Kapitel 51

218 11 0
                                    

"Ach und ich brauche noch deinen Rat. Wo würdest du einen Baum aufstellen, wenn ich einen hätte?"
"Warte kurz."
Er ging aus der Küche hinaus in mein Wohnzimmer und sah sich kurz um.
"Bei dieser Stehlampe denke ich."
"Ach, das habe ich auch schon versucht. Die lässt sich nicht bewegen..."
"Echt?"
Er verschwand wieder im Wohnzimmer und ich hörte ein "Was ist das denn für ein hundert-Kilo-Teil?" von ihm.
"Die habe ich von einem ganz berühmten Designer gekauft. Damals haben die Möbelpacker die hier rein geschleppt."
"Na ja, dann musst du ihn halt einfach in der Mitte des Raumes aufstellen, wenn du schon so unbedingt einen Baum willst."
"Mhm...", machte ich. So ganz überzeugt war ich noch nicht. 

"Ich weiß ja nicht, was du heute noch so vor hast, aber ich würde ganz gerne mit dir einen kleinen Weihnachtsbummel machen, wenn das okay ist. Ahh, irgendwie klingt das so absurd, dass wir jetzt zusammen spazieren gehen und uns früher gegenseitig bekämpft haben."
"Ja, gerne. Ich muss eh noch einige Sachen einkaufen gehen. Aber ich weiß genau, was du meinst. Das ist total surreal. Allein schon, dass wir jetzt befreundet sind."

Nachdem ich die Küche aufgeräumt hatte - Julien hatte in der Zwischenzeit weiter versucht, die Stehlampe zu bewegen - verließen wir das Haus.
Ich mochte den Winter gerne. Es war kalt, man konnte einen Mantel tragen, ich hatte aber nur einen hässlichen grauen, und ich fand es schön, kleine Wölkchen vor mir in die Luft zu blasen.
Ich hätte mir nie vorgestellt, dass ich irgendwann einmal so empfinden würde, doch eine gewisse Weihnachtsstimmung hatte mich gepackt.

Wir nahmen die Tram in die Innenstadt von Zürich und stiegen bei einer Station in der Nähe der Limmat aus. Es gab einen kleinen Weihnachtsmarkt - Weihnachtsbäume wurden auch verkauft - und es waren schöne Lichterketten und Girlanden aufgehängt. 
Ich zog Julien näher zum Baumverkauf.

"Kannst du mir bei der Wahl helfen?"
"Ja, klar."

Wir schlenderten durch die Reihen von Bäumen und immer wieder sagte ich ein:
"Schau mal, der?"
Und Julien erwiderte:
"Nee, der passt irgendwie nicht so ganz in deine Wohnung."

Ich wollte schon aufgeben, denn inzwischen hatten wir schon eine halbe Stunde vertrödelt und Julien war ja nur drei Stunde hier. Ich wollte die Zeit nicht nur mit "Baum-Suchen" vergeuden.
 Deshalb zog ich ihn weg, doch genau in dem Moment kam der Verkäufer mit neuen Bäumen und ich sah "meinen" sofort.
Er war dunkelgrün und hatte einen ganz geraden Stamm. Die Äste waren jeweils in einem Kreis übereinander angeordnet.
Das war mein Baum?
"Der?"
"Ja, der sieht richtig gut aus!"

Ich reservierte ihn mir, damit ich ihn dann heute Abend mit dem Auto abholen konnte.
Mein Herz pochte leicht, als ich dem Verkäufer meine Nummer gab. Dieses Jahr würde ich also zum ersten Mal einen eigenen Weihnachtsbaum haben.

Lachend lehnte ich mich an Julien. Wir waren noch eine Weile durch die Stad gelaufen.
"Ja, das weiß ich noch ganz genau."
Er grinste und sah dann mit fragendem Blick auf mein Magenbrot, dass ich mir gekauft hatte.
"Ja okay, du bekommst noch eins.", sagte ich daraufhin zu ihm wie zu einem Hund, der ein Leckerli bekam.

Ich hatte inzwischen eine Kerze aus kunstvoll gedrehtem Wachs erstanden und einen schwarzen Wintermantel mit einem hohen Kragen, der mir auf Anhieb gut gefallen hatte.
Ich freute mich schon darauf, ihn das erste Mal zu tragen.
Vor allem fragte ich mich auch, ob er Andrew gefallen würde.

"Hey Julien, hast du eigentlich schon ein Geschenk für deine Freundin?"
"Oh verdammt. Ich wollte eigentlich hier noch eins kaufen. Kannst du dich an die Ohrringe erinnern, die wir vorhin angeschaut haben? Die fand ich ganz schön. Das Silber passt auch gut zu ihren blonden Haaren."
"Ja, stimmt, dann gehen wir einfach nochmal zurück und ich kaufe mir am Stand nebenan noch Maronis. Da wollte ich mir vorhin eigentlich schon welche mitnehmen."
"Du bist ganz schön verfressen. Weißt du das eigentlich?"
"Ja, dafür mache ich ja auch Sport. Ich gehe zum Beispiel immer Samstags joggen."
"Ach ja..."
"Du glaubst mir anscheinend nicht?"
"Doch, doch. Ich dachte nur gerade, dass Samstag ja ein guter Date-Restaurant-Tag ist und Andrew dich bestimmt mal ausführen will. Dann kannst du nicht joggen gehen."
"Aber doch nicht jeden Samstag."
"Warts nur ab."

Ich musste lachen. Julien und seine Logik. 
Vor uns tauchte der Stand mit dem Schmuck auf und während Julien seine Ohrringe kaufte, machte ich mich zum Maroni-Stand auf.

Fünfzehn Minuten später waren wir dann wieder in der Tram. Es hatte wirklich Spaß gemacht und ich meine Vorfreude auf morgen war noch gestiegen.
Wir setzten und nebeneinander hin und ich gab Julien auf seine Frage hin eine von meinen Maronis. 

"Ich will ja nichts sagen, aber du isst auch ganz schon viel.", meinte ich dann zu ihm, als ich bemerkte, dass er sich selbst auch noch eine Tüte Magen-Brot gekauft hatte.
"Ts... Das war eben so lecker."
Ich musste grinsen und boxte ihn gegen die Schulter.
In der Straßenbahn waren recht viele Leute und trotzdem fiel mir ein Mann auf, der bei der nächsten Station in die Tram einstieg.
Ich konnte sein Gesicht nicht sehen, doch von hinten sah er wie Andrew aus.
Doch ich vergaß ihn wieder und verbrachte die letzte halbe Stunde, bevor Julien wieder aufbrechen musste mit ihm sprechend über Gott und die Welt in der Tram.

Dann kam auch schon unsere Haltestelle und wie stiegen aus.
Jetzt trennten sich unsere Wege auch schon wieder und ich wurde ein wenig wehmütig. 

"Schade, dass du schon gehen musst. Es war wirklich ein super schöner Vormittag mit dir."
"Ja, fand ich auch. Es ist wirklich traurig, dass ich in Paris wohne. Das ist einfach zu weit weg."
"Ja."
"Also dann."
Er kam auf mich zu uns wir umarmten uns fest.

Auf einmal sah ich weiter hinten den gleichen Mann stehen, der mit uns in der Tram gesessen hatte, er drehte sich um und ich stellte fest - dass es tatsächlich Andrew gewesen war!! Ich freute mich, ihn zu sehen. Vielleicht könnten wir später noch zusammen Mittagessen gehen. 

Mir wurde klar, dass ich immer noch Julien umarmte und ließ ihn los.
"Also dann: noch schöne Weihnachten dir.", meinte er.
Ich konnte mich jedoch nicht von Andrew abwenden, der einen verletzten Ausdruck im Gesicht hatte. Nein, er durfte das jetzt nicht missverstehen."

"Juliette? Bist du noch hier?"
"Ja, ja. Ich wünsche dir auch schöne Weihnachten" Wir müssen schreiben!", rief ich ihm noch zu und versuchte, Andrew hinterherzueilen, der sich schnellen Schrittes von mir entfernte.

Nein! Ich musste ihn noch erwischen, doch ich war nicht sonderlich schnell, denn meine Einkäufe hinderten mich am Rennen.
Dieses Einkaufen war doch nicht so gut. Ich hatte es schon immer gewusst!
Dann bog Andrew um eine Ecke und ich rief ihm hinterher.
"Andrew, bleib stehen! Bitte."
"Ich wünsch dir, dass du in der Limmat ertrinkst.", antwortete mir und stieg in einen Bus ein, der genau in dem Moment wegfuhr, als ich ihn erreicht hatte. Was hatte er denn? Konnte er nicht erst denken und dann handeln? 
Andrew stand am Fenster und sah mich an.

Sein Augen hatten gefühlte -100 Grad Celsius.

ChefetageWo Geschichten leben. Entdecke jetzt