zu. Er schien etwas verloren, wie er da mit seinen Tonbatzen stand und ich hatte das Gefühl, ich musste ihm helfen. Die Achtklässler schauten mit immer noch großen Augen zwischen uns hin und her. Ich schaute kurz sie an und dann ihn, dann wieder sie. Schnell richtete ich mich auf und strich mein Kleid glatt. „Wenn es gerade unpassend ist, dann können wir meine Arbeit auch wann anders besprechen." Ich versuchte locker zu klingen, aber innerlich schüttelte es mich wie einen nassen Hund.
Herr Visnes brauchte einen Moment, fuhr sich dann durch die Haare, hatte dabei aber vergessen, dass er ja dieses Tonzeug in der Hand hatte und haute sich damit aus Versehen an die Stirn. „Au!", fluchte er leise. Das war ihm sicher peinlich. „Ähm nein, nein, jetzt ist gut. Wir reden einfach nächste Stunde über eure Figuren, in Ordnung?" Den letzten Teil richtete er an die zwei anderen Schüler zwischen uns und es war klar, dass sie nicht protestieren würden. Damals hätte ich mich niemals getraut, etwas zu sagen. Wie begossene Pudel nickten sie und machten sich aus dem Staub. Er stellte diese Tonteile, die, wenn ich an meine achte Klasse zurückdachte, wohl Menschen sein sollten, auf seinem Pult ab und ich machte wieder die Tür zu. Vorsichtig dieses Mal, langsam. Ich hatte immer noch die Klinke in der Hand und traute mich irgendwie nicht, mich umzudrehen.
„Emilia?" Er sagte meinen Namen ganz leise, als sollte ich es gar nicht hören. Ich drehte mich um, schaute ihn aber nicht an. Ich konnte gerade nicht. Wenn wir uns in die Augen schauten, war es, als würde er mich bannen, wie in einer griechischen Göttergeschichte mit Medusa oder so, die die Menschen in Stein verwandelte, wenn sie sie ansahen.
Er schaute auch auf den Boden. Gleichzeitig hoben wir unseren Kopf, schauten dann aber schnell wieder weg. „Also hast du meine Nachricht doch bekommen.", setzte er an und ich nickte. Er wollte mich hier haben, also sollte er auch reden. Nachdem ich nichts darauf gesagt hatte seufzte er und meinte, ich solle mich doch setzen. Dieses Mal hatte er den Sessel nicht vorbereitet, es schien so, als hätte er nicht erwartet, dass ich komme.
Ich lehnte mich wieder an den Tisch an und legte meinen Ordner und den Rucksack neben mich. Als er immer noch nichts sagte, begann ich: „Wieso sollte ich denn vorbeikommen? Dass wir jetzt keine Arbeit besprechen, ist mir klar." Wieso war ich denn so patzig? Er hatte mir doch nichts getan. Aber irgendwie war ich nervös.
Er atmete noch einmal tief ein und aus und fuhr sich durch die Haare. Dabei blieb er an einem Stückchen Ton hängen und es bröselte auf sein Gesicht. Verwundert, als hätte er vergessen, was passiert war, sah er seine Hände an. Ich lachte leise. Mit zusammengezogenen Augenbrauen schaute er mich an und fuhr sich noch einmal durch die Haare und noch einmal. Ich grinste immer noch, denn er verfehlte immer wieder ein paar kleine Tonstückchen.
„Das kann man ja nicht mitansehen!", scherzte ich, stieß mich vom Tisch ab und ging auf ihn zu. Ohne ihn noch einmal anzusehen stellte ich mich neben ihn und fischte mit meinen Fingern die letzten Körnchen heraus. Es sah sicher seltsam aus, aber darüber konnte ich gerade gar nicht nachdenken, stattdessen musste ich mich davon abhalten, durch seine Haare zu fahren. Sie rochen gut, als wären sie ganz frisch gewaschen. Kurz hielt ich inne und trat dann einen Schritt zurück, meine Hände immer noch in der Luft. Erst als er mich ansah, ließ ich sie sinken. „Danke.", sagte er. Ich lächelte ganz kurz und ging etwas verwirrt wieder zurück zu meinem Tisch.
Was war denn gerade los mit mir? Er fuhr sich nun selbst durch seine Haare und wirkte zufrieden. Auf einmal schien er bereit zu sein, darüber zu reden, weswegen er mich eigentlich hergeholt hatte.
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all eyes on me
ChickLitEmilia hat tierische Angst davor, vor anderen Leuten zu singen. Trotzdem spricht sie für ein Musical an ihrer Schule vor, schließlich möchte sie neben ihrem Schwarm Ben die Hauptrolle spielen. Ihr Kunstlehrer hilft ihr, ihre Angst zu überwinden, do...