Kapitel 55

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"Buona sera.", begrüßte mich ein Kellner, als ich durch die Tür in das Restaurant eintrat. 
"Guten Abend. Ich hatte heute Vormittag einen Tisch auf den Namen Foss reserviert. Leider habe ich mich etwas verspätet, ich hoffe, das ist nicht schlimm."
"Ahh, giusto, ich habe mit Ihnen telefoniert. Sie sind alleine da, wenn ich mich richtig erinnere."
"Ja."
"Okay, ich habe für Sie den Tisch hinten rechts am Fenster."
Der Kellner brachte mich zu meinem Platz und legte mir die Speisekarte auf den Tisch.
"Einen schönen Abend wünsche ich Ihnen, Signora."
"Dankeschön.", ich lächelte den Kellner an.

Nachdem der Kellner meinen Tisch verlassen hatte, vertiefte ich mich in die Speisekarte und mir lief schon bei den Vorspeisen das Wasser im Mund zusammen.
Ich lehnte mich auf meinem Stuhl zurück und genoss die schöne Stimmung im Restaurant.  Es brummte an allen Ecken, es wurde gelacht, umarmt, diskutiert und geflirtet. 
Wie gerne ich ein Teil von einer dieser Gesellschaften gewesen wäre.
Doch meine Wünsche erfüllten sich nur selten, denn auch mein Wunsch, diesen heutigen Abend mit ein bisschen Wein zu verbringen zerplatzte, als ich zum Eingang schaute und sah, wer das Restaurant betrat.
Die meisten würden mir spätestens ab diesem Teil der Geschichte nicht mehr glauben, doch es war Andrew, der da im Eingang stand und hinter dem sich jetzt der rote Vorhang schloss, der die Kälte draußen halten sollte.

Ich war mir durchaus bewusst, dass ich mir albern verhielt, doch ich versteckte mich hinter meiner Speisekarte und hoffte, Andrew würde mich einfach übersehen.
Doch auch Glück hatte ich an diesem Abend nicht. Konnte ich auch gar nicht haben, denn wie ich feststellte, als Andrew dann an meinem Tisch stand, hatte er schon gewusst, dass ich mich hier befand. Das machte mich ärgerlich. Woher sollte er das wissen.

"Darf ich mich setzen?", fragte er mich. Was konnte ich anderes erwidern als ja zu sagen.
"Si goda la serata. Ich wünsche Ihnen viel Spaß.", meinte der Kellner mit einem Augenzwinkern und als er an mir vorbeiging meinte er: "Jetzt sind Sie doch nicht allein. Das hätte mich bei einer wunderschönen Frau wie Ihnen auch gewundert."
Ich versteifte mich. Machte er mich gerade an? Doch als ich ihm einen irritierten Blick zuwarf lachte er nur und ging zurück in die Küche.

Dann drehte ich mich zu Andrew um.
"Was machst du hier?", fragte ich ihn.
"Essen gehen."
"Woher wusstest du, dass ich hier sein würde."
"Ich habe nachgefragt, ob du hier reserviert hast."
"Das ist unlogisch. Woher wusstest du, dass ich überhaupt Essen gehen würde.
"Weil ich dich kenne."
"Das ist kein Argument."
"Okay, ich habe gesehen, dass du deine Wohnung verlassen hast."
"Du hast WAS?"
"Ich wollte bei dir vorbeikommen und habe noch kurz im Auto gewartet und da bist du aufgebrochen. Und nein, ich bin dir nicht gefolgt. Ich war zu Fuß bei deiner Wohnung."
"Mhh."
"Ist das jetzt schlimm?"
"Was? Dass du mich beobachtet hast oder dass du hier bist?" Mist, das hatte härter geklungen als es sollte.
"Beides."
"Du hättest mich auch einfach anrufen können."
"Hätte ich."
"hättest du."
"Du mich aber auch."
"Warum ich denn? Du bist schließlich weggerannt. Weggefahren."
"Mhh."

Ich wusste, so würden wir nicht weiter kommen, aber ich hatte gerade nicht so große Lust, mich in eine Diskussion zu stürzen.
Außerdem saß mir der Schreck vom Unfall immer noch tief in den Gliedern.

"Es tut mir leid.", machte Andrew weiter.
Ich nickte nur. Dann winkte ich dem Kellner, denn ich wollte ein Glas Weißwein bestellen.
Und die Avocado als Vorspeise.
"Ignorierst du mich jetzt?", fragte er mich.
"Nein. Ich... Ich bin nur gerade ein bisschen... Ach egal."
"Nein, sag schon, bitte."
"Hast du Geschwister?", wechselte ich das Thema.
"Ähm. Nein."
"Kommst du aus Zürich?"
"Nein, ursprünglich aus Deutschland. Ich habe aber die Schweizer Staatsbürgerschaft. Fragst du mich jetzt aus?"
"Hat mich nur interessiert."
"Du interessierst dich noch für mich?"
"Wie könnte ich nicht?", rutschte es mir heraus.
"Du bist wunderschön, weißt du das?"
Meine Knie wurden weich und fast hätte ich mich zu ihm hinübergelehnt und alles vergessen, aber ich wusste, dass es nicht so schnell gehen durfte. Sonst klappte es nicht. Man konnte nicht mit jemandem zusammen sein, den man erst eine so kurze Zeit kannte.

Andrew schaute mir in die Augen und ich erwiderte seinen Blick. Irgendwann musste er lächeln und wir wandten uns ab. Das war das erste Mal an diesem Abend, dass ich ihn lächeln gesehen hatte.

Später, als wir schon die Hauptspeise bestellt hatten, sprach er dann doch das Thema an.
"Warum warst du in der Innenstadt mit Julien. Der wohnt doch in Paris."
"Er war auf der Durchreise und hat bei mir vorbeigeschaut. Und nein, ich bin nicht in ihn verliebt."
"Ich habe nicht gefragt."
"Ja, du hast sehr laut nicht gefragt."
"Ich dachte, du magst ihn nicht. Auch wenn ich daran schon gezweifelt habe, nachdem du mit ihm geschlafen hattest."
"Andrew, jetzt sei doch nicht so gehässig. Ich kann dir unsere Geschichte erklären, wenn du möchtest, aber bitte triff keine voreiligen Entscheidungen."
Er schaute mich etwas zerknirscht an.
"Ja, okay. Schieß los!"

Wenn ich eines nicht verstehe, dann sind es Emotionen von Männern. Wie können Sie im einen Augenblick noch vollkommen ernst sein und im nächsten Moment einen auslachen.
Wahrscheinlich war ich genauso, aber ich verallgemeinerte Andrew jetzt einfach mal auf alle Männer der Welt.

Denn wenn er mir noch aufmerksam zugehört hatte, während ich ihm meine Geschichte mit Julien erzählte, lachte er mich im nächsten Moment aus, als ich vor Schreck zusammenzuckte, weil ein riesiger Hund seine Schnauze über meine rechte Schulter streckte und ich ihn nicht kommen gesehen hatte. Sein Herrchen entschuldigte sich zwar, doch ich fand es einigermaßen unhöflich, so ein Riesending mit in ein Restaurant zu nehmen.

"Du hättest deinen Blick sehen müssen."
"Und? Dann habe ich mich eben erschreckt."
"Das sah süß aus."
"Süß?"
"Ja, süß."
Er lehnte sich auf seinem Stuhl nach vorne und wollte seine Hand auf meinen Arm legen, doch in diesem Moment brachte der Kellner das Essen und er lehnte sich schnell wieder zurück.

Ich hatte mir ein Nudelgericht mit Meeresfrüchten bestellt und Andrew einen Grillteller.
"Das sieht gut aus.", meinte ich zu ihm, denn sein Grillgemüse machte mich fast schon ein bisschen neidisch.
Allgemein war es bei mir oft so, zumindest so oft ich in einem Restaurant gewesen war, dass ich die Gerichte der anderen immer besser fand.
"Deins aber auch."
"Ja."
"Guten Appetit.", wünschte uns der Kellner, es war ein anderer als zuvor.
"Danke."

Ich trank einen schluck Wein. 
"Wie bist du eigentlich auf Verleger gekommen?"
"Ich mochte Bücher, Geschichten und Schreiben, na ja, es hat sich eben irgendwie ergeben."
"Und bei dir?"
"Auch so ähnlich."

Er spießte gerade eine Aubergine auf und ich sah neidisch zu ihm herüber. "Möchtest du sie haben?", fragte Andrew mich.
"Ja klar.", antwortete ich ihm, ohne vorher darüber nachzudenken.
Er beugte sich zu mir herüber und wollte mir seine Gabel in den Mund schieben.
Ich wich ein Stückchen zurück.
"Ähm, ich kann sie mir auch einfach von deinem Teller aufspießen, versuchte ich mich zu retten."
"Findest du es eklig oder hast du Angst davor, meine Gabel abzulecken?"

Ich konnte ich antworten. Wie hypnotisiert starrte ich auf seine Gabel, die immer näher zu meinem Mund kam.
Tatsächlich hatte ich ein wenig Angst. Sie würde nach Andrew schmecken. Und allein schon dadurch, dass er das Wort "ablecken" benutzt hatte, hatte gereicht, damit mir warm wurde.

Dann konnte ich nicht mehr weiter zurück und ich aß die Aubergine. Obwohl ich Angst hatte, nahm ich die Aubergine nicht vorsichtig mit den Lippen von der Gabel herunter, sondern so wie ich es auch bei meiner eigenen Gabel gemacht hätte.

Der Geschmack war intensiv. Die Mischung aus der wahnsinnig guten Aubergine und dem Geschmack von Andrew war Wahnsinn.
Doch ich ließ mir nichts anmerken und lächelte ihn an.

"Danke."
Anscheinend war er verblüfft, denn er erwiderte nichts.
Doch dann verzogen sich seine Mundwinkel zu einem Grinsen.
"Sexy."

Da wir in einem Eck saßen, rutschte er mit seinem Stuhl ein bisschen nach rechts,  um näher bei mir zu sein und legte seine Hand auf mein Bein.
Ich bekam eine Gänsehaut.
"Wir sollten öfter Essen gehen."






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