Ich hatte gehofft, noch einen Abschiedskuss zu bekommen, aber er ließ mich leider nur kurz raus. Schließlich musste ich in den Unterricht und er sich noch auf das Casting nachher vorbereiten. So schnell und elegant es in den Stiefelettchen ging, die Aly mir angezogen hatte, sprintete ich die Treppen zur Schule hinauf.
Während ich die Aula durchquerte versuchte ich meine Atmung zu beruhigen, ob sie so schnell ging wegen der Treppen, dem bevorstehenden Casting, Ben oder Herr Visnes wusste ich nicht, aber es gab genügend Gründe dafür, dass ich schnaufte wie ein altersschwaches Walross, was mir auch einige seltsame Blicke einbrachte.
Ich schob es auf die Treppen und strich in einer der Spiegelungen der Fenster meine Haare glatt.
Dann stand ich etwas unschlüssig vor der Tür des Kunstsaals. Ich hörte seine Stimme von innen, wie sie irgendetwas von Marina Abramovic erzählte. Schade, auf die Stunde hatte ich mich eigentlich wirklich gefreut, die wollte ich auf keinen Fall verpassen. Aber jetzt war es nunmal so.
Aber vielleicht würde er mir ja private Nachhilfestunden geben? Hmm... das wäre natürlich nicht schlecht ... Stop!
Ich hatte gerade erst Ben geküsst, diese Gedanken mussten so schnell wie möglich aufhören!
Ich schüttelte meinen Kopf und klopfte etwas lauter als beabsichtigt gegen die Tür, bevor ich noch weiter über das Thema nachdenken konnte.
Worüber ich aber vielleicht mal nachdenken hätte sollen, war meine Ausrede, wieso ich über eine halbe Stunde zu spät kam.
„Emilia!", sagte Herr Visnes und schaute mich verdutzt an. Dann begann er fast schon frech zu grinsen und meinte: „Wie schön, dass du uns auch mit deiner Anwesenheit beehrst. Setz dich jetzt bitte hin und komm nach der Stunde zu mir." Als wäre ich bei ihm zum Tee eingeladen, bot er mir meinen Stuhl mit einer Handbewegung an.
Ein kleines Schmunzeln konnte ich mir beim besten Willen nicht verkneifen, aber um es zu überspielen verdrehte ich nur meine Augen und murmelte ein leises „Sorry."
Aly begrüßte mich mit hochgezogenen Augenbrauen. Was hat das denn so lange gedauert?, sollte das heißen. Was denn?, erwiderte ich mit einem Schulterzucken. „Ich hab' ihm gesagt, du bist nur noch schnell auf dem Klo!", zischte Aly und wusste scheinbar selbst nicht wirklich, ob sie sauer sein oder lachen sollte.
Weit ausholend schlug ich mir mit der flachen Hand gegen die Stirn. Nicht das erste Mal heute waren mir alle Blicke sicher.
„Ich weiß gerade nicht, was so witzig ist, aber ich fände es wirklich toll, wenn ihr eure Aufmerksamkeit jetzt auf Marina und Ulays Werk „Rest Energy" lenken könntet.", unterband unser Lehrer tadelnd Alys drohenden Lachanfall. Unsere Blicke streiften sich und ich wusste nicht, ob er es auch witzig fand oder nicht.
Ich konnte ihn nicht deuten.
Wie dämlich war Aly aber auch ihm zu sagen, dass ich noch auf der Toilette war? Nach der Pause. Ausgerechnet in einem meiner Lieblingsfächer. Macht wenig Sinn.
Ich sollte meine Aufmerksamkeit wirklich lieber ihm und seinen Ausführungen über die Aktionskunst schenken und vielleicht auch etwas seinen wuscheligen Haaren. Aber nur ein bisschen.
Obwohl ich mich sehr auf dieses Thema gefreut hatte, schlug mein Herz beim Gedanken an das Ende der Stunde höher. Aber nicht, weil ich dann mit ihm alleine sein würde, nein. Nur wegen des Castings.
Während alle anderen das Klassenzimmer verließen, saßen wir beide an unseren Tischen und starrten auf irgendwelche Zettel vor uns. Erst als Aly die Tür hinter sich geschlossen hatte nach einem überschwänglichen „Ein schönes Wochenende noch, Herr Visnes!", wagte ich es, mich aufzurichten.
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all eyes on me
ChickLitEmilia hat tierische Angst davor, vor anderen Leuten zu singen. Trotzdem spricht sie für ein Musical an ihrer Schule vor, schließlich möchte sie neben ihrem Schwarm Ben die Hauptrolle spielen. Ihr Kunstlehrer hilft ihr, ihre Angst zu überwinden, do...