Von weißen Sneakers und Wahnsinnigen

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„Also Emilia, ich wollte mit dir eigentlich über das Musical reden." Na toll. Ich verschränkte meine Arme. „Das hat sich erledigt.", meinte ich abweisend. Ich wollte mit ihm nicht darüber reden. Auch wenn ich beim Gedanken an das Musical mittlerweile nicht mehr weinen, sondern lächeln musste, weil ich es mit Ben verband.

Scheinbar tat ich genau das gerade, denn Herr Visnes fragte überrascht: „Bist du froh, dass du nicht mehr teilnimmst?" „Was? Nein! Natürlich mache ich mit.", teilte ich ihm mit und er war verwirrt. „Woher dieser plötzliche Sinneswandel?" Er wirkte ehrlich überrascht. „Ich hab' nochmal drüber nachgedacht und bin zu dem Schluss gekommen, dass ich es wenigstens versuchen sollte.", meinte ich und zuckte mit den Schultern. „Aha. Einfach so?", fragte er nochmals nach und lehnte sich nach vorne.

„Einfach so.", entgegnete ich und lehnte mich ebenfalls zu ihm. Wir schauten uns an. Ich war gerade noch etwas bockig, aber jetzt war ich nur noch aufgelöst. Ich biss meine Zähne zusammen. Irgendwann schaute ich weg. Wieso erzählte ich nicht einfach, dass ich mit Ben probte?

„Aha." Wieso war er denn jetzt bockig? Ich hatte doch überhaupt nichts getan. „Warum interessiert sie das überhaupt?", gab ich patzig zurück. Er fuhr sich durch die Haare. Wieso machte er das immer? Dachte er das sähe gut aus? Tat es nämlich. Aber das tat jetzt nichts zur Sache. Ich wartete immer noch ungeduldig auf meine Antwort, aber er schaute nur auf seine Hände.

„Wenn sie nicht mit mir reden, dann weiß ich nicht, wieso sie mich hergeholt haben. Noch dazu auf so eine komische Art und Weise." Ich war sauer. So verhielt sich doch kein Lehrer. Während ich meine Sachen packte und schon die Klinke in der Hand hatte, hörte ich wie er aufstand und ein paar Schritte auf mich zuging: „Warte bitte, Emilia. Ich kann es dir erklären."

„Okay, aber dann schnell. Ich muss gleich weiter." Auf keinen Fall wollte ich Ben warten lassen. Ich wirbelte herum. Zum Glück nicht allzu schnell, sonst hätte ich Herr Visnes sicher von den Beinen gefegt. Wir standen uns nahe gegenüber. Er hatte seine Hände in den Hosentaschen und schaute mich an. Da war es wieder, dieses Gefühl. Als würde mein ganzer Körper brennen. Alles kribbelte. Meine Brust fühlte sich so eng an und ich atmete schneller. Was war das?

Wieder fuhr er sich durch die Haare. Konnte er das lassen? „Können Sie das lassen?" Er hielt inne, mit der Hand auf dem Kopf. „Was meinst du?" „Dieses ständige durch die Haare fahren. Das macht mich wahnsinnig!", forderte ich und untermalte die Aussage mit wirren Handbewegungen. Langsam ließ er die Hand sinken. Erst dachte ich, ich wäre zu weit gegangen. Wie führte ich mich überhaupt gerade auf? Er war schließlich ein Lehrer! Dann sah ich aber, dass er grinste.

„Was gibt's da zu grinsen?", fragte ich schelmisch. Er schaute mich an. „Ich mache dich also wahnsinnig?" Mein Mund klappte auf und ich bekam ihn auch nicht mehr zu. Was hatte er da gerade gesagt? Ich schnappte nach Luft und schloß meinen Mund wieder. Sicher war es nur als Scherz gemeint. Einer seiner blöden Scherze. Dann musste ich wohl mitmachen, wenn ich nicht als Spielverderber dastehen wollte.

„Wenn Sie es genau wissen wollen: Ja, Sie machen mich wahnsinnig. Ich kann nicht mehr aufhören an Sie zu denken." Ich wollte es übertrieben und ironisch klingen lassen, aber stattdessen klang es nur verzweifelt. Wie eine gruselige Stalker-Schülerin, die ihrem Lehrer hinterher spionierte. Jetzt war sein Mund an der Reihe aufzuklappen. Ich biss mir auf die Lippe. Mist, das war nach hinten losgegangen. „Das war nicht so gemeint, das sollte nur ein Scherz sein, ich -", setzte ich zu einer Erklärung an, aber er unterbrach mich mit einem befangenen Lächeln: „Glaub mir, ich verstehe besser was du meinst, als mir lieb ist." Verlegen schaute er nach unten auf unsere Schuhspitzen.

Welche Schuhe trug ich denn heute überhaupt? Schnell schaute ich nach unten zur Kontrolle. Weiße Sneakers. Damit konnte man nichts falsch machen. Erleichtert atmete ich auf. Wieso war es mir überhaupt so wichtig, was er von meinen Schuhen dachte? Das war doch wirklich total egal.

Aber was hieß das denn jetzt überhaupt schon wieder? Er ‚verstand was ich meinte'. Aber das wusste ich doch selber nicht einmal! Schon wieder Schweigen.

Er knetete seine Hände. „Emilia, du ... du und ... Ben. Tut mir leid, wie das gestern abgelaufen ist. Ich wollte euch in keine unangenehme Situation bringen." Ich lachte und er schaute überrascht auf. „Das war doch für Sie mindestens genauso unangenehm wie für uns!", meinte ich, obwohl mir im Gedanken daran gar nicht zum Lachen zumute war. Gestern, als ich mich Ben so nah gefühlt hatte. Da kamen er und seine ... diese Frau und brachten alles durcheinander. Es brannte mir auf der Zunge zu erfahren, wer sie war. Auch wenn es mich überhaupt nichts anging.

Herr Visnes lächelte auch leicht, und musste mir zustimmen: „Hmm da könntest du recht haben." Er starrte auf einen unbestimmten Punkt links von meinem Arm. Schlagartig wurde er wieder ernst. „Ähm, du und ... Ben. Ben und ... du. Seid... seid ihr? Naja, du weißt schon?", fragte er scheu und strich mit einer Hand über seinen Arm, als wolle er sich daran festhalten. Er schaute mich kurz an.

Ich seufzte und ging einen kleinen Schritt zurück. Darüber wollte ich mit ihm noch weniger reden als über das Musical. Eine Welle Ärger baute sich in mir auf und schwappte über mir zusammen. Ich wusste noch nicht einmal, auf wen ich sauer war. Vermutlich auf mich. Oder vielleicht auch auf ihn. Oder auf diese Frau, die einfach nur zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort gewesen war. „Sind sie und diese Frau ... naja, sie wissen schon?", stellte ich eine freche Gegenfrage und sah ihn wild an.

Aus seinen grauen Augen funkelte es mir entgegen. „Emilia, ich bin immer noch dein Lehrer. Mein Privatleben geht dich überhaupt nichts an. Ich muss dir keine Rechenschaft leisten mit wem ich mich treffe und was ich mit dieser Person mache. Und -" „Achso, aber es mein Privatleben geht Sie schon etwas an?", unterbrach ich ihn. Ich presste meinen Kiefer so fest zusammen, dass es sich anfühlte, als würden jeden Moment meine Zähne zerbersten. Im Hintergrund klingelte es, aber das nahm ich kaum wahr. Ich konnte mich keinen Zentimeter bewegen, er hatte mich gepackt, ohne mich anzufassen. Mein ganzer Körper stand unter Strom, ich wurde immer mehr aufgeladen und es fühlte sich an, als könne sich diese Spannung jederzeit entladen, aber es wurde immer mehr und immer mehr und immer mehr.

„Wenn Sie es genau wissen wollen: Ich werde jetzt für das Vorsprechen proben. Mit Ben." Meine Stimme war ganz ruhig. Dann drehte ich mich auf dem Absatz um und ging. Ich wartete seine Reaktion nicht mehr ab. Ich wusste, dass dieser Abgang eine gewisse Wirkung haben würde. Jetzt war ich an der Reihe, ihn wahnsinnig zu machen.

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