Kapitel 50

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Mit einem frustrierten Laut fuhr ich meinen Computer herunter. Ich hatte heute bei weitem nicht das geschafft, was ich hatte schaffen wollen. 
Aber den Rest zuhause fertig machen wollte ich dann doch auch nicht, schließlich hatte ich jetzt Urlaub.
Morgen war der dreiundzwanzigste Dezember und ich wollte mir noch meine Weihnachtsgeschenke kaufen.
Das hatte ich bis jetzt jedes Jahr so gemacht, wenn ich in der Stimmung gewesen war, mir selbst etwas zu schenken. Es war ungefähr drei Mal in meinem ganzen Leben vorgekommen. weswegen ich nicht ganz von "immer so gemacht" sprechen konnte.
 
Doch heute beschloss ich, mir dieses Jahr einen Baum, zumindest einen kleinen zu kaufen und darunter ein, zwei Geschenke zu legen. 
Ich hatte jetzt doch ein wenig Vorfreude.

Nachdem ich meinen Schreibtisch so aufgeräumt hatte, dass er über die paar Tage nicht allzu sehr einstauben würde, packte ich den Rest in Kartons und machte mich auf den Heimweg.

Zuhause angekommen blickte ich mich um und bemerkte, dass meine Wohnung überhaupt nicht weihnachtstauglich war. Es gab keine Ecke oder Stelle, an die ich einen Baum hätte stellen können.
Der Eingangsflur war zu eng und außerdem: Wer stellte schon seinen Weihnachtsbaum in den Flur?
Die Küche kam auch nicht infrage. Die ganzen Nadeln wollte ich sicherlich nicht in meinem Essen haben.
Im Schlafzimmer und im Bad war alleine schon die Vorstellung kurios und somit blieb nur noch das Wohnzimmer.
Doch das gingen die Probleme auch schon weiter. In der einen Ecke stand ein großer, grüner Kaktus. 
In Ecke Numero zwei war zwar ein runder Kamin, zu dem der Baum sicher gut gepasst hätte, doch daneben war ein Sessel und meine heißgeliebte Couch, die dann ja nicht benutzbar wären, und von wo sollte ich dann "French Kiss" anschauen?
Blieben noch die beiden Ecken links und rechts von der Eingangstür zum Wohnzimmer.  Rechts stand ein Klavier, das seit Jahren nicht benutzt worden war, weil ich es nur, um die Einrichtung zu vervollständigen gekauft hatte. Ich hatte es sogar ein wenig in meiner Zeit im Internat gelernt, doch schon seit etlichen Jahren nicht mehr gespielt.
Da mir das Klavier sehr gut gefiel und ich nicht Nadeln in den Ritzen haben wollte, kamen wir dann schon zur letzten Option.
Links war eine Stehlampe, die aus glänzendem Metall bestand und einige schnörkelige Verzierungen hatte. Ich hatte bereits versucht, sie zu bewegen, war jedoch gescheitert. Wie hatten die Möbelpacker das damals hinbekommen? Ich war ratlos.

Ich würde morgen aber einfach einen Baum kaufen und dann weiter sehen, denn ich wollte unbedingt meinen ersten Baum dieses Jahr haben.
Nachdem ich mit meinen Überlegungen nicht weiter gekommen war, beschloss ich, schlafen zu gehen und begab mich somit ins Bad, um mich noch zu waschen und Zähne zu putzen.
Eine Viertelstunde später fiel ich dann erschöpft ins Bett. Dieser Tag hatte mir nochmal viel abverlangt.

Es schneite und ich saß am Fenster, das an den Seiten kleine Eiskristalle hatte. Heute war der 24. Dezember und anscheinend sollte da eine gewisse Freue in einem aufflammen, doch ich verspürte nur eine gähnende Leere und Kälte.
Zum Glück würden mich heute alle in Ruhe lassen, denn Julien, der sonst immer alle antrieb irgendjemanden zu ärgern lag mit einem gebrochenen Fuß im Krankenhaus.
Ich drehte mich um und sah Léa zusammen mit Zoé in der Küche Plätzchen backen. Es lag ein angenehmer Geruch in der Luft und fast hätte ich sogar geglaubt, dass an diesem Tag vor hunderten von Jahren etwas besonderes geschehen sein sollte.

Ich stand auf und ging zur Garderobe, um mir eine Jacke und Handschuhe anzuziehen.
Zehn Minuten später stand ich draußen. Vor mir erstreckte sich eine weite, weiße Fläche. 
Ich blieb kurz stehen und für einen Moment, einen ganz kurzen Moment, fühlte ich mich frei. 

Auf einmal wurde mir etwas hartes in den Rücken gestoßen. Ich fiel vorüber und blieb mit dem Gesicht im Schnee liegen. Als ich mich aufrappeln wollte, wurde ich zu Boden gedrückt.
Ich hörte Rufe und ein Johlen. 
Dann wurde ich umgedreht und ein Eimer Eiswasser wurde über meinen Kopf geschüttet. Dann vernahm ich Nicolas Stimme.
"Frohe Weihnachten von Julien soll ich dir ausrichten."
Dann zogen er und die restlichen Kinder weg und ich rannte frierend nach drinnen.
Es schneite weiter.

Ich wachte durch ein Klingeln auf, das nicht mein Wecker war. 
Es war meine Wohnungsklingel.
Wütend schnappte ich mir meinen Bademantel und marschierte auf die Tür zu.
Ich riss dir Tür mit einem "Wer muss mich unbedingt stören?" auf.
"Dir auch einen wunderschönen Guten Morgen.", erwiderte Julien.
"Was machst du denn hier?"
"Ich dachte mir, weil ich in drei Tagen eine Buchvorstellung habe und in Zürich vorbeikam, dass ich mal bei dir vorbeischaue. Und ja ich weiß, dass es früh ist aber ich bin nur für drei Stunden hier, dann muss ich weiter."
"Aha."
"Ich kann auch wieder gehen, wenn du nicht willst."
"Nein, nein, komm rein."

Ich winkte ihn herein und teilte ihm mit, dass ich in 20 Minuten wieder da sein würde, er könne sich schon mal einen Kaffee kochen.
Als ich in mein Schlafzimmer zurückkehrte hatte ich ein leichtes Kribbeln im Bauch. Das letzte Mal, als ich ihn persönlich gesehen hatte, hatten wir zuvor Sex gehabt.

Ich machte mich fertig und als ich in die Küche trat, hatte er nicht nur Kaffee gemacht, sondern auch Semmeln beim Bäcker geholt. Den Wohnungsschlüssel hatte er wohl einfach mitgenommen, denn de lag jetzt neben ihm auf dem Tisch.

"Danke fürs Frühstück machen."
"Keine Ursache. Das mache ich gern für dich."
Bei diesen Worten schlug mein Herz ein Stückchen schneller.
Hatte ich in ihm wirklich einen Freund gefunden? Erst jetzt, als ich ihn persönlich sah, wurde die ganze Sache echt. Ja, ich hatte mit ihm telefoniert und geschrieben, doch erst jetzt fühlte es sich real an. Und da war noch dieses Kribbeln.

Ich setzte mich zu ihm an den Tisch.
"Und wie läuft es so bei dir?"
"Ganz gut. In den letzten Tagen war ziemlich viel zu tun, aber sonst macht es mir in der Arbeit immer noch Spaß."
"Schön zu hören."

Wir blickten uns an und ich verspürte einen Drang, ihn zu spüren. Ich wusste auch nicht wieso, denn ich war doch in Andrew verliebt, aber er war da und ich spürte ihn deutlich.

"Aber ich meinte eigentlich mit Andrew... Ihr habt euch ja wieder vertragen, aber bist du... bist du wieder mit ihm zusammen?"
"Nein, noch nicht. Ich brauche noch ein wenig Zeit."
"Ah okay. Und er ist der eine?"

Wieso fragte er so etwas? Das war doch seltsam?
Aber er war doch der eine für mich. Das war er.
Ich versicherte es mir. 
Das was ich bei Julien verspürte war nur rein körperlich. Er sah gut aus, doch eine Beziehung wollte ich mit Andrew. Er war einfach nur ein Freund.

"Ja."
"Okay, ich habe nur nachgefragt, weil ich meine "eine" kennengelernt habe."
Er strahlte bei diesen Worten richtig.
"Und ich wissen wollte, ob es das überhaupt gibt. Also dass man seinen "Seelenverwandten" trifft."
"Ja, ich glaube, das kann es geben. Zumindest habe ich dieses Gefühl bei Andrew. Ich freue mich für dich. Du musst sie mir dann irgendwann unbedingt vorstellen!"

Wir beide strahlten um die Wette und dann goss er den Kaffee ein. 
Ich biss in ein Vollkornbrötchen und wir lächelten uns an. Das machte meinen Traum von heute Nacht wieder gut!

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