Von schlechten Wortwitzen und Bulldozer-Attacken

36 3 0
                                    


„Ich glaube, ich gehe doch zum Casting.", eröffnete ich Alyssa in der Pause, als wäre das eine komplett freie Entscheidung meinerseits, die nicht von durchgestrichenen Namen auf gewissen Listen beeinträchtigt werden könnte. „Wie das?" Meine beste Freundin war sichtlich erstaunt. „Naja, der Herr Visnes redet für mich mal mit Herr von Wildenberg, ob es da nicht doch noch eine Möglichkeit gäbe, mir eine Chance zu geben." Alyssa bekam ihren Mund gar nicht mehr zu. „Wie hast du das denn bitte geschafft? Es redet doch niemand freiwillig mit dem Wildenberg, nicht einmal die anderen Lehrer!", meinte sie überrascht. „Ich hab' einfach ganz nett gefragt.", entgegnete ich und musste mir bei dieser kleinen Lüge ein bisschen auf die Lippe beißen. „Ah ja, und das macht der einfach so, da musstest du gar nicht irgendwie nachhelfen oder so?", hakte sie nach. „Nö, das macht er gerne, hat er gesagt.", antwortete ich nicht ganz wahrheitsgemäß, aber wenigstens gut gelaunt. So gut ging es mir die ganze Woche noch nicht. Ich war voller Hoffnung. „Also hast du ihn einfach mit deinem natürlichen Charme um den Finger gewickelt?", scherzte Alyssa. Jeder wusste, dass ich ungefähr die Ausstrahlung einer Fliegenklatsche hatte. Soviel also dazu. „Ganz genau!", stimmte ich ihr zu, ließ sie aber über die wahren Hintergründe im Dunkeln. Sie fragte nicht nach. Um zu vermeiden, dass wir noch einmal auf dieses Thema zurückkommen würden, wies ich mit einem Nicken in die Richtung der „Schönen und Reichen", wie wir die Snobs unseres Jahrgangs gerne nannten. Die meisten waren zwar weder schön noch reich, taten aber scheinbar einigermaßen erfolgreich so. Natürlich war auch Ben dabei, der auf jeden Fall zu den Schönen gehörte, beim zweiten Teil war ich mir nicht sicher. „Bei dem könnte ich es doch auch noch einmal mit meinem umwerfenden Charme probieren.", witzelte ich und glücklicherweise hatte Alyssa dasselbe Faible für schlechte Wortwitze wie ich und lachte. Nach einem letzten sehnsuchtsvollen Blick und einem herzzereißenden Seufzer wandte ich mich von meinem Schwarm seit Tag eins ab und piekste meine beste Freundin leicht in den Bauch. „Wie sieht's denn überhaupt mit dir aus?", fragte ich sie neckend, aber sie stieg nicht wirklich mit ein. „Ach, gerade, pfff. Eigentlich nichts.", wich sie eher unelegant aus. Ab jetzt wusste ich mit Sicherheit, dass da etwas im Busch war. „Sag' schon!", rief ich und startete eine kleine Kitzelattacke, für die sich alle Fünftklässler um uns herum schämten. „Na gut, na gut", japste sie. „Ich verrat's dir schon. Aber nicht hier. Heute nach der Schule im Fundus.", meinte sie, wedelte mit ihren Händen vor meinem Gesicht herum, was wahrscheinlich irgendwie geheimnisvoll wirken sollte, es aber nicht tat, machte sich dann aus dem Staub und ließ mich einfach alleine stehen. Echt nett von ihr.

Später wartete ich im Fundus auf sie. Dass unsere Schule überhaupt so etwas hatte, war ein Wunder, aber natürlich das Paradies für Alyssa. Hier hatte sie sicher schon Tage verbracht und sich einfach nur umgesehen. Der Raum war nicht sonderlich groß, aber wir hatten es geschafft, einen Kleiderständer so zu verschieben, dass man dahinter zwei Sessel stellen konnte und man uns von der Tür nicht gleich sehen konnte. Obwohl sowieso nie jemand kommen würde, denn niemand interessiert sich für den Fundus. Ich machte es mir auf der senfgelben durchgesessenen Chaiselongue bequem und begann schon einmal mit meinen Hausaufgaben. Es konnte immer einige Zeit dauern, bis Alyssa sich in den zweiten Stock hochgeratscht hatte. Sie kannte immer jeden und musste sich dann auch immer gleich unterhalten. Als sie mal wieder völlig abgehetzt die Tür aufriss und hereinstürmte, zog ich vor Schreck einen Strich quer durch meine Englischhausaufgabe. Na super. Aber es nützte nichts, sich aufzuregen, also klappte ich den Block einfach zu und packte ihn weg. Ungeduldig wartete ich darauf, dass Alyssa ihre Beine über die fuchsiafarbenen Armlehnen ihres Sessels legte, so wie sie es immer tat. Sie hatte meine uneingeschränkte Aufmerksamkeit. „Jetzt sag schon!", forderte ich. Den ganzen Vormittag hatte ich darüber nachgedacht, wer es wohl war. Sie ließ sich Zeit mit ihrer Antwort. „Alyssa, bitte, du weißt, wie ungeduldig ich bin.", nörgelte ich. „Also,", sagte sie langsam, „du musst raten." Ich verdrehte die Augen. „Nein, sag's mir doch einfach!", protestierte ich und boxte sie leicht gegen ihren Oberarm. Sie druckste noch ein wenig herum und fing dann leise an zu reden. „Naja, ich bin mir doch selber nicht so ganz sicher. Ich wollte dir eigentlich nichts davon erzählen, weil ... ach, was weiß denn ich. Und ich weiß ja auch gar nicht sicher, ob es denn wirkliche Gefühle sind oder nur so eine Spinnerei." „Hey Aly, du weißt doch, dass du mir alles erzählen kannst. Dafür sind Freunde doch da.", redete ich ihr gut zu. Sonst war sie doch auch nicht so verschlossen. Zwischen ihren Augenbrauen legte sich ihre Stirn in Falten. Das passierte nur, wenn sie intensiv nachdachte. „Es ist dieser eine Typ da ... dieser Kumpel von Ben. Du weißt schon, wen ich meine, oder?", rückte sie heraus. Ich war ganz aufgeregt und riss meine Augen auf. „Ach der Ginger? Wie süß!", rief ich aus. Der sah tatsächlich gar nicht so schlecht aus. „Wie heißt der noch gleich, Markus oder so?", dachte ich laut nach und Alyssa bestätigte meine Vermutung leise. Sie schien gar nicht so begeistert zu sein, was mich wunderte. Wenn man verliebt war, sprudelte das Glück doch nur so aus einem heraus. Ich schaute sie etwas fragend an und legte meinen Kopf schief. „Was ist los?", fragte ich. Erst antwortete meine beste Freundin gar nicht, dann eher ausweichend. „Ach nichts, aber ich sehe das ganz realistisch. Wir werden nie zusammen sein oder so, deshalb bin ich etwas geknickt." Das verstand ich, aber man konnte doch wenigstens hoffen. „Wieso siehst du das denn so negativ? Weißt du, die Wahrscheinlichkeit, dass Ben mich nach meinen Bulldozer-Attacken noch mögen wird, steht gleich null. Aber man kann sich ja trotzdem vorstellen, wie es wäre. Zum Beispiel: Stell dir vor, du bist mit Markus und ich mit Ben zusammen und wir gehen dann immer auf so süße Doppeldates zum Eis essen oder ins Kino oder zum Schwimmen o-" Ich konnte meine Aufzählung nicht beenden, denn Alyssa hatte angefangen zu weinen. „Es wird nie so sein!" schluchzte sie verzweifelt. Schnell nahm ich sie in den Arm und wiegte sie hin und her. Es machte mir wahnsinnig viel aus, dass sie weinte, denn sonst war sie so stark. Es musste schon etwas wirklich Schlimmes passieren, um Alyssa so aus der Fassung zu bringen. Sie konnte sich gar nicht mehr beruhigen und so dauerte es einige Zeit, bis ich sie losließ. „Schau mich mal an.", forderte ich sie auf und hielt sie an ihren Oberarmen fest. „Du bist ganz wunderbar und jeder der das nicht erkennt, ist selbst schuld. Du wirst den richtigen schon finden, vielleicht ist er ja nicht hier auf der Schule. Da draußen gibt es so viele tolle Typen, da musst du dich echt nicht mit denen aus diesem Irrenhaus hier begnügen.", versuchte ich sie aufzumuntern. Sie schnäuzte noch einmal sehr geräuschvoll und ich dachte schon fast, sie würde wieder zu heulen anfangen, aber scheinbar hatte sie sich wieder gefangen. „Danke Lia.", sagte Alyssa und schaute auf den Boden. Ich wusste, dass sie mir etwas verschwieg, aber ich wollte sie nicht drängen, also blieb ich stumm. „Dummer Spruch, aber das wird schon wieder. Du hast ja mich!", scherzte ich und schaffte es tatsächlich, dass ein kleines Lächeln auf dem Gesicht meiner Freundin erschien. Sie drückte mich noch einmal kurz, zückte dann ihren Taschenspiegel und begann, ihr Gesicht wieder auf Vordermann zu bringen. Während ich sie so dabei beobachtete, musste ich seufzen. Wäre doch bloß alles so einfach in Ordnung zu bringen.

all eyes on meWo Geschichten leben. Entdecke jetzt