Kapitel 41

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Um zwölf Uhr fiel mir wieder ein, dass ich heute mit Andrew sprechen wollte und wo ich gestern noch so furchtlos geklungen hatte, zitterte meine Stimme leicht.
Und doch machte ich mich auf den Weg und stieg in den Aufzug, um einen Stock höher zu fahren.
Ich drückte auf die Taste, um nach oben zu fahren und der Aufzug ließ nicht lange auf sich warten.

Nach ein paar Sekunden gingen die Türen auch schon wieder auf und ich fand mich in einem menschenleeren Flur wieder.
Es war richtig still und man hörte meine Absätze überdeutlich.
Klack, klack, klack-klack, klack...

Ich ging an einer Tür vorbei an der "Konferenzraum" stand. Dort hielten wir immer die monatlichen Meetings ab. Als nächstes sah ich rechts von mir die Cafeteria und danach noch das WC.
Dann kamen zwei Räume, an denen gar nichts stand und darauf schloss ich, dass sie leer sein mussten.
Der letzte in der Reihe war Andrews Büro.
Ich war zwar schon ein paar Mal bei ihm im Büro gewesen, doch heute fühlte es sich so an, als ob ich das erste Mal meinem Chef "hallo" sagen würde.
Nein, meinem Mit-Chef!

Ich klopfte.
"Ja?"
Ich trat ein und als ich ihn sah, kamen wieder all meine Gefühle hoch, die ich so mühsam unterdrückt hatte.
Doch ich hielt mich tapfer und fing an zu sprechen.
"Andrew. Du hattest mir ja gestern Abend eine E-Mail geschrieben und da habe ich..."
Er unterbrach mich.
"Nein, habe ich nicht." Seine Augen waren kalt, als er mich ansah.
Ich schluckte.
"Doch, ich kann sie dir gerne zeigen, du hattest mich gefragt, ob wir Essen gehen wollen."
"Nein, habe ich nicht. Zeig her!"

Ich machte mein Handy an, das ich mitgenommen hatte und öffnete seine E-Mail von gestern Abend.
"Hier."
"Nein, das kann nicht sein." Seine kalte Stimme wurde ein wenig brüchig.
"Warum?"
"Ich habe dir wirklich keine E-Mail geschrieben. Außerdem würde ich mich so nie ausdrücken."
Bevor ich darüber nachdenken konnte sagte ich: "Habe ich mir auch schon gedacht."
"Ja?" Er sah mich direkt an.
"Das ist dir aufgefallen?"
"Ähm... Ja." Ich wusste auch nicht, warum ich auf einmal verlegen war, doch er sah mich mit einer Intensität an, dass mir gleich an unpassenden Stellen wärmer wurde.

Dann fiel mir auf, dass er noch immer mein Handy in seiner Hand hielt und wollte es mir wieder nehmen. Doch in dem Augenblick sagte er: "Dann kann sie nur von einer Person stammen."

"Von wem? Was meinst du?"
"Clara, diese Hexe."
"Deine Verlobte."
Ich konnte es mir nicht verkneifen.
"Könntest du das bitte mit ihr klären, denn ich habe keine Lust weitere E-Mails von ihr zu bekommen, die von deinem Account stammen. Denn ganz offensichtlich kennt sie ja dein Password."
Ohne noch weiter zu warten, wollte ich nach meinem Handy greifen, doch er zog es zurück und als ich es wieder probierte, machte er das gleiche noch ein Mal.
"Mein Handy?"
Ich sah ihn fragend an.
Kurz sah er so aus, als wolle er etwas hinzufügen, doch dann gab er es mir zurück und drehte sich zu seinem Bildschirm zurück, als Zeichen, dass ich gehen konnte.
Er wusste genau, dass ich es nicht mochte, wenn jemand mir Zeichen gab wie ich mich zu verhalten hatte. Und das regte mich auf.

Während ich ein Stockwerk nach unten fuhr, machte ich mir Gedanken über Andrew.
Das war klar gewesen!
Andrew war... ich wusste auch nicht, was ich erwartet hatte, doch er hatte nicht so traurig ausgesehen. Was wahrscheinlich aber auch an der Maske lag, die er sich zugelegt hatte.

Tatsächlich bereute ich es, dass wir eine Beziehung gehabt hatten. Nicht, weil es mir nicht gefallen hätte, denn das hatte es. Und sie hatte mir auch geholfen, persönlich zu wachsen, doch es war einfach viel zu früh gewesen.
Für mich, weil ich nicht bereit gewesen war und für ihn, weil er noch nicht damit umgehen gekonnt hatte.
Und jetzt war es aus.
Ich schob diese Gedanken beiseite. Es brachte doch nichts, jetzt noch zu überlegen!

Ich trat in mein Büro zurück.
Sofort hatte ich die ungeteilte Aufmerksamkeit.
Alle arbeiteten zwar weiter, doch es fühlte sich an, als ob mich tausend Augen beobachteten.
Ich schloss meine Bürotür hinter mir und machte mich daran, meinen Plan in die Tat umzusetzen.

Der hier ist für Frau Posak, der hier für Frau Rossmann,...
Ich verteilte Umschläge, in denen ich ihnen allen kündigte, die einen bekamen.
Mit meiner Liste hatte ich versucht, alle loyalen Kollegen und Kolleginnen herauszufiltern und die, die mich angelogen hatten, mussten jetzt gehen.
Es waren ja schließlich genug andere Bewerber für ihre Stellen vorhanden.
So war unsere Personalabteilung von 30 Mitarbeitern auf 16 geschrumpft. In der Finanzabteilung waren es nicht so viele gewesen, da ich ja noch nicht so lange dort "regierte".

Ich hoffte, mit meinen Änderungen einen positiven Schwung in unsere Arbeit zu bekommen.
Denn der war bitter nötig wie ich fand.

Den restlichen Tag sperrte ich Andrew so gut wie möglich aus meinem Kopf aus, oder war es mein Herz, und hatte interessante Themen zu bearbeiten.
Es hatte wohl neuerdings einige Ausgaben für E-Books gegeben und ich las mir interessiert die Verkaufszahlen durch.

So verlief mein Tag recht gut und ich musste mir keine unnötigen Schimpftaraden von neidischen Kollegen anhören, die mich ein Biest und eine Hexe nannten.
Beim Wort "Hexe" erinnerte ich mich daran, dass Andrew so seine Verlobte genannte hatte.

Gegen 17.30 Uhr machte ich dann Schluss, weil ich mein Magenknurren nicht länger aushielt.
Zuhause hatte ich vor, mir eine große Gemüsepfanne mit Paprika, Zucchini und Aubergine zu machen.
Als ich in der Tiefgarage angekommen war und mein Auto aufsperrte, das wie immer den zweiten Parkplatz neben der Tür besetzt hielt, hörte ich wie der Aufzug unten ankam und jemand ausstieg.
Ich ging schneller, denn ich mochte es nicht, mit fremden Menschen alleine in der Tiefgarage zu sein.
Ich setzte mich in mein Auto und schaute dann doch nach, wer aus dem Aufzug stieg.
Es war natürlich Andrew. Bei meinem Glück.
Schnell startete ich den Motor und wollte ausparken.
Zeitgleich setzte er sich in sein Auto, das ja näher am Aufzug stand als meines.
Er startete ebenfalls seinen Motor und wir wollte beide gleichzeitig ausparken.

Was sollte das denn? Warum ließ er mich nicht einfach ausparken?
Nein, er würde nicht vor mir ausparken!
Ich parkte zwar gerne mal falsch oder schräg in Parklücken ein, doch Autofahren konnte ich!
Im Rückspiegel sah ich, dass hinter mir kein Auto mehr stand und fuhr rückwärts an der nächsten Reihe parkender Autos vorbei.
Dann bremste ich scharf ab und düste auf die Rampe, die nach oben führte, zu.
Im Außenspiegel sah ich, dass ich schneller war als Andrew.
Hah!
Ich nahm die Auffahrt schnell und fuhr vor ihm in die dezemberdunkle Nacht davon.


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