Von Softpornos und Anzughosen

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Die nächsten Wochen vergingen wie im Flug, sie waren vollgestopft mit Unterricht, Prüfungen und Proben, Proben, Proben. Das einzige, was sich zog wie alter Kaugummi war Freitag, die letzten beiden Stunden. Kunst.

Herr Visnes machte mir eines meiner Lieblingsfächer zum absoluten Hassfach. Wenn ich auch nur eine Sekunde nicht aufpasste, rief er mich auf und stellte mich vor der ganzen Klasse bloß. Ich hätte jedes Mal heulen können. Sobald es klingelte, war ich die erste, die aus dem Raum stürmte, um ihm keine Chance zu bieten noch mit mir zu reden.

Die einzigen Lichtblicke waren die Proben mit Ben. Er und seine Zweitbesetzung probten oft mit Diana und mir und auch wenn es mir jedes Mal einen kleinen Stich versetzte, wenn er gerade mit ihr übte, wusste ich doch, dass ich ihm vertrauen konnte und nichts befürchten musste.

Nach den Proben setzten wir sie immer zu Hause ab und verbrachten dann sogar noch mehr Zeit miteinander. Am Wochenende konnte ich meinen Kunstlehrer meist in die hinterste Ecke meines Gehirns verbannen und verschwendete kaum einen Gedanken an ihn, erst wenn ich am Montag die Schule betrat, kam er mir wieder in den Sinn. Ich mied ihn so gut es ging, wen ich dadurch aber ebenso selten sah, war Aly. Sie verbrachte jede freie Sekunde in diesem Raum, wo auch meine Maße genommen wurden und nähte.

Dorthin machte ich mich jetzt auch auf den Weg. Ich musste mal wieder mit ihr reden, einfach auf den neuesten Stand kommen, was in ihrem Leben so passierte, wir hatten schon mehrere Tage nicht mehr miteinander gesprochen.

Vor der Tür angekommen schluckte ich schwer. Von drinnen hörte ich leises Rumoren. Einfach hoffen, dass er nicht da war. Aber eigentlich sollte er jetzt Unterricht haben. Ich klopfte kurz an und steckte dann vorsichtig meinen Kopf hinein. „Aly?", fragte ich in den Raum.

Keine Antwort.

Ich stieß die Tür weiter auf und trat vorsichtig einen Schritt ein. „Aly?", fragte ich nochmals. Lauter dieses Mal. Immer noch keine Antwort, ich hörte nur undefinierbare Geräusche hinter einem Regal, das über und über mit Klamotten, Schuhen, Requisiten und sonstigem Zeug vollgestopft war.

Langsam näherte ich mich und lugte vorsichtig um die Ecke.

Ein hohes Seufzen, das sich fast schon nach einem Stöhnen anhörte, kam mir entgegen und ich blieb auf der Stelle stehen. Ich schluckte. Sein Ernst? Auf einem Tisch in der Ecke saß die süße Sportlehrerin, die ich gerade so gar nicht süß fand, mit geschlossenen Augen und offenem Mund und ihrer Zunge im Hals von - wem wohl. Er stand zwischen ihren Beinen, seine Arme um ihre Taille geschlungen. Soweit ich es erkennen konnte, hatten sie noch alle ihre Klamotten an, doch ihn eine andere küssen zu sehen war schon genug. Ich versteinerte und meine Fingernägel drückten sich in meine Handfläche.

Ich wusste nicht, wie lange ich schon zusah, doch als ihre Hand von seinem Rücken unter sein T-Shirt fuhr und die andere nach oben zu seinen Haaren, hätte ich schreien können.

Ihre Hand wuschelte durch seine Haare, diese sicher superweichen hellblonden Haare, die mich noch wahnsinnig machten, krallte sich darin fest und brachte das ganze perfekte unperfekte Gleichgewicht auf seinem Kopf durcheinander.

Sie tat das, was ich mir schon so oft vorgestellt hatte oder noch nicht einmal gewagt hatte vorzustellen.

Ich wollte schreien, die beiden auseinanderziehen, ihr die Augen auskratzen und ihm in die Fresse schlagen, doch ich tat nichts davon. Ich war seltsam ruhig, strich mein Kleid glatt, räusperte mich und klopfte mit meiner noch immer geballten Faust an das Regal.

„Entschuldigung?", unterbrach ich den Softporno vor mir.

Sie zuckten zusammen und er wirbelte herum, sämtliche Farbe wich erst aus seinem Gesicht und schoss dann in tiefstem Rot zurück in seine Wangen, sie überschlug hastig ihre Beine und legte eine Jacke darüber, obwohl sie eine Leggings trug und es eigentlich gar nichts zu sehen gab.

Zuckersüß lächelte ich die beiden an.

„Ich wollte nicht stören, ich bin auf der Suche nach Alyssa, ich wollte mich eigentlich jetzt mit ihr für eine außerplanmäßige Anprobe treffen, wissen Sie wo sie sein könnte?", säuselte ich mit meiner lieblichsten Stimme. Eine wunderbare Schauspielübung.

Perplex nestelte er an seinem Shirt herum, sein Mund klappte auf und zu, als wäre er ein hirnloser Goldfisch, er schaute mich an, dann sie, dann wieder mich.

Die Haare hingen ihm in die Stirn und er fuhr hindurch, sie war schuld, diese dumme Fotze, hatte ihn einfach angefasst, hatte in geküsst, hatte seine Haare zerstört. Ich konnte die Wutwelle noch einmal herunterschlucken.

Naiv dreinschauend legte ich den Kopf schief, während ich auf eine Antwort wartete. Er nahm seine Hand wieder herunter und lehnte sich an die Wand hinter sich, die Haare fielen wieder genauso hin wie davor, nur besser.

Die Stille war greifbar und das unangenehme Gefühl kroch aus jeder Ritze des Raumes, doch ich würde nicht gehen. Jetzt sollte er sich mal blöd vorkommen.

Ich scannte ihn ab. Heute trug er nicht seine Docs, sondern hellgrüne Sneakers und eine Anzughose. Sie war verknittert, doch das passte irgendwie. Das T-Shirt hing unordentlich heraus, schließlich hatte jemand es vorhin herausgezogen. Mein Blick wanderte zu seinen Händen, an denen vereinzelt Ringe steckten. Die Adern an seinen Armen pulsierten. Seine Lippen waren rot und geschwollen vom Knutschen.

Die eigentlich doch ganz süße aber auch blöde Sportlehrerin hatte bisher nur zu Boden gestarrt und sich keinen Millimeter mehr bewegt und ich wartete.

Irgendwann regte er sich wieder, kratzte sich am Kopf und meinte: „Ich weiß nicht, wo sie ist." Er versuchte, seine Stimme fest und selbstbewusst klingen zu lassen, doch sie war nur kratzig.

Ich wusste nicht, ob ich lachen oder weinen sollte. Ich stand da, als Schülerin, hatte zwei Lehrer beim Rummachen erwischt und fühlte mich jetzt wie die Mami, die schimpfen muss weil sie etwas verbotenes getan haben. Skurril.

Ich schmunzelte. In mir stieg wieder dieses Gefühl, das ich auch schon hatte, als sich unsere Knie berührt hatte. Macht, irgendwie. Egal, es fühlte sich auf jeden Fall gut an.

Ich kostete es noch einen Moment lang aus und musterte die beiden noch einmal, die wie zwei geschlagene Hunde in der Ecke hockten und verabschiedete mich dann mit:

„Danke, dann warte ich einfach draußen, bis sie da ist. Viel Spaß noch"

Ohne ihm noch einmal die Chance eines Blickkontaktes zu geben, drehte ich mich um und verließ den Raum.

Als die Tür hinter mir ins Schloss fiel, atmete ich tief durch. Was ein Auftritt! Gar nicht schlecht. Ich überlegte, was ich tun sollte. Tatsächlich hier bleiben und warten, bis Aly endlich auftauchte? Und es riskieren, dass die beiden hier irgendwann rauskamen? Eher nicht. Obwohl - zu einem Walk of Shame sag ich nicht nein.

Bei den Überlegungen zu dieser schwerwiegenden Entscheidung vergaß ich doch glatt sauer zu sein.

Eigentlich hatte ich aber auch gar kein Recht, sauer zu sein. Schließlich küsste ich Ben regelmäßig und er hatte mich auch schon dabei gesehen. Also waren wir jetzt eigentlich quitt. Außerdem waren wir ja nicht zusammen oder sowas. Ob er überhaupt etwas von mir wollte, stand sowieso in den Sternen.

Und selbst wenn, da war doch etwas mit Ben!

Trotzdem zog es ganz gewaltig in der Herzgegend.

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