Kapitel 19

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Ich wachte auf und spürte einen Schmerz. Keinen körperlichen, sondern einen so starken seelischen Schmerz, dass er kaum auszuhalten war.
Und ich wusste auch, was da so schmerzte. Es war mein Herz.
Und das bedeutete, dass es wieder da war, dass ich etwas empfinden konnte. Nach alldem, was ich je in meinem Leben erfahren hatte.
Und Andrew war dabei die wichtigste Person in meinem Leben geworden. Vielleicht kam er ja heute früh zum Frühstück, dann konnte ich mit ihm reden.
Ich zog mir ein weinrotes T-Shirt an und eine Jeans. Ich wusste nicht genau, was heute auf dem Plan stand, aber dann würde ich mich nachher einfach umziehen.
Ich hatte nicht vor, im Hotel unten zu frühstücken, sondern bestellte beim Zimmerservice Croissants. Wir hatten eine Kaffeemaschine in der Suite und ich fand auch Kaffeebohnen. Kurz darauf roch der gesamte Raum angenehm nach Kaffee.
Ich wusste, dass Andrew in der Suite geschlafen hatte, denn ich hatte ihn sehr spät am Abend hereinkommen hören, aber ich war mir sicher gewesen, dass das nicht der richtige Zeitpunkt zum Reden gewesen war und wollte das heute tun.
Ich ertappte mich dabei, wie ich immer wieder zu dem Raum sah, in dem Andrew diese Nacht geschlafen haben musste. Es war ein Ankleidezimmer und ich bezweifelte, dass es eine angenehme Nacht gewesen war.
Ich wollte ihm selbst die Möglichkeit lassen, ob er bereit zu einem Gespräch war und ging deswegen in die Küche. Ich holte gerade die Kaffeekanne hervor, um mir und ihm eine Tasse einzuschenken, als ich hörte, wie die Tür von unserer Suite zufiel.
Okay, next try.
Ich wartete den ganzen Vormittag in der Suite, in der Hoffnung, dass er vom Frühstück zurückkam, doch anscheinend war er in die Stadt gefahren.
Ich wusste, dass ich ihn nicht finden würde, wenn er nicht gefunden werden wollte. Es gab so viele versteckte Plätze in der Stadt, dass ich warten musste, bis er wieder ins Hotel kam.
Ich wusste jedoch nichts über die heutigen Pläne und wollte auf keinen Fall irgendetwas verpassen, also beschloss ich, ihn anzurufen.
Ich holte mein Handy hervor und schaltete es ein.
Da sah ich, dass ich eine neue Nachricht von Andrew hatte.
"Komm in den Park! Jetzt sofort! Wir müssen reden!"
Was sollte denn diese Nachricht? Ich war alarmiert. Ich müsste doch eigentlich mit ihm reden und nicht er mit mir. Das war falsch! So was von falsch.
Ich schloss die Zimmertür hinter mir und ging zum Aufzug. Die ganze Zeit überlegte ich, was Andrew mir sagen wollte. Sich entschuldigen? Aber wofür. Mich etwas fragen? Aber was. Mich feuern? Nein, sicher nicht.
Und solche Gedanken begleiteten mich die ganze Zeit über, in der ich mich beeilte, zum Park zu kommen. Ich beschloss, sofort etwas zu sagen. Mich zu entschuldigen. Ich konnte nicht damit leben. Ich musste...
Und dann war ich da. Da stand er, eigehüllt in seinen Trench Coat. Er drehte sich zu mir um und ich sah ihn an.
Ich bewegte mich auf ihn zu und wollte gerade anfangen zu sprechen, als er die Hand hob.
"Nein! Sag jetzt nichts. Lass mich erst ausreden.
Du hattest recht. Mit alledem, was du gestern zu mir gesagt hast. Ich bin zu so einem unnahbaren Monster geworden, weil ich nicht weiß wie ich sonst sein sollte. Ich hatte noch nie Freunde. Ich weiß nicht mal wie sich das anfühlt, geborgen zu sein. Meine Eltern haben mich abgeschirmt. Ich hatte nur

Privatlehrer und war in keinem einzigen Verein. Ich hatte so einen Hass, dass ich mit siebzehn einfach abgehauen bin. Es hieß immer, ich sei ein Überflieger. Hochbegabt. Ich hatte längst alle Abschlüsse. Ich bin zu meiner Firma gekommen und habe mich beworben. Ich war sehr aufgeregt, denn ich war noch nie im wirklichen Leben gewesen. Ich hatte auch ein bisschen Angst, aber vor allem war ich gespannt und nervös. Doch dann mein erster Tag, nachdem ich angenommen worden war, dem Chef zu assistieren. Ein fieser Teampartner. Mein Konkurrent. Er mobbte mich und brachte die gesamte Abteilung gegen mich auf und ich war noch nie in einem sozialen Umfeld gewesen. Es hat mich zerstört, wie du gesagt hast. Ich habe mich verschlossen und mich jedem nur erdenklichen Spaß entzogen. Dann ging es bergab. Alkohol, Drogen, Sex. Ich hatte meinen Job noch, aber ich würde ihn nicht bekommen. Ich war zu sehr abgestürzt. Und dann eines Tages hatte ich einen Unfall und ich habe bemerkt, wie ich lebe. Ich war auf einem Polizeirevier und ich weiß immer noch mit welchen Blicken sie mich angesehen haben. Mitleidig, angewidert. Und dann habe ich mich geändert. mich in meine Arbeit gestürzt. Ich bin besser geworden und habe alles geschlagen. Die Arbeit war meine Stütze und ich bin durch sie wieder auf die rechte Bahn gekommen. Ich habe mich immer weiter hochgearbeitet und Anerkennung verdient. Dann wurde ich befördert und der Seniorchef warf ein Auge auf mich. Ich wurde von ihm vor die Wahl gestellt, der neue Chef zu werden. Er sah sich selbst ein wenig in mir. Doch der einzige Mensch, der mich je respektiert hat ist dann einige Monate nach der Amtsübergabe an Krebs gestorben und dann kamst du. Ich habe dich anfangs nicht so wirklich wahrgenommen, nur die ganzen Gerüchte gehört, wie fies du seist und wie kalt. Dann habe ich dich öfter gesehen. In der Früh, bei Meetings und habe dich befördert. Ich habe Talent in dir gesehen und wollte dir eine Chance bieten. Zu Beginn habe ich mir eingeredet, dass ich nur dein Talent sehe und die Kompetenz, doch ich fand dich nicht nur fachlich gut. Du warst heiß und ich habe mich immer öfter gefragt, ob ich dich nicht einfach mal zu einem Date einladen soll. Doch das wäre zu einem riesigen Skandal geworden. Der Chef mit der Chefin der Personalabteilung. Und dann sah ich meine Chance, indem ich dich zur Chefin der Finanzabteilung befördert habe. Ich mochte deinen Umgang mit mir. Du warst nie Respektlos und trotzdem hatte dein Ton eine gewisse Schärfe. Und so nahm dann alles seinen Lauf und gestern, da war ich einfach nur wütend. Denn du hattest mit allem Recht, das du gesagt hast und das ha mich getroffen. Aber ich musste mich aussprechen, mit dir."

Ich schluckte. Er hatte mir seine Gefühle offenbart und er sah mich so reuevoll an, obwohl es ja gar nicht er gewesen war, der sich so in Rage geredet hatte.
"Danke, dass du mir das alles erzählt hast! Das bedeutet mir sehr viel und als ich gestern das alles zu dir gesagt habe, da meinte ich gar nicht dich, sondern mich. Ich hatte auch einige Erlebnisse in meiner Vergangenheit, die mich zu dem Menschen gemacht haben, der ich jetzt bin und ich möchte nicht der Grund sein, dass unsere Zusammenarbeit nicht mehr funktioniert."
Sag es ihm, Juliette! Sag es ihm jetzt!
"Und ich..."
Plötzlich spürte ich eine Schneeflocke auf meiner Wange und es begann zu schneien. Ich musste jetzt dieser drei Worte loswerden, die mein Leben für immer verändern würden.
"Was?", fragte er und seine Augen nahmen einen merkwürdigen Ganz an.
Da klingelte sein Handy. Ich sah, dass er den Anruf nicht annehmen wollte, doch als er kurz einen Blick auf sein Handy warf, ging er doch ran.
"Hey. Wie geht's dir?"
"ja, stimmt. Wir müssen uns unbedingt sehen. Geht der übernächste Samstag bei dir? Du weißt ja, Paris und so. Ach, da muss ich dir unbedingt noch was erzählen. Vielleicht kann ich dich ja nachher zurückrufen, denn ich muss jetzt gleich in eine Konferenz."
"Man! Woher weißt du das nur immer, natürlich hast du mal wieder recht! Es hat etwas damit zu tun. Ich sag's dir nachher. Großes Ehrenwort."
"Hab dich auch lieb, mein Schatz."
Bei dem letzten Satz drehte sich mein Magen um. Hatte er eine Freundin? Oder schlimmer, war er verheiratet? Er hatte mir in seiner kleinen Ansprache nicht davon erzählt. Konnte und wollte ich es ihm jetzt immer noch sagen?

"Sorry! Das musste ich annehmen. Also, du wolltest mir noch etwas sagen?"
"Ach nein, hat sich schon erledigt." Und genau in dem Moment, als ich meinen Satz vollendet hatte, wusste ich, dass meine Chance vorbei war. Der Moment, in dem ich ihm meine Gefühle hätte gestehen können und vorbei und zum ersten Mal spürte ich diese Furch, ass ich ihn vielleicht verlieren könnte. Also nicht in dem Sinne, dass er starb, sondern, dass er jemand anderen fand oder sich nicht für mich interessierte.
Doch was hatten dann seine Worte von vorhin für einen Sinn? Er mochte mich? Er fand mich heiß? Juliette! Ich musste es ihm sagen.
Okay. Ich atmete tief ein - und wieder aus. Und noch einmal tief ein. Inzwischen hatte es so stark zu schneien begonnen, dass man kaum noch 5 Meter weit sehen konnte. Aber genau diesen Schnee mochte ich. Er war kalt und ich war auch kalt, aber Andrew hatte eine kleine Flamme in mir entfach und ich würde es jetzt aussprechen.
"Also doch, da gibt es tatsächlich noch etwas."
"Okay?"
"Ich...ich" Wieso brachte ich es nicht über die Lippen?
Da gingen auf einmal die Laternen im Park an und tauchten alles in ein goldenes Licht.
"Hey, du weißt, du kannst mir alles erzählen."
"Ja... ja, das weiß ich." Ich konnte ich.
"Du siehst wunderschön aus. Das Licht der Laterne und der Schnee. So als würdest du von innen heraus leuchten. Ich bin sehr froh, dass du mich auf dieser Reise begleitest.
"Danke."
Auf einmal fing eine Geige an, zu spielen. Ein Straßenmusikant hatte sich in unsere Nähe auf eine Parkbank gesetzt.
"Möchtest du... Möchtest du mit mir tanzen?"
"Liebend gerne, Juliette!"
Und er schloss mich in seine Arme und wir fingen an, uns im Kreis zu drehen.
Leise fiel der Schnee, die Lampe verteilte ihr Licht auf diesen kleinen Platz, an dem wir standen und uns langsam im Takt der Musik wiegten und leise spielte eine Geige eine vorweihnachtliche Musik. Ich liebte ihn!

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