Wieder guter Dinge radelte ich zu Ben. Mein Herz machte einen kleinen Hüpfer, als sein Haus in Sichtweite war und ein breites Lächeln zierte mein Gesicht. Ich wollte unbedingt genau da weitermachen, wo wir gestern unterbrochen wurden.
Als ich in die Einfahrt einbog, wurde ich allerdings von einem Auto daran gehindert. Das Auto seiner Eltern. Ich dachte, die wären auf einer Hochzeit? Unschlüssig stand ich vor der Haustür. Sollte ich klingeln oder einfach wieder heimfahren? Er hat mich ja nur unter der Bedingung eingeladen, dass seine Eltern nicht da sind, oder? Ich hörte Stimmen.
Bevor ich weiter darüber nachdenken konnte, wurde die Tür aufgerissen, Ben stürmte heraus und rannte direkt in mich hinein. Durch den Aufprall stolperte ich rückwärts die Stufen hinunter und fiel unten angekommen auf den Boden auf, er auf mich drauf. Die ganze Luft wurde aus meiner Lunge gepresst und ich schnappte nach Luft. Schnell rappelte er sich auf und streckte seine Hand nach mir aus. „Oh Lia, es tut mir so leid, ich habe ganz die Zeit vergessen." Er wirkte gestresst und genervt. „Ist es gerade schlecht? Ich kann auch wieder fahren.", bot ich schüchtern an, hoffte aber, dass ich bei ihm bleiben durfte.
„Hast du Lust, zusammen zu fahren? Ich mag gerade nicht zu Hause sein.", sagte er und ich willigte ein. Er holte sein Rad und wir fuhren los, in irgendeine Richtung. Immer wieder schaute ich zu ihm hinüber und versuchte zu erkennen, was in ihm vorging, aber seine Miene war versteinert. Wegen was hatte er sich wohl so gestritten? Und mit wem? Mit seinen Eltern? Ich war so wahnsinnig neugierig, aber ich hatte nicht das Gefühl, als wolle er darüber reden.
Ich fuhr ihm einfach hinterher und hatte teilweise Schwierigkeiten mitzuhalten, aber ich wollte mich nicht beschweren. Irgendwann verstand ich, wo er hin wollte. Er fuhr zum Baggersee. Aly und ich waren im Sommer auch oft dort, aber nie am selben Platz wie die Reichen und Schönen. Neben denen fühlten wir uns viel zu hässlich.
„Das ist jetzt vielleicht komisch, aber kannst du eine Viertelstunde hier warten? Ich komme dann wieder. Wenn dir das zu blöd ist, musst du natürlich auch nicht.", sagte Ben unsicher und stellte sein Rad ab. „Ich warte.", erwiderte ich, bevor er irgendetwas hinzufügen konnte. Mit einem scheuen Lächeln verabschiedete er sich. Ich wusste, dass er Richtung Steg ging, aber was er dort machte - keine Ahnung. Ich telefonierte kurz mit Aly und fragte, wie es ihr ging. Besser. Sie entschuldigte sich, meinte, sie hätte überreagiert, aber ich sagte ihr, es wäre okay. Jedem geht es mal schlecht und ich bin für sie da wenn sie jemanden brauchte. Sie musste dann aber weiter und nach einiger Zeit wurde mir ein bisschen langweilig. Ich lief durch den Wald, auf kleinen Trampelpfaden, damit Ben mich nicht sofort sehen würde. Ich war einfach viel zu neugierig.
Je näher ich kam, desto klarer sah ich - nichts. Ben war nicht am Steg. Er war auch nicht am Ufer in der Nähe. Ich versteckte mich hinter einem dickeren Baumstamm und entdeckte schließlich einen kleinen Haufen Kleidung am Ende des Steges. Das schwarze T-Shirt, das er vorher getragen hatte! Und in der Ferne sah ich Wasser spritzen und Wellen, die davon ausgingen. Er schwamm! Deshalb wollte er hier her kommen. Zum Schwimmen! Wenn es ihm schlecht ging, machte er also Sport. Naheliegend.
Ich zögerte kurz, entschied mich dann aber doch dafür, zum Steg zu gehen und dort auf ihn zu warten. Ich fröstelte ein wenig im Schatten der Bäume und zog meinen Mantel enger um mich. Zum Glück hatte Aly sogar daran gedacht.
Die grünen Heels, die sie mir vorgeschlagen hatte, waren für einen Ausflug zum See wirklich nicht die beste Wahl, aber das hatte sie ja nicht wissen können. Es war mir aber auch gerade egal, dass sie dreckig wurden. Ich bahnte mir meinen Weg über kleine Brombeersträucher und lief dann an das Ende des Stegs. Dort setzte ich mich hin und wartete.
Ich hatte ein bisschen Angst, dass ich Ben damit verärgern würde, weil ich ihn jetzt beobachtete, aber irgendetwas gab mir das Gefühl, dass ich das Richtige tat.
Mich wunderte sowieso, dass er so lange im Wasser bleiben konnte, das war sicher nicht besonders warm. Irgendwann sah ich ihn wieder und er kam auf mich zu. Ein Blick auf mein Handy bestätigte mir, dass mittlerweile weit mehr als fünfzehn Minuten vorbei waren. Meine Beine baumelten über die Kante des Stegs, die Schuhe und Jacke hatte ich ausgezogen. Spätestens jetzt musste er mich gesehen haben.
Kurz vor dem Steg stoppte er und blickte zu mir hinauf. „Hatten wir nicht ausgemacht, dass du bei den Fahrrädern wartest?", tadelte er scherzhaft. „Hatten wir nicht fünfzehn Minuten ausgemacht?", entgegnete ich keck und reckte mein Kinn in die Höhe. Er grinste mich frech an, stieg aus dem Wasser und umarmte mich von hinten. Nass wie er war. Das kalte Wasser tropfte auf meine warme, vom Sommer gebräunte hat und hinterließ kleine Bäche. Ich schnappte nach Luft. „Das kriegst du zurück!", japste ich, hielt ihn aber gleichzeitig fest. Ich wünschte, er würde mich nie loslassen.
„So so, wie denn?", neckte er mich. Ich spürte seinen Atem in meinem Nacken und jedes einzelne Haar meines Körpers stellte sich auf. So kalt wie mir vorhin war, so heiß war mir jetzt. Ich schlug meine Augen einen Moment nieder, als würde ich nachdenken, drehte dann meinen Kopf zur Seite, sodass unsere Lippen nur noch wenige Zentimeter voneinander entfernt waren und hauchte: „Da lass ich mir schon noch was einfallen." Ich spürte seine Grübchen an meiner Wange, als er grinste. „Da bin ich aber gespannt.", flüsterte er zurück.
Bevor er noch etwas sagen konnte, schlüpfte ich aus seinem Arm heraus und schaute ihn frech an. „Sei auf der Hut!", sagte ich. Er lachte. „Klar, ich hab echt total Angst vor dir." „Dass dir das nicht zum Verhängnis wird.", meinte ich süffisant und stand auf. Er lachte wieder und ging auf seinen Klamottenhaufen zu. Puh, ich musste mich echt zusammenreißen. Der Sport tat ihm gut. Peinlich berührt betrachtete ich die Holzbretter des Stegs. Er dachte sicher, dass ich total prüde wäre. Und irgendwie war mir das peinlich.
Ich wollte nicht verklemmt sein. Ich wollte so cool und locker wie die Mädchen aus seinem Freundeskreis sein. Aber ich wusste nicht, wie das ging. Woher auch? Schließlich hatte ich erst einmal einen Jungen geküsst und das war mein Nachbar bei Wahrheit oder Pflicht. Und damals waren wir neun. Wenn ich daran zurückdachte, lief es mir kalt den Rücken hinunter. Das war echt nicht so toll. Ich schüttelte mich.
„Ist dir kalt?", fragte Ben besorgt, der jetzt auch endlich wieder seinen Körper bedeckt hatte. Noch länger und mir wäre wahrscheinlich der Sabber aus den Mundwinkeln gelaufen. „Nein, alles gut.", entgegnete ich und lächelte ihn an. Ganz im Gegenteil. So warm war mir schon lange nicht mehr gewesen.
Er half mir auf und zusammen liefen wir zurück zu unseren Rädern. Manchmal trafen mich einzelne Tropfen seiner nassen Haare und unsere Hände streiften sich - zufällig? Jedes Mal, wenn wir uns berührten, machte mein Herz einen kleinen Sprung. Obwohl er so lange in dem kalten Wasser gewesen war, war seine Haut ganz warm und weich. Ich entschloss mich, bei der nächsten Berührung seine Hand zu nehmen, aber da waren wir leider schon wieder bei den Rädern angekommen.
„Wohin jetzt?", fragte ich. Er überlegte kurz und schlug dann vor: „Eis?" Ich grinste breit und nickte.
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all eyes on me
ChickLitEmilia hat tierische Angst davor, vor anderen Leuten zu singen. Trotzdem spricht sie für ein Musical an ihrer Schule vor, schließlich möchte sie neben ihrem Schwarm Ben die Hauptrolle spielen. Ihr Kunstlehrer hilft ihr, ihre Angst zu überwinden, do...