Von Kitzelattacken und fragwürdigen Konzepten

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Ein letztes Mal zupfte ich noch mein Kleidchen zurecht, da öffnete sich auch schon die Tür vor mir und Ben strahlte mich an. Mein Herz machte einen kleinen Hüpfer.

Nach den üblichen Fragen fingen wir gleich an, in der gleichen Reihenfolge, wie es morgen auch der Fall sein würde. Erst Tanzen, dann Spielen, dann Singen.

Weil wir nicht wirklich wussten, was beim ersten Teil auf uns zukommen würde, probten wir einfach ein bisschen was von allem, soweit wir das bewerkstelligen konnten natürlich.

Wir tanzten auch einen einfachen Walzer zusammen, das war schließlich auch Teil der letztendlichen Aufführung. Ben wurde mit jedem Mal besser, manchmal versuchte er sogar, mich zu führen, aber dafür war er sich oft noch zu unsicher. Alles in allem sah es aber schon sehr harmonisch aus und ich genoss es sehr, ihm so nahe zu sein.

Durch den vielen Sport (und natürlich den Ballettunterricht, den ich ihm gegeben habe!) hatte er sowieso eine gute Körperspannung und Haltung und ich konnte mich fast schon in seine Arme hineinlegen.

Dort, wo seine Hände mich berührten, wurde es ganz warm und kribbelig. Wir schauten uns die ganze Zeit in die Augen, während wir tanzten und ich vergaß fast, dass wir noch nicht Prinz und Prinzessin waren. Für mich hätte es ewig so weitergehen können.

Obwohl wir uns die ganze Zeit so nah waren, versuchte er nicht mehr, mich zu küssen. Ich hätte es gerne gewollt, aber ich traute mich auch nicht, es zu tun. Sicher hatte er einfach Angst, dass ich noch einmal wegziehen würde. Mir ging es ganz genauso.

Leider mussten wir irgendwann übergehen zur nächsten Disziplin. Das war wirklich absolut Bens Stärke. Er spielte so gut, ich hatte richtig Herzklopfen, als er mir seinen Part vortrug. Und er ermunterte mich und feuerte mich an. Ich fand es noch immer komisch, so zu geschwollen zu reden, aber es gefiel mir auch. Und wenn ich bei Ben war, fühlte es sich ganz normal an.

Er saß auf dem Boden und schaute mir zu, als wäre er ein kleiner Junge vor dem Fernseher, während seine Lieblingssendung lief. Klang das egozentrisch? Vielleicht ein kleines bisschen. Aber das wir egal, ich freute mich einfach, dass Ben und ich uns so gut verstanden.

Auf das Singen freute ich mich schon fast. Auch wenn unser Treffen heute morgen ein abruptes Ende gefunden hatte, hatte mir das gemeinsame Üben mit Herr Visnes einen Selbstbewusstseinsschub gegeben. Dieses Gefühl vorhin war unbeschreiblich gewesen. Ich - „Lia?" Ben schaute mich fragend an und wedelte mit seiner Hand vor meinem Gesicht herum. „Oh sorry, ich habe gerade an ... an was gedacht. Wollen wir anfangen?", versuchte ich abzulenken, aber jetzt wollte er es genauer wissen: „Aha, soso. An etwas also. An was hast du denn gedacht?", fragte er gespielt oberlehrerhaft und schaute mich mit übertrieben hochgezogenen Augenbrauen an.

Mir wurde ganz heiß, denn plötzlich konnte ich an nichts anderes mehr denken, als an meinen Kunstlehrer und das Gefühl, als sich unsere Knie berührt hatten. „An nichts wichtiges.", meinte ich und machte eine abwinkende Handbewegung. „Also Lia nimm's mir nicht übel, aber wenn du morgen so schauspielerst, dann kannst du die Rolle vergessen.", sagte er ernst. Mein Mund klappte auf. „Hey!", protestierte ich und knuffte ihm an den Oberarm. Er lachte und ich stieg mit ein. So ein Idiot.

Plötzlich kletterte Ben auf mich zu und drückte mich mit den Schultern nach hinten aufs Bett, sodass ich mich nicht wehren konnte, als er begann, mich zu kitzeln. Ich bekam kaum Luft und schlug wild um mich und rief, dass er aufhören sollte, aber ich wollte überhaupt nicht, dass er stoppte. Auch wenn ich es hasste, gekitzelt zu werden, sollte er bitte immer weitermachen. Er lag halb auf mir und seine Hände berührten meinen Bauch und meine Arme und meinen Hals.

Ich kicherte - ganz das süße kleine Mädchen - um ihn von meiner geplanten Gegenattacke abzulenken. Flink streckte ich meine Hände aus und kitzelte ihn ebenfalls seitlich am Bauch und er knickte augenblicklich ein und hielt meine Hände fest.

„Hey! Das darf nur ich!", bestimmte er ganz außer Atem, aber ich lachte ihn nur keck an und versuchte weiterzumachen. Um das zu verhindern, stützte er sich über mir ab und grinste triumphierend. Ich konnte mich nicht bewegen und normalerweise hasste ich das, aber gerade konnte ich mir nichts Schöneres vorstellen.

Ich spürte die Wärme, die von seinem Körper ausging und seinen Atem auf meinen Wangen. Auf einmal waren wir ganz ruhig. Seine warmen Hände drückten meine Handgelenke in die Matratze. Meine Haare kitzelten in meinem Gesicht. Wir schauten uns in die Augen und ich lächelte leicht.

Langsam beugte Ben sich zu mir herunter und in meinem Kopf schrie gerade ein ganzer Gospelchor ‚Ja!', mit einem ganz langen ‚a'. Ich wusste überhaupt nicht, was ich mit meinem Körper in diesem Moment anfangen sollte, mit meinen Beinen und meinen Händen und meinem Gesicht. Diese Frage erübrigte sich aber sowieso dadurch, dass ich durch Bens Gewicht auf sein Bett gepresst wurde. Kurz bevor sich unsere Nasenspitzen berührten, hielt er inne und fragte mich mit seinem Blick: „Darf ich?" und scheinbar schienen meine flehenden Augen Antwort genug zu sein, denn er senkte seinen Kopf noch ein wenig weiter hinab. Mein Herz klopfte unglaublich schnell und ich bildete mir ein, seines auch durch unsere Kleidung zu spüren.

Kurz bevor sich unsere Lippen berührten, schloss ich meine Augen. Sie waren so federweich, wie ich sie mir vorgestellt hatte. Die Schmetterlinge in meinem Bauch hatten sich schon längst in Kraniche verwandelt und fanden schon fast keinen Platz mehr in mir drin, ich hatte das Gefühl, als würde ich vor Glück platzen.

Leider wurde ich den Gedanken nicht los, dass ich vermutlich eine unglaublich schlechte Küsserin war, schließlich hatte ich das noch nie wirklich gemacht.

Der Kuss war auch nicht lange, aber dafür probierten wir es danach gleich noch einmal. Und noch einmal und noch einmal.

Dazwischen traute ich mich nicht meine Augen zu öffnen aus Angst, ich würde aus einem Traum aufwachen und nicht mehr einschlafen und an genau diese Stelle zurückkehren können. Ich wollte nicht, dass es aufhörte.

Trotzdem muss ich zugeben, dass es auch irgendwie komisch war - man presste die Münder aufeinander und dann wurde man glücklich? Auch irgendwie ein fragwürdiges Konzept. Aber ich sollte diesen Moment genießen und jetzt nicht irgendwelchen pseudotiefgründigen Fragestellungen auf den Grund gehen.

Ich gab mein Bestes, möglichst gut zu küssen (soweit ich das eben wusste aus diesen amerikanischen High School Filmen und Coming-of-Age-Büchern) und irgendwann lösten wir uns voneinander. Er rollte sich von mir herunter und legte seinen Kopf an meinen. Ich hatte mich noch immer nicht getraut, meine Augen zu öffnen, zu groß die Angst, dass er mich auslachen würde.

Allerdings musste ich mir eins im klaren sein - es war immer noch Ben. Ben, der liebe Ben, der immer so verständnisvoll war und bei dem ich mich absolut wohlfühlte.

Vorsichtig und ganz langsam öffnete ich meine Augen einen Spalt und sah ihn, wie er mich beobachtete und dabei ein kleines bisschen lächelte. Mein Herz machte erneut einen Sprung und ich lächelte zurück. In mir breitete sich eine tiefe Zufriedenheit aus.

Jetzt nur noch diese Rolle bekommen und alles war perfekt.

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