,,Wie deine Eltern am Tisch sagten, kommst du aus Australien... Ist es schön da?"
Entgegen meiner Erwartung, dass der Mittag recht ruhig verlaufen würde, blieb ich auf halbem Wege leise seufzend stehen, nachdem mich der Sohn unserer neuen Nachbarin angesprochen hatte. Schon die ganze Zeit spürte ich seine Blicke auf mir liegen, die mich unwohl fühlen ließen, obwohl ich es verstehen konnte. Er war neu in einer großen Stadt und hatte keine Freunde. Da war es doch klar, dass er sich mehr oder weniger an mich heften würde, ganz gleich, wie sehr es mir missfiel. Und natürlich konnte ich ihn dabei verstehen, das war auch der Grund, wieso ich mir ein Lächeln auf die Lippen setzte und mich zu dem attraktiven Jungen umdrehte. Nettigkeit und Freundlichkeit war immerhin nicht allzu schwer.
,,Es war sehr schön da. Heiß und gefährlich, aber schön", erklärte ich ihm etwas unsicher und lächelte dabei schüchtern, denn es fiel mir nicht sonderlich leicht, mit anderen zu reden. Darum übernahm das Jisung oft für mich in unserem Freundeskreis. Während er stundenlang reden konnte, blieb ich immer ruhig sitzen und hörte ihm und den anderen zu. Hin und wieder verließen einige Worte meinen Mund, aber dennoch würde ich mich selbst nicht als jemand bezeichnen, der gerne mit anderen sprach. Es war schwer, Worte zu finden, die mein Inneres erklären konnten. Und leider glaubte ich nicht daran, jemals jemanden zu finden, der sich auch wahrlich dafür interessierte, was ich zu sagen hatte. Nicht einmal Jisung gab mir das befreiende Gefühl.
,,Ich war mal in Neuseeland... Das war auch schön dort."
Anhand seiner Stimme und der Reaktion konnte ich sehen, wie unsicher Hyunjin in Wirklichkeit war. Auf den ersten Blick dachte ich, er sei eher kühl und würde mich mehr oder weniger ignorieren, zumal ich niemals an seine Schönheit herankommen könnte. Aber jetzt konnte ich ihn in einem anderen Licht sehen und verstand, dass der erste Eindruck nicht immer zählte. Sollten wir uns anfreunden, freute ich mich irgendwie darauf, mehr über den Blondhaarigen erfahren zu können. Dann fiel mir jedoch mein Geheimnis ein und ich verwarf den Gedanken sofort wieder. Das war doch irrsinnig. Niemals könnte ich mit ihm befreundet sein, denn wenn er erfuhr, was ich in meiner Freizeit so machte, würde er mich auslachen oder es jedem erzählen, und ich könnte dann sogleich das Land verlassen und in einer Höhle leben.
,,Das... Freut mich."
Mehr konnte ich nicht sagen, zumal ich nicht einmal wusste, was genau ich auf seine Worte erwidern sollte. Kurz warf ich einen Blick auf meine Eltern, die sich noch immer prächtig mit den Nachbarn unterhielten und seufzte dann leise auf. Ich wollte zurück in mein Zimmer, meine Klamotten anziehen und mich endlich wieder gut genug fühlen. Mir fehlte das Gefühl der Freiheit, was ich leider nicht immer bekam. In Australien war es nicht besser gewesen, auch dort hatte ich mich verstecken müssen, aber gleichzeitig gab es Veranstaltungen, an denen ich mich so anziehen konnte, wie ich wollte. Und zu meinen Eltern sagte ich immer, es sei eine Kostüm-Party. Nicht die beste Idee gewesen und sie waren auch nie erfreut, aber hatten es mir immerhin erlaubt.
,,Wenn du dich unwohl fühlst... Kannst du auch gehen. Ich sage deinen Eltern einfach, es ging dir nicht so gut."
Verblüfft starrte ich den Älteren vor mir an und hatte nicht damit gerechnet, dass er so etwas sagen würde. Noch weniger dachte ich, er würde sehen, wie sehr ich gehen wollte. Dennoch lächelte ich leicht und um mein Herz herum wurde es etwas warm und innerlich dankte ich ihm für sein Verständnis, das er gerade zeigte. Zwar würde ich ihm dennoch irgendwie gerne kennenlernen, aber die Chance zu gehen, ließ ich mir natürlich nicht entgehen. Leise bedankte ich mich bei ihm und lief dann direkt zur Haustür, um verschwinden zu können. Meine Hände prickelten vor Aufregung, als ich daran dachte, gleich endlich wieder ein Kleid anziehen zu können. Sie hatten zu lange in den Tüten warten müssen. Und wie ich meine Eltern kannte, würden sie noch eine ganze Weile hierbleiben. Zum Glück.
Vielleicht nahm dieser Tag doch eine gute Wendung.
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𝐒𝐤𝐢𝐫𝐭𝐬 𝐚𝐧𝐝 𝐝𝐫𝐞𝐬𝐬𝐞𝐬 ✦ 𝖧𝖸𝖴𝖭𝖫𝖨𝖷
FanfictionFelix wusste schon immer, dass er anders war als die anderen. Das lag nicht nur daran, dass er aus Australien stammte und die koreanische Sprache noch nicht perfekt beherrschte, sondern auch an der Tatsache, dass er Kleidung trug, die laut der Gesel...