Als ich am nächsten Tag die Schule betrat, galten sämtliche Blicke mir. Vielleicht bildete ich mir das auch nur ein, aber es fühlte sich so an, als würden alle mich anstarren. Ich konnte nicht einschätzen, wieso mir so viel Aufmerksamkeit zukam, sonst lief ich doch auch eher unter dem Radar. Ich wusste nicht, wie ich mich verhalten sollte. Selbstbewusst oder sollte ich mich lieber klein machen? Oder sollte ich einfach wieder gehen? Ich versuchte möglichst normal zu wirken, aber in diesem Moment stellte ich alles in Frage, was ich tat. Winkelte ich meine Knie beim Gehen komisch ab? Wahrscheinlich ja!
In meinem Kopf ratterte es und um das möglichst nicht allen zu präsentieren, dass mein Gehirn gerade nicht richtig funktionierte, richtete ich meinen Blick auf den Vertretungsplan vor mir. Scheinbar war unsere Geschichtelehrerin auf einer Exkursion und wir hatten eine Freistunde. Ich lächelte. So könnte doch jeder Tag anfangen!
„Was gibt's denn da zu grinsen?", flüsterte mir jemand ins Ohr und eine Gänsehaut breitete sich über meinen Körper aus. Das konnte doch nur einer sein. „Hey, wie geht's?" Ich versuchte locker zu klingen, aber meine Stimme hatte da scheinbar keine Lust drauf. Stattdessen krächzte ich eher. Wieso war ich jetzt so aufgeregt? Als wir alleine waren war ich doch so entspannt.
Ben zog mich in eine kurze Umarmung und ich roch sein Parfum. Vielleicht war es auch Deo, aber es roch auf jeden Fall gut. Leider ließ er mich bald wieder los, ich hätte noch ewig so verharren können.
Von allen Seiten spürte ich Blicke auf mir. Vermutlich war ich deshalb so angespannt. Aber ich sollte mich daran gewöhnen, schließlich wollte ich doch vor diesen ganzen Leuten und noch viel mehr auf einer Bühne stehen. Nach einem kurzen Blick auf den Monitor grinste Ben mich an. „Du hast also auch die dritte Stunde frei, was hältst du davon, wenn wir da nochmal proben? Wir könnten ja in einen der Musiksäle gehen, da stört uns auch keiner.", fragte Ben und fuhr sich dabei durch die Haare. „Also natürlich nur, wenn du willst.", fügte er hinzu, ganz schüchtern. Ich wunderte mich, wie er mir sonst immer so cool und selbstbewusst vorgekommen war. Nicht, dass er das nicht auch wäre, aber er war immer so besorgt und unsicher, wenn er mich etwas fragte.
„Ähm ja, sicher!", sagte ich und lächelte ihn an. Er strahlte zurück und meinte: „Super, dann bis dann!" Während er zurück zu den Reichen und Schönen ging, bemerkte ich, wie mich eine Gruppe Mädchen in der Nähe musterte und dann zu Tuscheln anfing. Erst wusste ich nicht, was ich tun sollte, aber die Tatsache, dass Ben mich gerade umarmt hatte, vor allen, in der Aula, gab mir einen Schub Selbstbewusstsein. Überfreundlich lächelte ich die Mädels an und machte mich dann auf den Weg zu Aly. Ich war so beflügelt von der Umarmung, dem vergangenen Wochenende und der Aussicht auf das Treffen mit Ben nachher, dass ich mich zusammennehmen musste, nicht zu hopsen. Zur Zeit lief alles so gut.
Aly begrüßte mich mit einer festen Umarmung. Sie wollte mich gleich gar nicht mehr loslassen. „Alles in Ordnung bei dir?", flüsterte ich. Sie ließ mich los und nickte tapfer. „Ich mag gerade nicht drüber reden, aber nachher in der Freistunde vielleicht?", schlug sie vor und ich wollte natürlich sofort zusagen, aber da fiel mir Ben ein. Mist, Zwickmühle.
„Du Aly, da gibt's ein kleines Problem. In der Freistunde ... da wollte ich mich eigentlich mit Ben zum Proben treffen. Aber vielleicht heute Nachmittag?", sagte ich vorsichtig. „Oh achso. Naja, dann wohl heute Nachmittag. Nach der sechsten im Fundus?" Augenblicklich meldete sich mein schlechtes Gewissen. Sie sah so niedergeschlagen aus. „Weißt du was? Dann muss Ben eben warten.", sagte ich, fest entschlossen, für meine beste Freundin da zu sein. Kurz hellte sich ihr Gesicht auf, aber sofort verfiel sie wieder in ihre alte Miene.
„Passt schon Lia, nach der sechsten reicht. Ist eigentlich eh egal. Wir müssen auch nicht drüber reden. Ist vielleicht sowieso besser. Aber danke." Bevor sie ging, lächelte sie mich ein letztes Mal traurig an. Ich versuchte zu protestieren, aber sie stieg die Treppen nach oben und drehte sich nicht mehr um.
Das schien wirklich schlimmer Liebeskummer zu sein. Und ich war nicht für sie da. Eine tolle Freundin war ich.
Es klingelte und ich beeilte mich, noch rechtzeitig ins Klassenzimmer zu schlüpfen. Deutsch war zwar nicht mein Lieblingsfach, aber ich wollte es mir trotzdem nicht mit meinem Lehrer verscherzen. Die Lektüre hatte ich auch nicht gelesen, da wollte ich nicht von vorne herein negativ auffallen heute. Aber das musste man auch verstehen. Ich hatte am Wochenende schließlich wirklich besseres zu tun.
Schnell setzte ich mich auf meinen Platz und begann, meine Sachen auszupacken. In Deutsch war Aly leider in einem anderen Kurs und so konnte ich ihr nicht einmal jetzt beistehen. Was war nur vorgefallen zwischen ihr und diesem Markus, dass es ihr so schlecht ging? Oder war es eben genau das, dass nichts passierte zwischen ihnen? Ich verstand auch gar nicht, wieso sie so hoffnungslos war. Okay, vor ein paar Wochen, ach, vor ein paar Tagen konnte ich noch absolut nachvollziehen, dass eine Beziehung mit einem Schönen und Reichen undenkbar und in weiter Ferne schien, aber ich war gerade auf dem besten Wege das zu widerlegen, das musste ihr doch Hoffnung geben!
In meinen Gedanken versunken öffnete ich mein Federmäppchen und nahm einen Kugelschreiber heraus, um ein Arbeitsblatt auszufüllen, doch da fiel mir ein kleiner Zettel entgegen. Wo kam der denn her?
Verstohlen schaute ich mich um, ob mich irgendjemand beobachtete. Mein Lehrer war ganz in seine Präsentation vertieft, also würde ich vermutlich die nächste halbe Stunde nicht aufgerufen werden. Meine Hände zitterten, als ich das Papier auseinander faltete.
Montag, erste Pause, in meinem Klassenzimmer.
Ein Schauer lief mir den Rücken hinunter und ich klappte den Zettel schnell wieder zusammen. Hatte das jemand gesehen? Ich schaute mich um. Mir war heiß und kalt gleichzeitig. Meine Hände waren ganz kalt und schwitzig. Vorsichtig zog ich ich das Blatt noch ein mal ein bisschen auseinander, als könnte es sich jederzeit in Luft auflösen, und lugt hinein.
Ich hatte mich nicht verlesen.
Montag, erste Pause, in meinem Klassenzimmer.
Was fiel dem ein, dass er mich einfach in der Weltgeschichte umherschickte? Aber vielleicht war es ja auch etwas wichtiges. Wie hatte er den Zettel überhaupt in meinen Sachen depo- Stimmt. Letzten Freitag. Das heißt, er war wahrscheinlich davon ausgegangen, dass ich ihn schon gefunden hatte, als ich ihn am Sonntag gesehen habe. Und vielleicht dachte er, ich hätte es Ben erzählt. Das hatte er wahrscheinlich gemeint mit ‚wir wollen ja keine Gerüchte verbreiten'.
Ich sollte einfach nicht hingehen. Kein normaler Mensch würde da jetzt hingehen. Ich sollte einfach so tun, als hätte ich die Nachricht nie gefunden. Ja, das war vermutlich das Beste. Ich sollte sie vernichten und dann gar nicht mehr darüber nachdenken. Ich sollte -
„Emilia, kommst du bitte nach vorne und erzählst uns etwas über die Gretchenfrage?", forderte mich mein Deutschlehrer auf. Ich zuckte zusammen. Mist. Ausgerechnet heute. „Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist." Ich versuchte es mit einem Witz. „Oh, ich denke das ist eine hervorragende Idee!", ereiferte sich mein Lehrer und wies mit einer Armbewegung auf den freien Platz vor der Tafel. „Die Bühne gehört ganz dir!", verkündete er. Innerlich verdrehte ich die Augen. Das war genau das, was ich hören wollte. Nur nicht in diesem Zusammenhang.
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all eyes on me
ChickLitEmilia hat tierische Angst davor, vor anderen Leuten zu singen. Trotzdem spricht sie für ein Musical an ihrer Schule vor, schließlich möchte sie neben ihrem Schwarm Ben die Hauptrolle spielen. Ihr Kunstlehrer hilft ihr, ihre Angst zu überwinden, do...