Von Höflichkeit und Promis

17 2 0
                                    

Ben und ich saßen eine Weile noch stumm da, bis er das Schweigen brach: „Er hat Recht, was ist das hier?" Wir berührten uns wieder nicht. Mein Blick war immer noch gesenkt und ich redete kleinlaut mit der Bank: „Ich weiß nicht." „Lia, sieh mich an.", bat Ben und ich folgte. „Muss es denn etwas sein? Ich meine, wir sehen uns gerade zum zweiten Mal. Braucht man da schon einen Namen dafür?", sagte ich leise und schaute wieder nach unten. Ich konnte ihm gerade nicht in die Augen sehen. Meine Brust schmerzte noch immer und das machte mir das Atmen schwer. Auch er schaute nach unten. Seine Stirn war in Falten, er schien nachzudenken. „Hm, okay. Wie du meinst." Wieso war er gerade so kurz angebunden? Was störte ihn? Störte ich ihn? Vielleicht wollte er gar nichts mit mir machen und verbrachte nur Zeit mit mir aus Höflichkeit? Eine Schwere legte sich zusätzlich zu dem Stechen auf meine Brust. Was ist, wenn er mich eigentlich gar nicht mochte und nur wegen des Castings mit mir proben wollte?

„Hey Lia, mach dir keine Gedanken. Wenn du es langsam angehen willst, dann machen wir das so." Da war es wieder. Langsam angehen. Er denkt, ich wäre prüde und langweilig und dass man mit mir keinen Spaß haben konnte. Ich seufzte.

„Hey." Er nahm mich an der Schulter. Mir wurde wieder ganz heiß. „Über was denkst du gerade nach?", fragte er und wir schauten uns an. Ich seufzte noch einmal und sagte: „Ich weiß nicht, ob ich dir das erzählen soll, das ist mir peinlich." Ich spielte wieder mit meinen Fingern herum. „Ich werde auch nicht lachen, versprochen!", meinte er und hob die Hand wie zum Schwur. Ich lächelte leicht und überlegte kurz, wie ich anfangen sollte.

„Weißt du, ich weiß nicht, wie das funktioniert mit Dates und Beziehungen und sowas. Ich hatte sowas noch nie. Und du ... du wirkst so erfahren, als wüsstest du genau, was du tust, weil du das wahrscheinlich schon hunderttausendmal gemacht hast. Und das macht mir Druck. Also ich mache mir dann Druck. Weil ich nicht das kleine langweilige Mädchen sein will, das es ‚langsam angehen' will. Ich will so wie die anderen Mädels von den Reichen und Schönen sein und" „Warte kurz, Lia", stoppte Ben meinen Redeschwall mit einem verwirrten Gesichtsausdruck.

„Hast du gerade ‚die Reichen und Schönen' gesagt?" Ich schlug mir mit der Hand auf den Mund und lief ganz rot an. Er lachte laut los. „Hab ich das wirklich gesagt? Also das hab ich so nicht gemeint, also ...", stotterte ich herum, aber ich konnte mich jetzt nicht mehr herausreden. Er lachte immer noch. „Meinst du damit Diana und die anderen Mädels?" Ich druckste noch ein wenig herum und rückte dann aber mit der Sprache heraus: „Naja, genau genommen eigentlich eure ganze Gruppe. Also du gehörst auch dazu." „Das nehme ich jetzt mal als Kompliment!", lachte er. Ich verstand überhaupt nicht, was daran so lustig war. Sobald er sich ein wenig beruhigt hatte, startete ich noch einen Versuch, herauszufinden, warum er diesen Ausdruck so zum Schießen fand, aber er konnte es mir auch nicht wirklich erklären. „Es ist einfach lustig, dass ihr einen Namen für unsere Gruppe habt, als wären wir Promis oder sowas!", kicherte er. Ich musste grinsen. Stimmt eigentlich.

„Aber wieso willst du denn wie die sein?", fragte er. Da musste ich nicht lange überlegen. „Die wirken alle so selbstbewusst und sind so hübsch und beliebt und kommen immer bei allen Leuten gut an und bei denen funktioniert auch immer alles. Diana kriegt sicher die Rolle, eigentlich sollte ich es gar nicht erst versuchen." Ben schüttelte den Kopf, aber ich redete einfach weiter und schaute dabei wieder meine Hände an: „Und was mich sowieso am meisten wundert ist das hier." „Was meinst du?", Ben war verwirrt. „Naja du. Wieso bist du jetzt hier mit mir und nicht mit Diana? Sie will doch auch die Cinderella sein, wieso probst du nicht mit ihr?" Ich spürte, wie mir wieder die Tränen in die Augen stiegen.

Ben hörte auf, seinen Kopf zu schütteln und nahm wieder meine Hände, dieses mal umschloss er sie mit beiden Händen und streichelte den Handrücken mit seinem Daumen. Er wirkte verschlossen, als hätte er etwas auf dem Herzen, das er mir nicht sagen wollte. „Ich versteh' das nicht. Was haben nur immer alle mit Diana und mir. Sie ist wirklich nett und hübsch und auch schlau und gut in der Schule ..." „Das hilft mir gerade nicht wirklich!", unterbrach ich ihn mit einem kurzen Lachen und er stimmte ein.

„Was ich sagen will: Diana kann noch so toll sein, aber das heißt nicht, dass ich mit ihr zusammen sein will. Wir haben es tatsächlich mal miteinander versucht, aber wir haben einfach nicht die gleichen Interessen und Ansichten. Sie ist auch eine wirklich gute Freundin, aber das funktioniert auf die Dauer nicht." Ich schaute ihn mit großen Augen an. In meinen Augen war Diana schon immer perfekt gewesen, dass er mir das erzählte, trübte mein Bild von ihr ein bisschen. Wieso sollte man nicht mit einer perfekten Person zusammen sein wollen? „Das heißt nicht, dass sie deswegen ein schlechterer Mensch oder sowas ist. Manches soll einfach nicht sein und das war wohl so etwas."

Ich nickte und schaute wieder auf unsere Hände. Er streichelte sie immer noch mit seinem Daumen und es fühlte sich so gut an. Als würde er alle meine Sorgen wegstreicheln wollen. Aber irgendwie funktionierte es doch nicht ganz. Von irgendwoher blieb ein bitterer Beigeschmack. Nicht stark, aber er war da.

all eyes on meWo Geschichten leben. Entdecke jetzt